Leben in Bayern

Der Blues-Musiker Rusty Stone in seiner Münchner Wohnung – seinen letzten Live-Auftritt hatte er im Februar 2020. (Foto: Stumberger)

22.01.2021

Gefangen im Corona-Blues

Es ist jetzt fast schon ein Jahr her, dass der Münchner Musiker Rusty Stone das letzte Mal vor Publikum auftrat – die erzwungene Bühnenabstinenz zermürbt ihn

Rusty Stone geht nicht nur seine wirtschaftliche Schieflage, ausgelöst durch die Corona-Krise, an die Nieren. Dem 65-jährigen Blues-Musiker fehlt vor allem der Kontakt zu dem für ihn so lebenswichtigen Publikum. Wie eingefroren fühle sich die Zeit für ihn in diesem endlos erscheinenden Lockdown deshalb an, sagt er müde und betont: „Ich bin keine 35 mehr, mir läuft doch die Zeit davon!“

Seit Monaten schon weist die Website des Münchner Musikers Rusty Stone eine traurige Regelmäßigkeit auf: „!!!Corona-Absage!!!“ ist dort seit dem März des vergangenen Jahres immer wieder zu lesen. Ob am 22. Januar im Cafe Mathilda in Burghausen oder am 13. März in der Bierfabrik in Pockau-Lengefeld – auch die nächsten Termine sind allesamt abgesagt. Der 65-Jährige spielt gern und oft einen Blues auf einer seiner vielen Gitarren. Jetzt aber sagt er: „Auf diesen Corona-Blues kann ich verzichten.“

„Ich nehme Medikamente, schlafe aber trotzdem meist sehr schlecht“

Die abgesagten Auftritte gehen an die wirtschaftliche Existenz des Künstlers. Aber was fast noch schlimmer für Rusty Stone ist: Er vermisst den für ihn so lebenswichtigen Kontakt mit dem Publikum. „Ich nehme Medikamente, schlafe aber trotzdem sehr schlecht“, sagt der Blues-Musiker.

Eine Erdgeschosswohnung im Münchner Westen, ein ruhiges Wohnviertel: Hier lebt Rusty Stone zusammen mit seinen Gitarren, die auf drei Zimmern verteilt sind. Im Flur hängen Plakate mit Musikergrößen wie Miles Davis, Johnny Cash oder Stevie Ray Vaughan. Die Bücherregale sind voll mit Noten zu Songs und Literatur: Biografien, Geschichten vom Erfolg und auch vom Niedergang auf der Bühne. In den Zimmerecken steht das Equipment für die Auftritte: Verstärker, Mikrofonhalter, Kabel. Damit ist der Musiker seit vielen Jahren unterwegs zwischen Saarbrücken und Burghausen, zwischen Bremerhaven und Chur in der Schweiz. Entweder bei Solo-Auftritten oder zusammen mit seiner Band, das Trio tourt dann mit einem roten VW-Bus durch die Lande.

Doch damit ist es natürlich erst einmal vorbei. Seinen letzten Auftritt hatte Rusty Stone im November – online. Vor dem neuen, harten Lockdown. Das Konzert lief live über den Youtube-Kanal der Volkshochschule Ismaning. Da stand er dann alleine da mit seiner Gitarre, vor ihm die Leere des Saales, irgendwo hinten im Dunkeln die Kamera und der Kameramann. Zwei Stunden lang live in das Nichts hineinzuspielen, das sei „sehr, sehr ungewohnt“ gewesen, sagt Rusty Stone. Weil: „Mit dieser Art von Musik hängt man vom Publikum ab.“ Man müsse die Gesichter sehen, die Augen, ob die Leute mitgehen, mitwippen, mitsingen.

Eines seiner Vorbilder ist der Blues-Musiker John Lee Hooker, aber er spielt vieles. Seit 1984 erzählt Rusty Stone mit seinen eigenen Kompositionen „kleine Geschichten, die das Leben schreibt“. Gepresst sind sie auf CDs, deren Titel selbst eine Geschichte erzählen: Von „Struggle“ (Kampf) über „Rough Times“ (Harte Zeiten) bis zu „Farewell“ (Lebewohl).

Stones letzter Live-Auftritt mit Band und vor anwesendem Publikum war im Februar 2020 im thüringischen Hildburghausen. Nach dem Online-Konzert bei der VHS Ismaning gab und gibt es auch erst mal keines mehr im Netz. „Durch die anhaltenden Corona-Maßnahmen bis vermutlich weit in das Jahr 2021 hinein wird dieses Konzert für die nächste Zeit mein letztes sein“, schrieb Rusty Stone auf seiner Homepage.

Jetzt, im Januar 2021, sitzt Rusty Stone in seinem mit Gitarren vollgestellten Wohnzimmer, das zugleich Übungsraum ist. Er hält eine National-Resonator-Gitarre in den Händen – mit ihr kann man lauter spielen, was früher wichtig für die Blues-Sänger auf der Straße war. Stones Blick geht irgendwo in die Ferne. Beide Unterarme sind tätowiert, auf dem linken ist zu lesen: „Blues was my first Love“. Und Blues ist für ihn auch eine Art Lebenselixier, wie auch die Kontakte auf der Bühne. Dass er, dass Kunst nun nicht mehr „systemrelevant“ sei, das mache müde, zermürbe. Der Lockdown als eingefrorene Zeit, in der nichts passiert. „Ich bin keine 35 Jahre mehr“, sagt der Musiker, „mir läuft doch die Zeit davon.“

Er hat einen Corona-Song geschrieben, bei dem sogar Optimismus mitschwingt

Als Einnahmequelle bleibt Rusty Stone zwar noch der Gitarrenunterricht. Der sei aber online schwierig bis nahezu unmöglich, meint er. Wegen der „Latenz“, also der Zeitverschiebung im Millisekundenbereich bei der Übertragung, wodurch kein gemeinsames Spielen möglich ist. Immerhin: Die finanziellen Corona-Hilfen tragen dazu bei, diese Zeit zu überbrücken, erklärt Stone. Aber bis wann? „Ich glaube, das geht bis Ostern oder noch länger“, sagt der Blues-Musiker.

Rusty Stone legt die Resonator-Gitarre zurück und greift sich eine zwölfsaitige Taylor. Klar, dass der Musiker in den vergangenen Monaten auch einen Corona-Song geschrieben hat. Keinen tieftraurigen, man hört auch ein bisschen Optimismus heraus: „Corona hier, Corona da ... aber ich bin noch am Leben und spiele meinen Blues“, heißt es darin aus dem Englischen übersetzt. So oszilliert die Stimmung zwischen eher dunklen Stunden, Zuversicht und dem Aufkeimen von Humor. Im Song und im Leben des Künstlers Rusty Stone. Dazwischen der soziale Überlebenskampf, um zwischen abgesagtem Konzert und der nächsten fälligen Mietzahlung über die Runden zu kommen.
(Rudolf Stumberger)

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