Leben in Bayern

Absperrgitter vor dem Strafjustizzentrum des Oberlandesgerichts München. Hier findet ab Mitte April der NSU-Prozess statt. (Foto: dapd)

05.04.2013

Gelangweilt, gesoffen, geschossen

Vor 30 Jahren erlebte München den bislang größten deutschen Neonazi-Prozess

Am 17. April 2013 beginnt vor dem Münchner Oberlandesgericht der Prozess gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Vor 30 Jahren war München schon einmal Schauplatz eines spektakulären Neonazi-Prozesses: Mitangeklagt war damals der Neonazi Friedhelm Busse. Der Zeuge H., 23 Jahre alt und von Beruf Stanzer, steht im Juli 1983 vor dem Richtertisch wie seine braunen Vorbilder einst beim Treueschwur: Die Beine leicht gespreizt, die Hände über dem Rücken gekreuzt, sehr kurzer Haarschnitt, stechender Blick. Er sei „Aktivist in einem großen politischen Zusammenschluss“, bekundet er stolz. Tatsächlich war H. der Führer der „Jungen Front“ (JF), einer Anfang 1982 vom Bundesinnenminister verbotenen Jugendorganisation nach Art der der Hitlerjugend (HJ).
Aus den – wenn auch oft betont knappen – Antworten dieses und anderer Zeugen auf viele, stundenlange Fragen von fünf Berufsrichtern des Bayerischen Obersten Landgerichts, von zwei Bundesanwälten und zehn Verteidigern formt sich allmählich ein Bild der neofaschistischen Szene, das der Öffentlichkeit bisher verborgen geblieben war.


Sprengstoff-Anschlag auf KZ-Gedenkstätte Dachau?


Angeklagt ist unter anderen der Schriftsetzer Friedhelm Busse (Jahrgang 1929). Busse ist einer der schillerndsten, gefährlichsten und hartnäckigsten Neonazis der Nachkriegszeit. Schon 1953 war der ehemalige Adolf-Hitler-Schüler und Volkssturm-Freiwillige wegen schwerer Körperverletzung und 1963 wegen Sprengstoffbesitzes zu Haftstrafen verurteilt worden. 1965 ging er in die Deutsche Reichspartei, 1969 in die NPD, die den allzu Radikalen 1971 wieder ausschloss. Also gründete er selbst seine „Partei der Arbeit“ und 1975 seine „Volkssozialistische Bewegung Deutschlands“ (VSBD). Für militante Aktionen bediente sich Busse einer Jugendgruppe namens „Junge Front“, die in schwarzer Rockerkleidung mit der „Wolfsangel“, einer SS-Rune, mit Messern, Knüppeln und im Münchner Osten für Randale sorgte.
Beim Befragen von Zeugen spielt Busse den Biedermann, der nur das „fortschrittliche rechte Lager“ habe sammeln und unter dem Dach VSBD eine durchaus demokratische, „Wahlformation“ habe zustande bringen wollen. Immerhin habe er 1956 sogar für die SPD zum Bundestag kandidiert. Niemals habe er zu strafbaren Handlungen aufgefordert, „im Gegenteil“. Einen seiner Kreisvorsitzenden habe er gar ausgeschlossen, weil dieser im Fernsehen getönt habe: „Gewalt wird ab sofort mit Gewalt beantwortet!“
Wie aber kam es dann dazu, dass – so die Anklage – am Abend des 20. Oktober 1981 in einem französischen Auto, das von Busses Wohnung gekommen war, fünf junge, für einen geplanten Banküberfall bis an die Zähne bewaffnete Männer am Stadtrand Münchens angehalten wurden, dass dabei eine Handgranate explodierte und zwei der Gestellten von Kugeln eines polizeilichen Einsatzkommandos durchsiebt wurden: Nikolaus Uhl (24) und Kurt Wolfgram (21)?
Nun, es hatte ganz harmlos angefangen. Beim „Bruder Barnabas“, einer Kneipe in der Münchner Au, trafen sich die mit den gesellschaftlichen Umständen unzufriedenen Jungmänner. Es wurde „ganz fürchterlich gesoffen“ – so ein Zeuge – oder einfach „irgendwie gelangweilt rumgesessen“. Etwas Spannung verschafften sich einige der JF-Leute  durch Schießübungen in der Nähe von Fürstenfeldbruck. Aus dem Nebel nationalistischer Träumerei, der sich regelmäßig in Hakenkreuzschmierereien und Hasstiraden gegen „Ausländer“ und „Amis“ niederschlug, formten sich allmählich auch ideologische Gebilde. Bald stritt man innerhalb dieser mit dem VSBD lose verbundenen „Jungen Front“ um den rechten Weg zum Nationalsozialismus.
Vor allem um die Frage, ob, wann und wie auch illegale Aktionen durchzuführen seien, kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den von Busse geführten „Volkssozialisten“ und den „orthodoxen Nationalsozialisten“, als deren Wortführer Nikolaus Uhl galt. Der auf Busse eingeschworene JF-Führer H. nennt ihn im Prozess eine „Ratte“. Uhl habe auch einen Sprengstoffanschlag auf die KZ-Gedächtnisstätte Dachau geplant. Als nach Uhl wegen rechtsextremistischer Umtriebe gefahndet wurde, tauchte er erst einmal in Metz unter. Seine Exiladresse war bald Anlaufstelle für alle möglichen Nazis, denen der bundesdeutsche Boden zu heiß wurde. Dort wurde auch ein Sparkassenraub einstudiert. Busse soll die Räuber angeblich mit Kleidung unterstützt haben.
Zu Busse kam im Oktober 1981 auch der Münchner Hilfsarbeiter Peter Hamberger (22), den die Kameraden Uhl und Wolfgram – so hatte er selbst zu Protokoll gegeben – zuvor in Paris aufgefordert hatten, bei einem neugegründeten „Kommando Omega“ mitzumachen, Geldinstitute zur Kasse zu bitten und „Verräter zu liquidieren“. Einer sollte mit einer Panzerfaust in einem Gefängniswagen erledigt werden. Busse habe ihm, Hamberger, in seiner Garage lagernde Schusswaffen und Handgranaten gezeigt. Nun trifft es sich günstig für die Angeklagten, dass ausgerechnet Uhl und Wolfgram, die als die eigentlichen Aktionisten erscheinen, bei der Schießerei vom 20. Oktober zu Tode gekommen sind. Und die Aussagen Hambergers, des bisherigen Hauptbelastungszeugen in dem bis in den Herbst hinein terminierten Prozess, werden von alten Kameraden der Jungen Front auch erheblich entwertet.
Der Peter habe immer schon unter Wahnvorstellungen gelitten, habe in einer Scheinwelt gelebt, wiegelt ein Zeuge ab. Tatsächlich musste die Verhandlung gegen den Angeklagten Hamberger abgetrennt werden: Er ist psychisch krank. So können denn Angeklagte und Zeugen ziemlich selbstbewusst, wenn nicht frech vor dem Gericht auftreten. Der berufslose Peter F., ebenfalls angeklagt, sagt kein einziges Wort. Pascal Colette aus Paris, der Fahrer vom 3. Oktober, versteht ohnehin nichts und muss jeden Satz übersetzt bekommen.


Mildes Urteil: 3 Jahre und 9 Monate auf Bewährung


Busse indes ruft die Zeugen gewissermaßen zum Rapport. Und H., der getreue Führer seiner Jugendtruppe, kontert den gutmütig scheinenden Vorsitzenden Karl Gietl knallhart mit Gegenfragen. Dialog-Beispiel aus dem bisher größten deutschen Neonazi-Prozess: „Was wollten Sie eigentlich erreichen?“ – Zeuge: „Tut das was zur Sache?“ – „Wollte man die Umwandlung der Gesellschaft mit radikalen Mitteln?“ – Zeuge: „Was verstehen Sie darunter?“ Das ist in der Tat die Kernfrage in diesem Prozess.
Aufmerksame Zuhörer sind, neben fleißig mitschreibenden Herren vom Staatsschutz, immer auch einige junge Männer, die sowohl beim Kommen wie beim Gehen namentlich erfasst und gefilzt werden. Einige tragen Leder, andere Olivehemden, einer mit dem aufgenähten Wahlspruch: „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein.“
Der Hauptangeklagte kam am Ende gut davon, seine Komplizen noch besser: Busse wurde wegen Hehlerei, Sprengstoff- und Waffenbesitz zu drei Jahren und neun Monaten auf Bewährung verurteilt. Er habe, wertete das Gericht strafmildernd, „nur aus falsch verstandener Kameradschaft“ Kommandomitglieder bei sich wohnen und deren Sprengstoff in seiner Garage lagern lassen.
Kaum war die Bewährungsfrist abgelaufen, übernahm Busse 1988 den Vorsitz der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP). Bis zum Verbot der FAP und ähnlicher Organisationen 1995 hörte Busse nicht auf, in ganz Deutschland, oft zusammen mit anderen Top-Extremisten, gegen den demokratischen Rechtsstaat zu hetzen. Offen rief er „Heil Hitler“ und „dreckige Juden“. Er gründete immer neue Gruppen und Kameradschaften, trat wieder in die NPD ein. Im September 2002 wurde er vom Landgericht Karlsruhe erneut zu zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. 2008 starb er in Passau. Bei der Trauerfeier in einem Vorort legte jemand eine Reichskriegsflagge mit Hakenkreuz auf seinen Sarg.
Bereits 2004 hatte Busse den in Ottobrunn wohnenden Norman Bodin zu seinem Nachfolger ernannt. Der aus Duisburg stammende Gründer der „Kameradschaft Süd“ musste eineinhalb Jahre wegen Beteiligung an einem brutalen Überfall auf einen Griechen absitzen. Im Oktober 2004 trat er in die NPD ein. 2007 wurde er stellvertretender Bundesvorsitzender der parteieigenen Jugendorganisation. In mehreren deutschen Groß- und Kleinstädten organisierte Bodin immer wieder neue Kameradschaften, Kampfbünde und Demos – und wurde mehrfach verurteilt, unter anderem wegen Betrug und Beleidigung. Bei einem seiner Aufmärsche wurde die Erkennungsmelo- die der NSU-Mörder abgespielt. „Geschmacklos, aber nicht strafbar“, urteilte die Richterin und sprach den Angeklagten Bodin im Januar 2013 frei. Während dieses Prozesses wurden Journalisten von einigen „Kameraden“ massiv bedroht.  (Karl Stankiewitz)

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