Leben in Bayern

Im Rahmen des „Historischen Heimatspiels" ziehen Laiendarsteller in historischen Kostümen durch die Innenstadt. Das Heimatspiel von Münnerstadt ist eines der ältesten Freilichtspiele Frankens und erzählt von einer jungen Liebe und der Errettung Münnerstadts im Dreißigjährigen Krieg. (Foto: dpa/Nicolas Armer)

31.08.2022

Fast 400 Jahre ist der Dreißigjährige Krieg vorbei

Doch die Münnerstädter in Unterfranken lassen ihn mit einem Laientheater immer wieder aufleben

 Erst herrscht plötzliche Stille, dann ist lautstarker Freudenjubel zu hören. Die Feinde sind abgezogen! Ausgelassen feiern die in altmodische Gewänder gekleideten Bürger des unterfränkischen Münnerstadt im Landkreis Bad Kissingen. Wie eine Zeitreise wirkt das Treiben in der fachwerkgeschmückten Innenstadt.

Das Heimatspiel "Die Schutzfrau von Münnerstadt" soll an den Dreißigjährigen Krieg und die Belagerung der Stadt durch schwedische Truppen im Jahr 1641 erinnern. Der Legende nach hat damals die Jungfrau Maria die Stadt geschützt und die feindlichen Kugeln aufgefangen. Die Feinde sollen aus Furcht vor Maria abgezogen sein.

Seit 1927 wird das Laientheater aufgeführt. Heuer dreimal. Jedes Mal schauen etwa 200 bis 400 Zuschauer zu. Zusätzlich findet im September stets die sogenannte Schwedenprozession statt. Dabei ziehen die Bürger in historischen Gewändern zu den Stadttoren, um Maria zu danken. Im März wurden beide Traditionen - Theater und Prozession - in die Liste des Immateriellen Kulturerbes in Bayern aufgenommen.

Gemeinsam etwas Großes auf die Beine stellen

"Es ist schön, in einer Gruppe zu sein und gemeinsam so etwas Großes auf die Beine zu stellen", sagt die 25-jährige Vanessa Geiling, die kürzlich ins Stadtzentrum gezogen ist und heuer das erste Mal mitspielt. Sie ist eine von etwa 220 Akteurinnen und Akteuren des Heimatspiels. Manche Menschen spielen ihr Leben lang in wechselnden Rollen mit. Eine Sprechrolle haben nur die wenigsten. Auch Geiling nicht. "Ich bin jemand, der sich lieber im Hintergrund hält, und hier kann ich mit wenig Aufwand dabei sein. Das finde ich klasse", sagt sie. Als sogenannte Schnitterin (Erntehelferin) tanzt sie und sorgt dafür, dass der Eindruck entsteht, die ganze Stadt feiere.

Obwohl immer wieder neue Menschen wie Geiling aus eigenem Anstoß zu der Theatergruppe hinzustoßen, muss sich die Gruppe um Nachwuchs bemühen. "Gerade bei den jungen Leuten ist das nicht einfach", sagt die Vorsitzende des Heimatspielvereins Claudia Kind. Die Theatergruppe wirbt daher unter anderem in Schulen.

Mühe um Nachwuchs ist kein Einzelfall. Dass Werbung nötig ist, berichtet auch die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Mundart-Theater Franken Veronika Klose. Sie bemängelt, dass es weniger Schultheater gebe. Zudem sei Corona ein starker Einbruch gewesen. "Manche Gruppen haben Probleme, jetzt wieder in die Pötte zu kommen", so Klose. Aber mit guter Jugendarbeit fehle es nicht an Spielern. "Es gibt überall Leute, die Theater spielen möchten, man muss das nur ein bisschen kitzeln."

Keine Seltenheit

Tatsächlich sind Geschichtstheater längst keine Seltenheit. Festspiele wie in Münnerstadt gibt es in Bayern unter anderem in Dinkelsbühl (Kinderzeche Dinkelsbühl), Waldmünchen (Trenck der Pandur vor Waldmünchen), Kitzingen (Kitzinger Häckerchronik), Furth im Wald (Further Drachenstich) und Landshut (Landshuter Hochzeit). Hinzu kommen kleine Theatergruppen, die oft in Wirtshäusern, Schulen oder Gemeindehäusern spielen. Sie widmen sich manchmal eher jüngerer Geschichte wie zum Beispiel der Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Andere führen Possen über kleine Lokalanekdoten auf. Wieder andere setzen nicht auf klassische Theateraufführungen mit Sitzplätzen, sondern veranstalten historische Führungen.

Beim Bund Deutscher Amateurtheater (BDAT) mit Sitz in Berlin nimmt die Anzahl der Mitgliedsbühnen nach eigenen Angaben sogar seit 20 Jahren kontinuierlich zu. Bayern und Baden-Württemberg seien die stärksten Verbände. "Gerade in Süddeutschland haben wir viele Bühnen, die sich mit Stadthistorie beschäftigen", sagt BDAT-Referent Dominik Eichhorn. Aber auch der BDAT bemüht sich um Nachwuchs. Er versucht, gezielt Menschen mit Migrationshintergrund anzusprechen und möchte den Begriff "Heimat" in "Heimattheater" breiter gefasst wissen.

Eine Herausforderung besteht offenbar darin, neue Leute für teils sehr alte Stücke zu begeistern. Der Text der "Jungfrau von Münnerstadt" beispielsweise ist seit 1927 unverändert. Geschrieben hat ihn ein örtlicher Pfarrer. Was die einen als Traditionsbewahrung loben, stößt anderen sauer auf. Claudia Kind erzählt, dass beim Satz "Allmächtiger, sind's die Christen oder die Türken?" immer wieder ein Raunen durchs Publikum gehe. Auch mit der Marienverehrung, die im Fokus des Stückes steht, dürften viele Bürger nicht mehr viel am Hut haben. Nimmt doch die Zahl der Kirchenmitglieder beständig ab.

Pferde spielen mit

Religiöse Legenden, veraltete Frauenbilder, mitspielende Pferde und die Gefahr von Geschichtsverklärung - Anlass für Diskussion gäbe es viele bei historischen Theaterstücken. "Manche Bühnen versuchen, ihren Geschichtsstücken einen aktuellen Charakter zu geben und alles zu eliminieren, was aus der Zeit gefallen ist", sagt Michael Ritter vom Bayerischen Landesverein für Heimatpflege. Gleichzeitig seien in den vergangenen Jahrzehnten etliche neue Stücke entstanden, die Ausdruck eines gewachsenen Heimatbewusstseins seien. Anlass sei oft ein Ortsjubiläum.

Nicht jedes Geschichtsspiel überlebt. Die Schlossfestspiele in Wörth an der Donau (Landkreis Regensburg) beispielsweise haben nur von 1952 bis 1969 gehalten. Dann waren sie zu teuer, das Interesse zu gering. Auch in Münnerstadt begeistern sich nicht alle für das historische Treiben. "Schnitterin" Vanessa Geiling ist Antiquarin und daher generell geschichtlich interessiert. Ihr Freund Philipp Michel kann dem Stadtspiel hingegen wenig abgewinnen. Obwohl er als Kind mitgespielt hat. "Ich bin aus der Rolle rausgewachsen und heute interessiert es mich einfach nicht mehr genug", sagt der 25-Jährige.
(Vanessa Köneke, dpa)

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