Leben in Bayern

Industriespionage 1791: Georg Reichenbachs Notizbuch mit Englands modernsten Dampfmaschinen. (Foto: Stumberger)

02.03.2018

Einstein und der Dampfhammer

Im Archiv des Deutschen Museums lagern Millionen wertvoller Originaldokumente zur Technikgeschichte – am Tag der Archive lassen sich viele dieser Schätze bestaunen

Abgelegt ist das Buch unter der Rubrik „Spionage“. Denn in der Tat, was der damals 21-jährige Georg Reichenbach 1791 betrieb, war Industriespionage im engeren Sinne. Im Auftrag des bayerischen Kurfürsten reiste der Militärschüler nach England, um dort die neuesten Dampfmaschinen kennenzulernen – und ihre Funktionsweise. Dazu verschaffte er sich nächtens Zutritt in der Fabrik von Boulton & Watt in Soho bei Liverpool. Dort standen die modernsten Maschinen der damaligen Zeit.

Heute lagern Reichenbachs Erkenntnisse, aufgezeichnet und abgezeichnet in einem Notizbuch, im Archiv des Deutschen Museums. Es ist nur eines von Tausenden Originaldokumenten, die auf 4,7 Regalkilometern im Bibliotheksgebäude auf der Münchner Musuemsinsel verwahrt werden.

Wer die schwere, metallbeschlagene Eingangstüre hinter sich gebracht hat, findet sich in einem Bau der 1930er-Jahre wieder. Das Archiv des Deutschen Museums ist hinter einer schweren Brandschutztür auf der dritten Etage des Gebäudes untergebracht. Dort hat auch Archivleiter und Historiker Wilhelm Füßl sein Büro. Er führt die Besucher durch die Flure, von deren Fenstern aus die beiden Arme der Isar zu sehen sind. Der Weg führt hinein in das Zentrum des Archivs, den Lagerraum mit den auf Schienen laufenden Verschieberegalen. „Wir verfügen hier über eine Reihe von hochinteressanten Sammlungen“, erklärt Füßl, „zum Beispiel verwahren wir hier rund 300 Nachlässe von bedeutenden Naturwissenschaftlern, Erfindern und Ingenieuren“. Die Betonung liegt dabei auf „bedeutend“. Denn es werden zwar immer wieder Nachlässe angeboten, erzählt Füßl. „Aber die meisten lehnen wir ab.“ Dann nämlich, wenn der Nachlassgeber nicht bedeutend genug war, um sich in die Annalen der Technikgeschichte einschreiben zu können.

Ebenfalls erhalten: Die erste Fotografie Bayerns

Für das Spionagebuch und seinen Verfasser galt das freilich nicht. Reichenbach wurde nach seiner Rückkehr nach Bayern bekannt durch seine optisch-mechanische Werkstätte, die er mit dem Unternehmer Josef von Utzschneider und dem Feinmechaniker Joseph Liebherr 1804 gegründet hatte. Außerdem bereitete er der Dampfmaschine in Bayern den Weg, er konstruierte die Soleleitungen von Bad Reichenhall und wurde schließlich in den Adelsstand erhoben.

Am Samstag, den 3. März, können alle Interessierte einen Blick in diese Schatzkammer des Deutschen Museums werfen – anlässlich des bundesweiten „Tag der Archive“, der heuer unter dem Motto „Europa – Wissen ohne Grenzen“ steht. Nie gezeigte, einmalige Dokumente werden dabei präsentiert. So befindet sich im Deutschen Museum auch der Nachlass von Herman Sörgel (1885 bis 1952), dem Vater des legendären Atlantropa-Projekts. Der Münchner Architekt wollte mit einem gigantischen Bauvorhaben die Straße von Gibraltar mit einem Staudamm verschließen und das Mittelmeer zum Teil trockenlegen. Aus den Papieren Sörgels lassen sich die Dimensionen der Vision ersehen.

Regelmäßige Magazinführungen bieten darüber hinaus einen Blick hinter die Kulissen mit Entdeckungen aus den Beständen des Archivs. Etwa die Entwurfsskizze des Dampfhammers „Fritz“ aus der Feder von Alfred Krupp von 1859. Damit die gigantischen Ausmaße des Hammers deutlich werden, hat der spätere Stahlbaron ein Männlein in die Skizze hineingezeichnet – der Mensch erscheint winzig im Vergleich zur riesigen Maschine. Aber auch das Sonnenspektrum von Joseph von Fraunhofer und das Laborbuch von Otto Hahn sind zu sehen.

Im Archiv lagern aber auch noch jede Menge anderer Prunkstücke. Zum Beispiel eine Handschrift des Bischofs und Gelehrten Albertus Magnus aus dem Jahr 1260 über die Physik des Aristoteles – in feiner, gestochen scharfer Schrift. Oder die Urkunde und die Goldmedaille des Nobelpreises von 1905 für den Physiker Pilipp Lenard. Er erhielt die Auszeichnung für seine Forschungen zu den Kathodenstrahlen, die später das Fernsehen ermöglichten. In den 1920er-Jahren wurde Lenard zu einem der Hauptgegner von Einsteins Relativitätstheorie und schrieb in den 1930er-Jahren vier Bände über eine „Deutsche Physik“.

Aber auch Einstein ist auf der Museumsinsel vertreten. Archivleiter Füßl zieht sich seine weißen Baumwollhandschuhe an und nimmt eine Postkarte in die Hand. „Herzlich danke für Ihren freundlichen Brief verbleibe ich Ihr Sie verehrender Schüler“, liest Füßl vor. Geschrieben hat diese Zeilen Albert Einstein am 17. August 1909 aus dem schweizerischen Bern in schön leserlicher Schrift an die Adresse „Gerstenhoferstr. 144“ in Wien. Dort lebte damals der Physiker Ernst Mach, der auf dem Münchner Nordfriedhof begraben ist. Mach war der Namensgeber der Einheit der Schallgeschwindigkeit und beschäftigte sich philosophisch mit dem sogenannten Empiriokritizismus, wonach Erkenntnisse auf empirischen Tatsachen beruhen. Auch der Nachlass von Mach findet sich im Archiv.

Gegründet im Jahre 1903 zählt das Archiv des Deutschen Museums zu den weltweit führenden Spezialarchiven zur Geschichte der Naturwissenschaften und Technik. Allein über 160 000 Einzelstücke – Briefe, Notizbücher, Pläne – umfasst die Sammlung der Firmenschriften. Im Bildarchiv wiederum befinden sich rund 1,4 Millionen Aufnahmen. Darunter die erste Fotografie in Bayern. Sie stammt von Carl August von Steinheil aus dem Jahre 1839 und zeigt die Kaufingerstraße mit Blick auf den Marienplatz.
(Rudolf Stumberger)

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