Leben in Bayern

Weihnachtsschützen: Nach jahrhundertealtem Brauch versuchen sie mit viel Lärm die schlafende Natur zu neuem Leben zu erwecken. (Foto: dpa)

11.05.2018

Dörrobst und Böllerschüsse

Begehrtes Gedächtnis der Menschheit: Bayern schlägt gleich zwölf Brauchtümer für das deutsche Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes vor

Von Generation zu Generation weitergegeben und identitätsstiftend: Im Freistaat gibt es eine Menge alter Traditionen. Zwölf davon könnten es bald in das Bundesverzeichnis des immateriellen Kulturerbes schaffen. Seit 2013 gibt es diese Liste mit dem Ziel, Brauchtum für die Nachwelt zu erhalten. Geld gibt es zwar keines, aber ein Logo für die Werbung. Und es hilft bei der Eigen-PR. Eigentlich sind für jedes Bundesland nur vier Bewerbungen vorgesehen: Doch Bayern schlägt gleich zwölf Brauchtümer für die Aufnahme in das Bundesverzeichnis des immateriellen Kulturerbes vor. Möglich ist das, weil nicht jedes Bundesland sein Kontingent ausgeschöpft hat. Mit der Aufnahme verpflichtet sich das Land, für den Erhalt des Brauchtums zu sorgen. Und nur mit der Aufnahme in das bundesweite Verzeichnis gibt es die Chance auf einen Eintrag auf die Unesco-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit – die größte Anerkennung für gelebte Tradition. Kunstministerin Marion Kiechle freut sich über die hohe Zahl an Bewerbern. Sie betont: „Die Menschen engagieren sich – meist ehrenamtlich – mit großer Leidenschaft vor Ort, um die selbst erfahrenen und gelebten Traditionen in die Zukunft zu tragen.“

Eine der bekanntesten vom Freistaat vorgeschlagenen Traditionen ist das Augsburger Friedensfest. Es entstand im Jahr 1650. Die Augsburger Protestanten feierten ursprünglich damit das 1648 durch den Westfälischen Frieden eingeleitete Ende ihrer Unterdrückung während des Dreißigjährigen Krieges. Seit dem 20. Jahrhundert stellt das mittlerweile ganz bewusst überkonfessionell und interreligiös ausgerichtete Fest die wechselseitige Achtung des Anderen und die Friedenssicherung in den Mittelpunkt. Tag des Festes – der 8. August – ist Deutschlands einziger städtischer gesetzlicher Feiertag.

Auch die rund 3000 Weihnachtsschützen im Berchtesgadener Land können auf die Aufnahme in das Bundesverzeichnis des immateriellen Kulturerbes hoffen. Sie sind in insgesamt 17 Vereinen organisiert, die seit 1925 im Verein der „Vereinigten Weihnachtsschützen des Berchtesgadener Landes“ zusammengefasst sind. Zu verschiedenen festlichen Anlässen lassen sie den alten Brauch des Böllerschießens mit ihren Hand- und Schaftböllern wieder aufleben. Dabei verstärkt der Widerhall im Berchtesgadener Talkessel die akustische Wirkung der verschiedenen Einzel-, Schnell- und Salvenfeuer auf besonders eindrucksvolle Weise.

Was wäre aber Bayern ohne sein Bier? „Am Zoigl gehen“, sagen die Einheimischen zu einer ganz besonderen Art von Biergenuss, der in der Oberpfalz 600 Jahre Tradition hat. Damals verliehen Gemeinden ihren Bürgern das Kommunbraurecht, das man heute wohl als Brau-Sharing bezeichnen würde. Alle Einwohner bekamen das Recht, statt zu Hause, im örtlichen Kommunbrauhaus zu brauen. Das gemeinsame Brauen sparte Arbeit und Kosten. Charakteristisch für die bis heute gelebte Oberpfälzer Zoiglkultur ist auch der mit intensiver Kommunikation begleitete Ausschank in wechselnden Lokalitäten. An den Verkaufstagen hängt meist ein sechszackiger Stern, der Zoiglstern, am Haus des Laien-Wirtes.

Braucht die Brauereikunst schon ein gewisses handwerkliches Geschick, stellt der Erhalt der traditionellen Baukultur von Jurahäusern im Altmühltal in dieser Hinsicht eine weit größere Herausforderung dar. Die historischen Jurahäuser sind geprägt durch eine Dachdeckung aus dünnen, nur an einer Kante gerade gehauenen Jurakalksteinplatten und einen schlichten kubischen Baukörper. Noch etwa 3000 solcher Häuser gibt es, und der 1984 gegründete Jurahausverein mit etwa 800 Mitgliedern hat es sich zur Aufgabe gemacht, sie zu erhalten. Dabei helfen sollen das in Eichstätt gegründete Museum „Das Jurahaus“ sowie eine Vielzahl von Aktivitäten wie Vorträge, Führungen, Workshops und Publikationen.

Die Nürnberger Naturhistorische Gesellschaft, gegründet 1801, ist einer der größten ehrenamtlich arbeitenden naturwissenschaftlichen Vereine Deutschlands. Ihre Aktivitäten stehen an der Schnittstelle von akademischer Wissenschaft und bürgerlicher Wissensgenerierung. So verbreitet die Gesellschaft mit etwa 1600 Mitgliedern nicht nur naturwissenschaftliches, archäologisches, vorgeschichtliches und völkerkundliches Wissen. Sie fördert auch Naturschutz und Denkmalpflege in Nürnberg und der Region.

Nürnberg besitzt noch etwas, das es so kein zweites Mal in der Welt gibt. Reich gestaltete metallene Relieftafeln auf den liegenden Grabsteinen der Nürnberger Friedhöfe St. Johannis und St. Rochus machen diese zu einem wichtigen Erinnerungsort. Sie geben Zeugnis über die bis ins 16. Jahrhundert zurückreichende Nürnberger Epitaphienkultur. Die Epitaphien sind individuell gestaltete biografische Botschaften, rund 6000 sind auf den beiden Friedhöfen erhalten.

Eine Tradition, die ebenfalls in Franken beheimatet ist, ist die Fürther Michaeliskirchweih, die zu den größten Stadtkirchweihen in Bayern zählt. Mit ihren Elementen des überkonfessionellen Kirchweihgottesdienstes, dem Kirchweihmarkt, der Wirtshauskärwa, dem Unterhaltungsbereich und dem in den Medien übertragenen Erntedankumzug soll sie stellvertretend für die traditionellen Kirchweihfeste in den Städten Frankens mit der Aufnahme in das Bundesverzeichnis geehrt werden.

Gleich zwei Mal nominiert: der Steigerwald

In Bayern feiert man, wie die Feste fallen: Schäferläufe, Hütewettbewerbe oder Schäfertänze zum Beispiel auch. Denn sie gehören zur Schafhaltung in Bayern einfach dazu. Weil die Schäferei gerade auch in Bayern seit Jahrhunderten eine prägende Wirkung auf verschiedene Kulturlandschaften – vor allem in Franken und Schwaben – hat, soll sie nun auch deutsches Kulturerbe werden.

Während die Schäfer Bayerns es immer wieder mit gefräßigen Wölfen zu tun bekommen, ist das Drechslerhandwerk von etwas anderem bedroht. Ihm geht der Nachwuchs aus. In Deutschland gibt es nur noch zwei Berufsschulen zum Erlernen dieser sehr alten Form der mechanischen Bearbeitung von Werkstoffen. Eine davon befindet sich in Bad Kissingen. Aber auch die Stadt Fürth ist als Sitz des Drechslerfachverbandes in Bayern ein wichtiges Zentrum im Hinblick auf die Weitervermittlung dieser handwerklich-tradierten Fähigkeiten und Techniken.

Und noch ein traditionelles Handwerk ist Anwärter für einen begehrten Platz auf der nationalen Liste: das Dörren von Obst. Es erfolgt im Steigerwald mittels holzbefeuerter Öfen auf sogenannten Därren. Verbunden ist diese seit vielen Generationen überlieferte Technik mit der Baumfelderwirtschaft, bei der auch die Flächen unter den Obstbäumen landwirtschaftlich genutzt werden. Die seit Generationen bestehende Herstellung von Dörrobst und Baumfelderwirtschaft im Steigerwald verbindet ein Wissen im Umgang mit der Natur und der tradierten Fähigkeiten der Lebensmittelkonservierung.

Im Steigerwald findet man aber auch die sogenannten Stockausschlagwälder. Laubbäume werden im Abstand von einigen Jahrzehnten abgeschlagen – also auf den Stock gesetzt, was vor allem der Gewinnung von Brennholz dient. Die Bewirtschaftung der rund 100 bäuerlichen Gemeinschaftswälder im Steigerwald erfolgt auf Basis eines breiten Spektrums an genossenschaftlichen Rechtsformen mit jahrhundertealten überlieferten Praktiken der Vermessung, des Einschlagens sowie Regelungen zur Verteilung des Holzes unter den etwa 2600 Waldrechtlern.

Nur alle vier Jahre lässt sich dagegen dieses Spektakel bewundern: die Agnes-Bernauer-Festspiele in Straubing. Sie werden im Innenhof des herzoglichen Schlosses als Freilichttheater aufgeführt. Agnes Bernauer ist eine legendäre, 1435 in Straubing hingerichtete Baderstochter. Die von rund 200 Laiendarstellern aus Stadt und Umland getragene Inszenierung findet im nächsten Jahr wieder statt. Und dann vielleicht als eines von Deutschlands neuen immateriellen Kulturerbe-Traditionen.
(Angelika Kahl) Bilder (alle dpa; von oben):
Gemeinsam essen: Auf dem Augsburger Rathausplatz gibt es jedes Jahr die Friedenstafel.
Historisches Gespann beim traditionellen Kärwa-Umzug in Fürth.
Finden 2019 wieder statt: die Agnes-Bernauer-Festspiele im Innenhof des Straubinger Schlosses.

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