Leben in Bayern

Käthe Kruse 1955 mit zwei von ihr gestalteten Puppen auf der Nürnberger Spielwarenmesse 1955. (Foto: dpa)

02.04.2015

Freidenkerin mit Geschäftssinn

Wilde Ehe, Künstlerkolonie und Gründergeist: Von den Konventionen ihrer Zeit ließ sich Käthe Kruse nie bremsen – noch heute leben ihre Ideen in Donauwörth weiter

Sie war weit mehr als die Puppenmutter der Nation: Käthe Kruse war ihrer Zeit weit voraus. Statt sich mit der Rolle der Mutter und Hausfrau zu begnügen, baute sie in wenigen Jahren ein erfolgreiches Unternehmen auf. Am Karsamstag erzählt die ARD ihr Leben. Was der Film nicht zeigt: Bayern wurde Kruses Heimat. Und dort gibt es noch heute jede Menge Spuren dieser außergewöhnlichen Frau. Ein Fußweg führt am munter dahinplätschernden Kaibach entlang zur einstigen Villa Kruse. Das leuchtend-gelbe Gründerzeithaus im Zentrum von Donauwörth macht was her, aber man muss schon wissen, was man sucht. Keine Plakette, kein Wegweiser deutet darauf hin, dass in dem Gebäude an der Kapellstraße einmal Deutschlands berühmteste Unternehmerin gewohnt hat. Immerhin, ein kleiner Weg in der Nähe heißt seit 1983 Käthe-Kruse-Weg. Während die berühmten Puppen in dem beschaulichen Städtchen allgegenwärtig sind, bleibt die Frau dahinter ein wenig im Schatten.
Der Name Käthe Kruse ist untrennbar mit den Puppen verbunden, für die Eltern immer schon ein bisserl tiefer in die Tasche greifen mussten. Die wenigsten wissen, dass sich dahinter auch eine erfolgreiche Schauspielerin, Künstlerin und Freidenkerin verbirgt, die sich aus einfachen Verhältnissen emporarbeitete und immer wieder gegen gesellschaftliche Konventionen auflehnte. Ein ARD-Film erzählt am Karsamstag um 20.15 Uhr das bewegte Leben der Kruse – zumindest die frühen Jahre.

Mit Puppen sollten Mädchen die Rolle als Mutter üben

Als Katharina Simon wurde sie am 17. September 1883 unweit von Breslau als uneheliches Kind einer Näherin geboren und ging mit 17 als Theaterschauspielerin nach Berlin. Anfang 1902 begegnete sie Max Kruse, dem damals das Etikett „schönster Mann von Berlin“ anhaftete. Der Bildhauer war um die Jahrhundertwende eine Berühmtheit und 29 Jahre älter als Katharina. Dennoch wurden die beiden ein Paar und lebten – damals ein Skandal –  jahrelang in wilder Ehe, bevor sie 1909 schließlich heirateten. „Für sie rückten soziale Etablierung und persönliches Glück in greifbare Nähe, er dagegen fühlte sich durch ihre Vitalität geradezu verjüngt“, sagt Gabriele Katz, Autorin der Biografie Käthe Kruse.
Die Beziehung, aus der sieben Kinder hervorgingen, war problematisch. „Herzlieb“ Max hielt seine Frau auf Distanz – räumlich wie emotional. „Trotz allem war er es, der ihre kreative Begabung weckte“, sagt Katz. Und er gab letztlich den Anstoß zur ersten Puppe. Losgeschickt, eine Puppe für Töchterchen Maria zu kaufen, fand er nichts, was ihm gefiel. „Macht euch selber welche“, so sein Kommentar. Gesagt, getan – Käthe, die zu der Zeit mit zwei Kindern und ihrer Mutter in einer Freidenkerkolonie auf dem Monte Verità in der Schweiz lebte, probierte ein bisschen mit Handtuch, Sand und einer Kartoffel, und fertig war die erste, freilich noch sehr einfache Käthe-Kruse-Puppe.
Dazu muss man wissen, dass Puppen um 1900 weniger zum Spielen gedacht waren als zur Vorbereitung der Mädchen auf ihre spätere Rolle als Frau. Sie waren meist aus Porzellan und sahen aus wie erwachsene Damen. Kruse dagegen gab ihren Puppen, die sie mit handwerklicher Hilfe von Ehemann Max perfektionierte, einen weichen, lebensechten Körper und einen kindlichen, gefühlsneutralen Blick, der den Gemütszustand des Kindes widerspiegeln sollte. Kruses Credo: „Eine Puppe muss zum Liebhaben sein.“
Robust, schnörkellos und praktisch war die berühmte Puppe I, die seit 1910 in Serie ging, handgearbeitet und von hoher Qualität. „Käthe Kruse hat die Kinder wirklich ernst genommen, etwas Billiges wollte sie ihnen nicht geben“, sagt Thomas Heitele, Direktor des Käthe-Kruse-Puppenmuseums in Donauwörth. Dahinter stand ein neuer reformpädagogischer Ansatz, der das selbstbestimmte Spiel der Kinder in den Vordergrund rückte. Über die Puppen sollten die Mädchen spielerisch Fürsorge und Mütterlichkeit lernen. Was aus heutiger Sicht reaktionär wirkt, war damals eine kleine Revolution im Kinderzimmer, die Presse bejubelte die Kruse-Puppe gar als „Ei des Kolumbus“.
Eine Spielzeugausstellung im Berliner Warenhaus Tietz im Oktober 1910 brachte den Durchbruch. Die Nachfrage wuchs, auch aus dem Ausland, und 1912 eröffnete in Bad Kösen im heutigen Sachsen-Anhalt eine Produktionsstätte, in der mehr als 30 Jahre lang die berühmten Puppen hergestellt wurden. Die Chefin überließ nichts dem Zufall. Kein Füßchen, kein Kopf, kein Schnittmuster, das nicht von ihr persönlich kontrolliert wurde. Jeden Abend soll sie das Regal mit der Tagesproduktion inspiziert haben und kleine Zettelchen mit Nachbesserungswünschen an die Puppen geheftet haben. Aus ihrer Anmerkung „Schielböckchen“, wenn die Blickrichtung der Augen nicht haargenau stimmte, entstand sogar ein eigener Puppentyp.
Kriege und Krisen machten Käthe Kruse erfinderisch, dennoch hielt sie eisern an ihrem Qualitätsanspruch fest. Und: Sie war eine Meisterin der Selbstvermarktung. Sie inszenierte ihre Puppen in idyllischen Szenen für Postkarten, Kalender und Kinderbücher, hielt Diavorträge und schulte Verkäuferinnen. „In Aufsätzen und Zeitungsartikeln wurde sie nicht müde, die überragende Ästhetik und den pädagogischen Wert ihrer Geschöpfe zu preisen“, sagt Biografin Katz. 1925 schrieb Kruse Geschichte, als die den Spielzeug-Giganten Bing in einem spektakulären Urheberrechtsprozess in die Knie zwang, der mit einer billigen Kopie Kasse machen wollte.

Billige Kopien: Kruse zwang Spielzeug-Gigant in die Knie

Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Enteignung drohte, floh die Familie nach Bayern. Nach dem Tod zweier Söhne und ihres Ehemannes wagte die 67-jährige Käthe Kruse den Neuanfang im Westen. In einer leerstehenden Schuhfabrik im kriegszerstörten Donauwörth fand das Traditionsunternehmen eine neue Heimat. Und hier steht es bis heute. 1952 übernahmen ihre Tochter Hanne und deren Ehemann Max Adler das Firmenruder. Die beiden brachten frischen Wind und wirtschaftlichen Aufschwung ins angestaubte Puppengeschäft – mit Frottee- und Schaumstoffpuppen etwa, und der Herstellung von Babyspielzeug. Die umtriebige Matriarchin dachte aber noch lange nicht an Ruhestand. Noch immer besuchte sie Messen, gab Kurse und Interviews und reiste durch die Lande, um Schaufenster großer Kaufhäuser mit ihren Puppen zu dekorieren – die Herstellung lebensgroßer Kinderpuppen war seit den 30er-Jahren ein erfolgreicher Produktionszweig geworden. 1956 zog die 73-Jährige mit Tochter Maria in eine Wohnung in München-Schwabing. Am 19. Juli 1968 starb sie in Murnau.

Ihren eigenen Kindern verwehrte sie die Unabhängigkeit

Die Firma stand für Käthe Kruse ein Leben lang im Vordergrund – auch auf Kosten ihrer Familie. Die Unabhängigkeit, die sie sich selbst erkämpft hatte, verwehrte sie ihren Kindern. Schon in jungen Jahren waren alle eng in den Produktionsprozess eingebunden. Zwar inszenierte sie sich öffentlich gern als liebende Mutter. Dennoch ließ die eiserne Firmenchefin ihren Kindern wenig Raum zur Entfaltung eigener Talente. Immerhin konnten sich einige noch spät verwirklichen, Sohn Max wurde als Autor der Urmel aus dem Eis-Kinderbücher sogar berühmt.
Auch wenn die Mutter aller Puppenmuttis längst tot, die Firma seit 2013 in Schweizer Hand  ist, leben ihre Ideen weiter. Im Werk in Donauwörth, wo zurzeit etwa 40 Mitarbeiter beschäftigt sind, werden bis heute Puppen nach traditioneller Art hergestellt: ein Körper aus Nesselstoff, gefüllt mit Reh- und Rentierhaar, ein mittels Leim und Gips gepresstes Gesicht, das am Ende mit Ölfarbe von Hand bemalt wird, und Echthaarperücken. Die Handarbeit ist bis heute oberstes Gebot, so wie es die Chefin einst vorgab: „Die Hand geht dem Herzen nach, denn nur die Hand kann erzeugen, was durch die Hand wieder zum Herzen geht.“
Museumsdirektor Heitele bereitet gerade eine Sonderschau mit Puppen aus einer riesigen Privatsammlung in den Niederlanden vor, die das Museum 2014 übernommen hat. Mit rund 1000 Puppen beherbergt Donauwörth nun die größte Käthe-Kruse-Sammlung der Welt. Für die kostbaren Neuzugänge sucht das Museum nach Paten, um  Kauf und Erhalt zu finanzieren. Dass ihre Puppen heute wertvolle Sammlerstücke sind, die statt im Kinderzimmer umsorgt zu werden, in sterilen Glasvitrinen sitzen, hätte Käthe Kruse freilich nicht gefallen. „Das widerspricht ihrer eigentlichen Vision“, sagt Direktor Heitele. In dem leuchtend-gelben Haus an der Kapellstraße wohnt heute übrigens wieder eine Familie mit drei Kindern. Das allerdings würde Käthe Kruse gefallen. (Wibke Heise) (Bild: Nachbildung und Foto der ersten Puppe von Käthe Kruse – zu sehen im Museum in Donauwörth; Foto: Heise)

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