Leben in Bayern

Rainer Brandl betreibt in Pfarrkirchen einen digitalen Dorfladen. (Foto: dpa/André Paul)

17.02.2023

Einkaufsmodell der Zukunft – für Technikfans

Eine rund um die Uhr zugängliche digitale Dorfladenbox kann die Lösung für Kommunen ohne eigenen Supermarkt sein

In mehr als 100 bayerischen Gemeinden sind innerhalb der letzten zehn Jahre neue Dorfläden entstanden, viele als Kooperative. Doch auf jeden neuen Dorfladen kommen sechs zuvor geschlossene Geschäfte. Jeden Monat machen fünf kleine Läden im Freistaat zu. Oft wissen die Bürgermeister*innen nicht, wie sie rettend eingreifen können.

Der SPD-Landtagsabgeordnete Klaus Adelt hat ausgerechnet, dass mehr als 500 bayerische Gemeinden keinen Lebensmittelladen mehr besitzen; rund 150 davon nicht mal mehr eine Bäckerei. „Seit 2005 schwinden die Lebensmittelläden im zweistelligen Prozentbereich“, klagt der Parlamentarier.

Eine der häufigsten Ursachen für das Aus ist, dass die Einnahmen nicht die Kosten decken: Die Verkäuferinnen – es handelt sich überwiegend um Frauen, die das meist als Nebenjob betreiben – sind trotz der eher niedrigen Gehälter zu teuer. Dorfläden können eben bei den Personalkosten nicht kalkulieren wie etwa Norma, Penny oder Lidl. Obendrein beharren die Frauen meist auf familienfreundlichen Arbeitszeiten. Aber nicht jeder auswärts Berufstätige schafft es, zwischen 9 und 17 Uhr einzukaufen.

Doch womöglich gibt es jetzt eine Lösung des Problems. Zu sehen ist sie in der Stadt Pfarrkirchen im Landkreis Rottal-Inn: Niederbayerns erste digitale Dorfladenbox; insgesamt gibt es im Freistaat nur zwei oder drei. Die Idee stammt aus Österreich.

Zugang zum Laden über einen eigenen QR-Code

Und so funktioniert es: Zunächst benötigt man die eigene Dorfladenbox-App, sie ist kostenlos herunterzuladen im App Store. Über einen eigenen QR-Code in der App erhält man Zugang zu dem 3 mal 5 Meter kleinen Geschäft und kann in der Box einkaufen. Nach dem Scannen der Produkte geht man im Warenkorb auf „jetzt bezahlen“, die IBAN des Girokontos muss vorher hinterlegt werden. Pfandflaschen- und gläser können in den Boxen zurückgegeben werden und das Pfand wird wieder gutgeschrieben.

Einmal im Monat werden die Einkäufe dann gesammelt vom Bankkonto abgebucht. Theoretisch lässt sich in der Box rund um die Uhr und an 365 Tagen im Jahr einkaufen.

Ja, das klingt toll und einfach – wenn man denn eine Affinität zur modernen Smartphone-Technik hat. Ältere Kundschaft dagegen tut sich freilich auch mal schwer, was man an diesem Freitagmittag erleben kann: Ein älterer Kunde hat seinen Warenkorb bereits voll – aber das Scannen der Preise mit dem Handy will ihm nicht recht gelingen. Bereits der Einlass über den QR-Code misslingt im ersten Anlauf und die Tür bleibt zu.

Gut, dass sich zu diesem Zeitpunkt auch der Betreiber Rainer Brandl in der Box aufhält und dem älteren Kunden zur Hand gehen kann. Ende vergangenen Jahres startete der 56-jährige Niederbayer sein Projekt – er hat es sich im Nachbarland Österreich abgeschaut. Bereits im Eröffnungsmonat Dezember konnte er rund 300 Kund*innen verzeichnen. Und die Mundpropaganda wirke, berichtet Rainer Brandl: So habe sich etwa der Chef vom Stadtmarketing aus Osterhofen im Landkreis Deggendorf bei ihm gemeldet – er möge eine solche Box doch auch bei ihm errichten.

Dass die Technik für manche Leute eine gewisse Herausforderung darstellen kann, verneint Brandl nicht. Aber er muss sich absichern – eben weil ein Modell auf Vertrauensbasis von skrupellosen Schuften ausgenutzt wird. „Gleich im ersten Monat hat jemand für 400 Euro eingekauft“, berichtet der Betreiber. „Und als wir dann Anfang Januar unser Geld abbuchen wollten, war das Girokonto bereits wieder aufgelöst.“ Es sei ihm leider nicht anderes übrig geblieben, als „für die Zukunft einen Vertrag mit einem Inkassounternehmen abzuschließen“.

Die Idee zu der Dorfladenbox kam Rainer Brandl nach einer mit gesundheitlichen Problemen verbundenen Lebenskrise. Als begeistertes Mitglied des Alpenvereins sei er schon immer an einer naturnahen Lebensweise und gesunder Ernährung interessiert gewesen, berichtet der Neuunternehmer, der vor dem Start eine Schulung zum zertifizierten Betriebswirt absolvierte. Deshalb dominieren in seiner Dorfladenbox auch regionale Produkte – von Wurst, Fleisch und Käse über Haferflocken und Müsli bis zu Säften und Bier.

38 Lieferant*innen verzeichnet er inzwischen – alle aus der Region zwischen Landshut und Passau, versichert Rainer Brandl, der seine Leute auch alle persönlich kennt: „Dieser Pfefferhändler beispielsweise hat eine ähnliche berufliche Umorientierung wie ich durchgemacht“, sagt er und nimmt eine Pfeffermühle der Marke Würzholz in die Hand. „Früher hat der Mann in einer Schreinerei gearbeitet.“ Die Lieferfirmen bestücken die Regale selbst.

Und die ökologische Ausrichtung der Dorfladenbox hört bei den Lebensmitteln drinnen nicht auf. Das Dach hat Rainer Brandl mit Photovoltaikplatten bestückt und kann so in Eigenleistung 800 Watt einleiten. (André Paul)
 

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