Leben in Bayern

Die Bewässerung des Gartens ist Ali Fakhris Aufgabe – wichtiger aber sind Christa Bartels die Gespräche mit ihrem jungen Mitbewohner. (Foto: Stumberger)

01.04.2022

Eine ganz besondere WG

Der afghanische Student Ali Fakhri lebt bei der 88-jährigen Christa Bartels in Deisenhofen – statt Miete zu bezahlen, hilft der 40-Jährige im Haushalt

Wohnen für Hilfe heißt das Projekt, das mietfreies Wohnen für Auszubildende und Studierende mit der Alltagshilfe für Seniorinnen und Senioren verbindet. Eine Win-win-Situation für Christa Bartels und Ali Fakhri, der nach seiner Flucht aus Afghanistan in Deutschland beruflich noch einmal von vorne anfängt – und Umweltingenieur werden will. Erstmals seit Bestehen des Projekts fehlt es aber an jungen Leuten für diese speziellen WGs.

„Entscheidend sind die kleinen Sachen“, sagt Christa Bartels und ergänzt: „Wichtig ist auch die Kommunikation.“ Kleine Sachen – darunter fällt zum Beispiel das Wechseln der Batterien in der Wanduhr im Haus, das Schneeschippen im Winter oder das Rausbringen der Mülltonne. Das erledigt in diesem betagten Haus in Deisenhofen, einer kleinen Gemeinde im Süden Münchens, seit 2019 Ali Fakhri. Er ist aus Afghanistan geflohen, hat in Deutschland Asyl erhalten und wohnt nun im 14-Quadratmeter-Zimmer unter dem Dach in Bartels Haus. „Wohnen für Hilfe“ nennt sich das Programm, an dem Fakhri teilnimmt: Er kann umsonst wohnen und hilft dafür der Seniorin im Haushalt. Seit gut 25 Jahren bietet der Münchner Seniorentreff Neuhausen schon dieses Hilfsangebot an.

Seitdem hat der Verein fast 850 solcher Wohnpartnerschaften vermittelt, erklärt Ursula Schneider, die beim Seniorentreff für den Landkreis zuständig ist. Das Konzept beruhe auf der Idee der nachbarschaftlichen Hilfe und der Solidarität zwischen den Generationen. Älteren Menschen, die Hilfe im Alltag benötigen, soll damit ermöglicht werden, weiterhin selbstständig und eigenverantwortlich in den eigenen vier Wänden wohnen zu bleiben. Auf der anderen Seite will das Programm Studierenden oder Auszubildenden eine Wohnmöglichkeit in der für viele unerschwinglichen Stadt bieten. Jungen Menschen, die freilich auch „neugierig auf den Austausch mit älteren Menschen“ sein sollten.

In Deisenhofen scheint das Zusammenleben bestens zu klappen. Im Wohnzimmer des Einfamilienhauses sitzt die 88-jährige Christa Bartels und erzählt von ihren Erfahrungen. Durch einen Fernsehbeitrag sei sie mal auf das Programm aufmerksam geworden. Als ihr Mann dann 2015 verstarb, erinnerte sie sich daran.

Gemeinsame Erfahrung: Beide haben Krieg erlebt

Ali Fakhri ist bereits ihr dritter Gast im Rahmen des Programms. Zwei Studierende aus Bosnien lebten davor bei ihr. Der 40-jährige Fakhri ist in der afghanischen Hauptstadt Kabul aufgewachsen und flüchtete 2015 nach Deutschland. Nach seiner Anerkennung als Asylbewerber begann er an der Technischen Universität in München Umweltingenieurwesen zu studieren. Damals lebte er noch in der Flüchtlingsunterkunft, „aber weil es so laut war, konnte ich mich nur schwer auf den Lernstoff konzentrieren“, berichtet Fakhri. Eine Sozialarbeiterin hatte ihn dann auf das Programm „Wohnen für Hilfe“ aufmerksam gemacht. Der Afghane bewarb sich und zog nach einem Kennenlerngespräch mit Hausbesitzerin Bartels im September 2019 gleich bei ihr ein.

Seitdem kümmert Fakhri darum, wenn etwas im Haushalt zu reparieren ist. Er macht Einkäufe oder schließt den Gartenschlauch an und wässert den Rasen. Offiziell lautet die Formel: Pro Quadratmeter Wohnfläche soll eine Stunde Hilfe im Monat geleistet werden. Dafür wird für die Miete nur eine Pauschale für die Nebenkosten berechnet. Ali Fakhri müsste Christa Bartels 14 Stunden im Monat helfen, so genau wird das bei den beiden aber nicht abgerechnet. „Bedeutsam ist die Möglichkeit der Kommunikation“, betont die Seniorin noch einmal, „gerade in Corona-Zeiten.“ Und es gebe ja auch durchaus Berührungspunkte, sagt sie. Sie selbst habe noch den Weltkrieg erlebt und Ali Fakhri nun den Krieg in Afghanistan. Aber nicht nur darüber tausche man Erfahrungen aus. Die beiden unterhalten sich zum Beispiel auch über Fakhris Prüfungen an der Uni. Und ab und an kocht der junge Mann ein heimisches Gericht für beide.

Die Familie ist froh, dass Bartels nicht allein lebt

Die Familie von Bartels weiß natürlich über den Untermieter Bescheid – und es beruhigt sie sehr, dass die Seniorin in ihrem Haus nicht auf sich alleine gestellt ist. Außerdem betreut auch der Seniorentreff-Verein seine Programmteilnehmenden. Ursula Schneider ruft alle vier Wochen an und erkundigt sich, wie die Dinge laufen.

Manchmal laufen sie leider auch gar nicht so gut. So hatte man auch in der Gemeinde Seefeld westlich von München vor einiger Zeit versucht, ein „Wohnen für Hilfe“-Programm auf die Beine zu stellen. Aber „die Leute wollten keine Fremden im Haus haben“, erzählt Beatrice Kalchschmidt von der Nachbarschaftshilfe Seefeld. Außerdem habe es Probleme mit Mietverträgen und Vereinbarungen gegeben. So kam dort leider keine einzige Wohnpartnerschaft zustande.

Klar ist: Das Zusammenleben von Senior*innen und Studierenden ist mitunter eine sensible Sache. Beim Seniorentreff Neuhausen legt man deshalb großen Wert auf ein intensives persönliches Kennenlernen vorab. Danach entscheiden dann beide Seiten, ob sie das Zusammenleben probieren wollen. „Uns ist es ein großes Anliegen, dass die Wohnpaare sich sympathisch finden und zusammenpassen“, betont man beim Seniorenverein. Deshalb sollten die Vermieter keine Scheu haben zu sagen, wenn der oder die „Richtige“ noch nicht dabei war.

Formal schließen beide Seiten miteinander eine Vereinbarung zur Wohnraumüberlassung ab. Die ersten vier Wochen gelten als Probezeit. In dieser Zeit kann die Wohnpartnerschaft von beiden Seiten sofort beendet werden. Danach kann dem Untermieter spätestens zum 10. eines Monats zum Monatsende schriftlich gekündigt werden.

In manchen Wohnpartnerschaften habe es natürlich auch schon Probleme gegeben, aber eher selten, zieht Ursula Schneider Bilanz. So waren manche Studierende, die auch noch einen Nebenjob hatten, mit der Hilfe im Haushalt überfordert gewesen.

Das erste Mal seit Bestehen von „Wohnen für Hilfe“ gibt es in diesem Jahr zu wenig junge Menschen für das ungewöhnliche Wohnkonzept. Derzeit sind im Landkreis München vier Wohnungsmöglichkeiten unbesetzt. Der Grund: Wegen Corona blieben viele Studierende zu Hause wohnen.
(Rudolf Stumberger)

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