Ein Spätnachmittag in einem Supermarkt an der Münchner Balanstraße. Im dortigen V-Markt herrscht der übliche Betrieb auf den drei Etagen Verkaufsfläche, die Kunden sind zwischen der Gemüseabteilung und der Wursttheke unterwegs, Toilettenpapier gibt es im Untergeschoss, Kleinmöbel auf der oberen Etage. Ab und zu hört man eine Durchsage für das Personal, im Hintergrund dudelt Musik, wie in Supermärkten gerne üblich. Doch es ist Freitag und Punkt 18 Uhr verstummt die musikalische Beschallung: Jetzt ist hier im V-Markt die „Stille Stunde“ angesagt.
Zwei Stunden Ruhe pro Woche
Jeden Freitag von 18 bis 20 Uhr gibt es dann keine Musik, keine Werbedurchsagen, und die Handys sollen freiwillig auf stumm geschaltet werden. „Das wird von den Kunden positiv aufgenommen“, weiß Unternehmenssprecher Martin Glöckner. Und immer mehr Supermärkte in Bayern setzen auf die beschallungsfreie Zeit, zuletzt im Juni ein Edeka-Laden in Bayreuth – auch wenn der Handelsverband Bayern meint, die Zahlen lägen noch im „homöopathischen“ Bereich.
Wer den Supermarkt an der Balanstraße betritt, kann auf einem Plakat über die Stille Stunde lesen, dass das Leben in der heutigen Zeit von ständiger Reizüberflutung geprägt sei. Insbesondere für Menschen mit Autismus oder anderen sensiblen Bedürfnissen könnten alltägliche Situationen wie der Einkauf zur Herausforderung werden. „Deshalb möchten wir mit der Stillen Stunde den Kundinnen und Kunden eine reizreduzierte Zeit zum Einkaufen anbieten.“
Die Idee stammt von einem Angestellten mit autistischem Kind
Seit gut einem Jahr wird in den V-Märkten diese Stille Stunde praktiziert und das lärmfreie Einkaufen ist mittlerweile zu einer Bewegung geworden. So setzt sich der Verein „gemeinsam zusammen e. V.“ bundesweit dafür ein. Auf der Homepage des Vereins ist zu lesen, die Idee für die „Quiet Hour“ stamme von einem gewissen Theo Hogg, einem Angestellten in einem neuseeländischen Supermarkt mit autistischem Kind. Dort werde die Stille Stunde „flächendeckend praktiziert“. Dem Verein geht es um den „Abbau von sensorischen Barrieren“. Kaum jemand wisse, dass Fachkräfte jahrelang mit ihren autistischen Klienten übten, damit diese überhaupt einkaufen gehen könnten. Es sei ein „verstecktes Leid – leise, angepasst und hinter verschlossenen Türen“.
Der Bewegung hin zum stillen Einkaufen hat sich auch die Lebenshilfe Ostallgäu angeschlossen, auf ihre Initiative hin, so V-Markt-Sprecher Glöckner, habe sich das Unternehmen zu der Einführung der Stillen Stunde entschlossen. Die Lebenshilfe Ostallgäu unterstützt nach eigenen Angaben „seit 1964 Menschen mit geistigen, seelischen und körperlichen Beeinträchtigungen“. Mit rund 2000 unterstützten Personen und über 750 Mitgliedern verfolge der Verein das Ziel, die selbstbestimmte Teilhabe der Betroffenen zu fördern.
Die Kunden schätzen das Angebot
Bei der Kundschaft scheint die Aktion jedenfalls anzukommen. „Ich weiß die Stille Stunde, die Sie am Freitagabend einrichten, sehr zu schätzen!“, so die Reaktion einer Kundin an den V-Markt. Die Logopädin hat beruflich viel mit Personen zu tun, die an Reizüberflutung leiden, darunter Kinder mit Sprachverarbeitungsproblemen, Personen mit Problemen in der Aufmerksamkeitssteuerung und Personen mit Autismus.
Laut dem Verband Autismus Deutschland sind davon bundesweit zwischen 600 000 und 800 000 Menschen betroffen. Lebenshilfe-Geschäftsführer Klaus Prestele: „Diese Zielgruppe, also Menschen mit Autismus, finden das ein gutes Angebot.“
Aber warum gibt es überhaupt Musik in den Supermärkten? Eine Antwort auf diese Frage gab jüngst eine Studie. In ihr wurde untersucht, welchen Einfluss die Musik auf Menschen bei ihren Konsumentscheidungen nimmt. Dazu wurden 200 Betriebe beobachtet, in denen eine Woche Musik gespielt wurde und eine Woche keine. Das Ergebnis: Mit Musikbeschallung konsumieren die Kunden mehr als ohne. Im Einzelhandel macht das durchschnittlich 8 Prozent mehr aus, in der Gastronomie 5,4 Prozent.
Musik beeinflusst das Tempo und die Stimmung der Konsumenten
Die Musik beeinflusst, so die Studie, vor allem das Tempo und die Stimmung der Konsumenten: „Die Ergebnisse sind statistisch validiert und zeigen einen klaren kausalen Zusammenhang zwischen Hintergrundmusik und Umsatzsteigerung.“ Die „Music Impact Studie“ wurde im Auftrag der Gema durchgeführt, der bekanntesten Verwertungsgesellschaft für Werke der Musik. Und je öfter diese gespielt wird, desto höher die Einnahmen der Gema.
Kein Wunder, dass Johannes Everding, Direktor Geschäftsentwicklung bei der Gema, angesichts der Ergebnisse der Auftragsstudie frohlockt: „In einer Zeit, in der Unternehmen, vom kleinen Blumenladen bis zum Supermarkt, der Eckkneipe oder dem Restaurant, mit sinkenden Umsätzen und zunehmend preissensiblen Kundinnen und Kunden zu kämpfen haben, zeigt die Studie eindrucksvoll, welchen wirtschaftlichen Mehrwert Musik schaffen kann.“
Gibt es wirklich spürbare Umsatzsteigerungen?
Die Studie belege, dass sich die Investition in „Hintergrundmusik für Gastronomiebetriebe und Händlerinnen und Händler vielfach“ durch „spürbare Umsatzsteigerungen und ein deutlich verbessertes Kundenerlebnis“ auszahle. Demgegenüber stellt die Stille Stunde also einen Umsatzkiller dar? Eine Veränderung der Umsätze während der musiklosen Zeit sei „nicht messbar“, so dazu V-Markt-Sprecher Martin Glöckner. (Rudolf Stumberger)
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