Leben in Bayern

27.10.2017

Die Tagelöhner von der Landwehrstraße

Viele Arbeitsmigranten aus Südeuropa leben in München in äußerst prekären Verhältnissen – und hoffen auf ein besseres Leben

Acht Uhr morgens an der Ecke Landwehr- und Goethestraße im Münchner Bahnhofsviertel. Es ist kalt an diesem Tag. Während Gemüsehändler ihre Ware ausladen, stehen an der Ampel ein Dutzend Männer herum. Manche wärmen sich an einem Pappbecher heißen Kaffees. „Tagelöhnerstrich“ wird die Stelle von manchen genannt. Denn Menschen vor allem aus Bulgarien warten dort darauf, dass jemand sie für einen Job anheuert. Auf einer Baustelle oder als Putzmann zum Beispiel.

„Die Polizei war gerade da“, sagt einer der Männer. „Ausweiskontrolle.“ Denn manchmal beschweren sich Anwohner über das Grüppchen der Wartenden. Todor F. ist an diesem Tag unter ihnen. Der 32-Jährige stammt aus Pasardschik, einer Stadt mit knapp 70 000 Einwohnern in Zentralbulgarien. Und gehörte dort der türkischsprachigen Minderheit an. Warum er hier steht? „Ich will arbeiten und Geld verdienen“, sagt Todor, der seit drei Jahren in München lebt. In seiner Heimat gebe es keine Arbeit. Und wenn doch, bekäme man nur knapp 1,50 Euro die Stunde. In Deutschland dagegen könne er in drei Monaten so viel verdienen wie in Bulgarien in einem Jahr, erklärt Todor. Also spachtelt er auf Baustellen und schickt Geld nach Hause.

Solange es noch geht, schläft Tordor wie die meisten anderen des „Tagelöhnerstrichs“ im Freien: In Parks, unter Brücken, in Hauseingängen oder in alten Autos. Beginnt es aber zu schneien, ziehen sie in das Winterquartier der Stadt in der Bayernkaserne. Die Mieten in München können sich die wenigsten leisten.

„Es ist ein hartes Leben“, bestätigt Savas Tetik von der Arbeiterwohlfahrt. Im Beratungscafé an der Sonnenstraße kümmert er sich um die Arbeitssuchenden, hilft zum Beispiel beim Ausfüllen von Formularen. Vermittelt wird auch medizinische Hilfe, und es gibt kostenlose Deutschkurse und Integrationskurse der Volkshochschule. Außerdem können sich die Menschen im Café tagsüber Tee kochen, die Toilette benutzen und ausruhen. Einmal die Woche bietet die Agentur für Arbeit zudem eine Beratung in der jeweiligen Muttersprache an.

Harter Kampf um einen Platz im Obdachlosenheim

Deutschland ist für südeuropäische Arbeitsmigranten ein beliebtes Ziel. Derzeit leben allein in und um München rund 13 000 Bulgaren und knapp 18 800 Rumänen, viele davon in prekären Verhältnissen. Da beide Länder Mitglied der Europäischen Union sind, gilt für ihre Bürger die unbeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit, sie können also Wohn- und Aufenthaltsort frei wählen und dort auch arbeiten. Das soziale Netz für diese Menschen aber ist löchrig. Zum Beispiel,was die gesundheitliche Versorgung angeht.

Mittlerweile ist es zehn Uhr geworden – und Todor F. wartet an der Landwehrstraße noch immer auf einen Job. Im Beratungscafé an der Sonnenstraße bereiten zeitgleich Mitglieder der Initiative Zivilcourage, die Arbeitsmigranten juristisch berät, eine kleine Trauerfeier vor. Sie ist für Hristo Vankov, einen 61-jährigen Bulgaren, der mithilfe des Vereins jüngst einen kleinen juristischen Sieg errungen hatte. Er hatte die Stadt München verklagt, um einen Platz im Obdachlosenheim zu bekommen.

Obdachlose haben eigentlich grundsätzlich Anspruch auf einen Schlafplatz – für Arbeitsmigranten aber gibt es eine Hürde. Sie müssen nachweisen, dass sie zuhause in den Heimatländern über keine Wohnung verfügen. Mit einer entsprechenden Kündigungsbestätigung des Vermieters ließe sich das zum Beispiel beweisen. Solch einen Nachweis konnte Vankov nicht erbringen. Er lebt seit Jahren in München, eine durchgängige Bestätigung vom Einwohnermeldeamt hat er aber nicht, denn immer wieder gab es zwischendurch Zeiten der Obdachlosigkeit. Dann schlief er unter den Isarbrücken. Auch die Nachweise, dass er vergeblich eine Wohnung in München gesucht hat, und ob er Anspruch auf Wohngeld habe, konnte Vankov nicht beibringen.

Mit Unterstützung der Initiative Zivilcourage klagte er schließlich vor dem Verwaltungsgericht; das entschied am 9. August dieses Jahres: Die Stadt müsse ihm einen Platz in einer Notunterkunft zur Verfügung stellen. Denn zur Verpflichtung der Gemeinden als untere Sicherheitsbehörden gehöre es auch, Gefahren zu beseitigen, die Leben, Gesundheit und Freiheit von Menschen bedrohen oder verletzen. Und zu diesen Gefahren zähle auch die Obdachlosigkeit. Und für das Gericht war klar, der Bulgare würde sich wohl trotz seiner schlechten gesundheitlichen und finanziellen Lage kaum seit mindestens sieben Jahren in München aufhalten, hätte er in Bulgarien ein funktionierendes soziales Netzwerk zur Verfügung.

Doch viel hatte Vankov, der an Diabetes litt, von seinem Sieg vor Gericht nicht mehr. Er starb Mitte September in Bulgarien, wo er versuchte, wichtige Dokumente beizubringen. „Zusammenhänge zwischen seinem Tod und der langjährigen Obdachlosigkeit und dem Ausschluss von sozialen Leistungen inklusive der Krankenversicherung liegen meiner Meinung nach auf der Hand“, kritisiert Lisa Riedner von der Initiative Zivilcourage.

„Ja“, sie haben Hristo Vankov gekannt, sagen auch die Männer an der Landwehrstraße. Er habe sich manchmal Insulin gespritzt, das fiel auf. Und während die kleine Trauerfeier zu Ende geht, hoffen die Männer an der Landwehrstraße, dass doch noch ein Auftraggeber an diesem Tag vorbeikommt. Und vor allem auf das, was Vankov verwehrt war: ein besseres Leben.
(Rudolf Stumberger)

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