Leben in Bayern

Das Vergnügen ist dieser Teilnehmerin des Inklusions-Kletterkurses anzusehen (Foto: privat)

03.07.2020

Gelebte Inklusion: Klettern macht Spaß!

Der Garmischer Bergführer Udo Knittel hat ganz besondere Kurse im Programm – für Menschen mit Handicap

Für Inklusion in der Schule und am Arbeitsplatz wird viel getan. Langsam kommen auch in die Bereiche Sport und Freizeit in Schwung. Udo Knittel zum Beispiel bietet in Garmisch-Partenkirchen Kletterkurse für Blinde, Gehörlose und Geh-Eingeschränkte an. Am Fuß der Alpspitze hat er dazu einen Parcours mit eigenen Sicherungstechniken errichtet. Nach der Corona-Pause geht es nun endlich wieder los.

Udo Knittel ist ein Bergführer, dem man blind vertrauen kann – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Unter seiner Anleitung klettern auch Seh-Eingeschränkte und Blinde die Bergwand unterhalb der Alpspitze hoch. Aber auch junge Menschen mit Down-syndrom, Gehörlose oder Geh-Eingeschränkte lotst Knittel besonnen über schmale Pfade, Geröllfelder oder auf den Gipfel. Seit einigen Jahren schon bietet der Alpinprofi in seiner Bergschule „Bergführer Zugspitzland“ in Garmisch-Partenkirchen zusätzlich zu seinen anderen Touren Inklusions-Kletterkurse für Menschen mit und ohne Behinderung an der Alpspitze an. „Ich war früher schon bei Inklusionsprojekten wie etwa „No Limits“ mit dabei, das hat mir so Spaß gemacht, dass ich das dann in meine Bergschule übernommen habe“, erzählt der Vorsitzende des Alpenvereins Sektion Garmisch-Partenkirchen. „Ich bin da langsam reingewachsen.“

Lange fristete das Thema Inklusion in der Freizeit eher ein stiefmütterliches Dasein. Aber mittlerweile kommt Schwung in die Sache. GaPa Tourismus in Garmisch-Partenkirchen bietet seit ungefähr zwei Jahren immer wieder Inklusionswanderungen etwa für Gehörlose und Einheimische zusammen mit Gebärdendolmetschern an. Und der Deutsche Alpenverein startet heuer zusammen mit dem Malteser Hilfsdienst ein neues Projekt im Alpenraum unter dem Motto „Alpen. Leben. Menschen (A.L.M.)“.

Seit diesem Frühjahr finden nun auch in Bayern kostenlose gemeinsame Veranstaltungen für Einheimische, Geflüchtete und Menschen mit Behinderung statt. Es ist die Weiterführung des gleichnamigen Projekts mit dem Schwerpunkt Integration von Geflüchteten, das nun auch für die Inklusion geöffnet wird. Das von der Aktion Mensch gesponserte Projekt reicht von der Moorwanderung bis hin zum Wandern mit Esel und Lama. „Wir freuen uns immer, wenn Einheimische aus der Region dabei sind, dadurch Begegnungen ermöglicht werden, und Menschen mit Behinderung oder Geflüchtete nicht wieder nur unter sich bleiben“, sagt Andrea Scheu, Projektleiterin Inklusion A.L.M. „Wir wollen auch Tourenleiter vom Deutschen Alpenverein dafür gewinnen, die bereits Erfahrung in dem Bereich haben und Vorkenntnisse mitbringen.“

Sehenden Teilnehmern werden die Augen verbunden

Auf diesem Gebiet ist der Alpenvereinsvorsitzende Udo Knittel ein alter Hase. Am Fuß der Alpspitze hat der Alpinprofi extra einen Parcours mit eigenen Sicherungstechniken und fixen Seilen eingerichtet, die er im Winter wieder abbaut. „Das ist ein ideales Gelände, da gibt es auch zum Balancieren geneigte Platten, und dort können sich die Teilnehmer, zum Beispiel Seh-Eingeschränkte oder Blinde, erst einmal hochtasten.“ Knittel lotst sie dabei mit ruhiger Stimme und präzisen Anleitungen nach oben, während er von unten mit dem Seil sichert.

Bei seinen Inklusionskursen arbeitet er nach dem Tandemprinzip, ein Sehender unterstützt beispielsweise einen Blinden. Doch davor macht Knittel eine Übung: „Wir verbinden unseren sehenden Teilnehmern die Augen, und die werden dann selbst mit einem Skistock gelenkt, um ein Gespür für die Gefühlswelt des anderen zu bekommen“, erklärt Knittel. Sein Motto: „Anleiten, aber nicht gängeln, fordern, aber nicht überfordern.“ Für die Kletterübungen hat der Bergführer Umlenkhaken installiert, sodass die Seile nur eingehängt werden müssen und jeder vom Boden aus gesichert werden kann.

Auch Reiner Bauer hat das erfolgreich ausprobiert und ist begeistert. „Das, was Udo Knittel da anbietet, ist Spitzenklasse“, sagt der Behindertenbeauftragte der Gemeinde Eberfing, der seit einem Unfall vor vielen Jahren mittlerweile fast blind ist. Als er noch sehen konnte, war Bauer oft in den Bergen. „Man muss schon vorsichtig sein, aber ich habe bald gemerkt, das verlernt man nicht.“ Schon beim ersten Griff merke er, ob ein Stein hält oder nicht. Am wichtigsten aber sei das Vertrauen in den Bergführer. „Wenn ich eine Stimme höre, weiß ich sofort, wie ich jemanden einschätzen muss“, erzählt Bauer. „Und bei Knittel merkte ich sofort, auf den kann ich mich verlassen.“ Als er sich am Seil Stück für Stück nach oben arbeitete, wusste er: „Der lässt mich nicht fallen.“

Was Bauer ebenfalls sehr gut gefiel: Die sehenden Teilnehmer setzten eine Zeit lang Simulationsbrillen auf, um ein Gefühl für seine Situation zu bekommen. Damit konnten sie auch nur noch maximal zehn Prozent erkennen. „Und dann bin ich vorangelaufen, und die anderen hinter mir her“, erzählt Bauer und lacht. „Eine Frau hat sich vorsichtshalber gleich an meiner Schulter festgehalten. Viele sagten hinterher, so hätten sie sich das nicht vorgestellt.“ Bauer möchte auch heuer wieder bei einer inklusiven Klettertour mit Knittel mitmachen. „Es hat großen Spaß gemacht, sich im Geröllfeld frei zu bewegen ein Gespür für den Untergrund zu bekommen, und nicht nur Teerwege zu gehen.“ Solche Freizeitveranstaltungen in gemischten Gruppen seien wichtig. Da finde man auch viele soziale Kontakte. Das sei schon etwas anderes als diese geschlossenen Veranstaltungen, wo man nur unter sich sei, wie etwa beim Blindenfußball.

Für alle gleich: das Glücksgefühl auf dem Gipfel

„Diese Outdoorveranstaltungen sind ganz anders als etwa Bouldern oder Klettern in einer Halle“, betont Knittel. „Im Freien habe ich viel mehr Verantwortung.“ Doch die nimmt er gerne auf sich, wenn er sieht, wie glücklich seine Teilnehmer sind, wenn sie eine schwierige Wanderung oder eine Kletterwand geschafft haben. „Das Glücksgefühl ist immer gleich, wenn jemand in der Wand auf die Kante kommt und den Luftzug auf seinen Wangen spürt“, erklärt der Bergführer. „Oder wenn er vom Schatten auf die Sonnenseite kommt. Und dann kann ich ihm sagen, jetzt bist du auf dem Gipfel.“ Es sind diese Glücksmomente, für die sich die ganze Mühe gelohnt hat und für die Knittel die Anstrengungen auf sich nimmt. Doch es gibt auch Grenzen, wie der Bergführer einwendet. „Ich würde nicht auf die Idee kommen, einen Rollstuhlfahrer über den Nordwandsteig an der Alpspitze hochzuziehen, das macht keinen Sinn“, so Knittel. Das sei keine Inklusion im sportlichen Sinn.
Knittel hofft, dass die Nachfrage nach solchen Inklusionsangeboten noch steigt. „Viele können sich gar nicht vorstellen, wie viel Spaß so ein Kurs macht.“ Dabei hat der Bergführer längst einen Teilnehmerkreis geschaffen, „der weit über den Landkreis Garmisch-Partenkirchen hinausreicht“. Doch manchmal ist es mühsam, bemängelt der Bergprofi. Knittel hat auch schon erlebt, dass die Behinderteneinrichtungen ihren Mitarbeitern nicht einmal einen halben Tag freigeben, um bei seiner inklusiven Sportveranstaltung mitzumachen.

Gerade das gemeinsame Vertrauen, das wachsende Verständnis füreinander und der Gruppenzusammenhalt sind für Reiner Bauer, der sonst meist allein unterwegs ist, das ganz Besondere an den inklusiven Touren: „Miteinander – füreinander, das habe ich in der Gruppe erlebt.“ Dass er auf sich auf die Teilnehmer verlassen kann, merkte er schnell: „Als ich einmal auf einem schmalen Pfad ausgerutscht bin, hat mich einer sofort gepackt und gehalten. Das war schon ein gutes Gefühl.“ (Lucia Glahn)

Fotos (privat):
Udo Knittel (oben) arbeitet unter anderem nach dem Tandem-Prinzip: Sehende führen Blinde.

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