Leben in Bayern

Mal schnell eine Seite vom Buch im Laden abfotografieren – das ist kein Kavaliersdelikt. (Foto: Jädicke)

20.04.2018

Gelegenheit macht Diebe

Am 23. April ist nicht nur Tag des Buches, sondern auch Tag des Urheberrechts: Digitaler Bücher-Klau macht vielen Händlern zu schaffen

Man stelle sich vor, jemand klaut im Laden ein Buch. Sofort gilt er als Dieb – zu Recht. Trägt er aber ganze Auszüge daraus auf dem Smartphone nach Hause, dann gilt das vielen allenfalls als Kavaliersdelikt. Warum eigentlich? Am Montag ist Welttag des Buches. Zeit, über Urheberrecht zu reden.

Tatsächlich ist vor Kurzem folgendes passiert: Eine Frau sitzt in einer Buchhandlung auf einem Sofa – und durchforstet zielstrebig einen Bauratgeber. Inhaltsverzeichnis, Kapitel für Kapitel. Sie liest. Blättert. Dann der Blick auf die Rückseite. Angesichts des Preises zieht sie eine Augenbraue hoch. Die Frau überlegt kurz, zückt dann ihr Smartphone, fotografiert Cover und Rückseite – und dann Seite für Seite. Am Ende landet das Buch wieder im Regal.

„Das kommt immer mal wieder vor“, erklärt die Regensburger Buchhändlerin Susanne Borst. Das Foto als Merkzettel sei mittlerweile gängige Praxis. Aber auch Inhalte werden mitunter dreist kopiert. Manchmal kommt sogar die Frage: „Können Sie mir nicht eine Kopie machen? Ich brauch doch nur die eine Seite.“ Das eine Rezept eben zum Nachkochen oder die eine Wanderung. „Wir weisen höflich daraufhin, dass das nicht geht“, erzählt Borst. Schließlich verstoße das gegen das Urheberrecht. „Bücher beim Buchhändler sind dazu gedacht, dass sie gekauft werden.“

Doch Borsts Weigerung trifft selten auf Verständnis. „Ja die eine Seite. Stelln’S sich nicht so an“, hört sie dann. „Es wird als mangelnde Hilfsbereitschaft ausgelegt“, sagt sie. Das macht es den Buchhändlern schwer, dem geistigen Diebstahl entgegenzuwirken. Man will ja Service bieten. Zu groß ist der Druck, der inzwischen von den großen Internetplattformen ausgeht. Viele setzen deshalb auf Dialog und den freundlichen Hinweis. „Es ist durchaus eine Frage des Tonfalls“, sagt der Regensburger Buchhändler Ulrich Dombrowsky. Verbotsschilder wären für ihn keine Option.

Die Münchner Buchhändlerin Nicoletta Miller dagegen hat sich gegen den Digital-Klau zur Wehr gesetzt. Für ihre Plakataktion „Fotografieren verboten“ aber musste sie viel Kritik von den Kunden einstecken. Als „arrogant“ habe man sie bezeichnet, erklärt sie der BSZ. Sie würde jammern und sei doch selber schuld, wenn sie nicht den gleichen Service biete wie Amazon. Kostenloser Versand zum Beispiel. „Die Leute haben ja keine Ahnung, welchen Aufwand es bedeutet, Inhalte zu kuratieren“, klagt Miller.

Ist es aber tatsächlich Diebstahl, wenn man ein Buch im Laden abfotografiert? Darüber gehen die Meinungen auseinander. „Definitiv nicht“, sagt der Pressesprecher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Thomas Koch. Auch das Urheberrecht sieht er nicht berührt. Wohl aber das Hausrecht des Buchhändlers. Die Kollegin vom Landesverband in Bayern, Barbara Voit, aber sieht die Sache anders.

Digitale Raubkopien: "Neue Qualität des Diebstahls"

Sie bezeichnet die digitalen Raubkopien als eine neue Qualität des Diebstahls. „Wir nehmen das Urheberrecht sehr ernst“, sagt Voit. Niemand wolle Bücherfreunde mit Verbotsschildern verschrecken oder ehrliche Kunden unter Generalverdacht stellen. Diese Umsonstmentalität aber müsse abnehmen. „Was wir brauchen, ist ein Bewusstsein für geistige Arbeit in der Gesellschaft“, betont sie.

Aber nicht jeder im Buchhandel sieht in Raubkopien ein großes Thema. Die Thalia Buchhandlung beispielsweise erklärt auf Anfrage: „Grundsätzlich ist digitaler Diebstahl für Thalia kein gravierendes Problem. Vereinzelt kommt es vor, dass Kunden Buchcover oder einzelne Seiten aus Büchern abfotografieren, jedoch handelt es sich dabei nicht um ein Massenphänomen.“ Man sei in solchen Fällen deshalb kulant. „Ein explizites Fotografierverbot für Kunden gibt es in unseren Buchhandlungen nicht.“ Und auch vom Börsenverein heißt es: Gerade einmal drei Prozent der Fälle mache der digitale Diebstahl von Inhalten aus.

Allerdings: Den Großen in der Branche mag vielleicht der digitale Diebstahl von Inhalten nicht viel ausmachen. Auch der sogenannte Beratungsklau – man lässt sich im Laden beraten und kauft dann doch im Netz – mag ihnen keinen signifikanten Schaden zufügen. Autoren, Verleger und kleine exklusive Buchhandlungen mit ausgewiesener Beratung spüren den Schaden aber schon.

„Von einem Buch müssen viele Menschen leben“, sagt die Münchner Buchhändlerin Miller. Wie oft erwische sie Leute, die etwa aus Illustrationsbüchern oder Kochbüchern Seiten abfotografieren. Meist heiße es dann: „Finde ich im Netz auch.“ Sie könne dann nur antworten: „Warum sind Sie dann überhaupt bei mir?“ Spricht sie Kunden auf das Urheberrecht oder den Beratungsaufwand an, wird ihr auch gerne mal mit schlechten Kritiken im Netz gedroht. Miller wünscht sich mehr Anerkennung für ihre Arbeit. „Etwas, was all diese Leute auch erwarten“, sagt sie. „Auch sie wollen für ihre Arbeit Geld und Anerkennung.“

Für Herbert Schwarzfischer, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht in Regensburg, ist der Fall klar. „So eine Kopie ist der Diebstahl einer Autoren- und verlegerischen Leistung“, sagt er. Die Rechte für ein Werk, ganz gleich ob Ratgebertext, Bild, Gebrauchsanweisung, Roman, Strickanleitung oder Rezept, ganz oder in Auszügen, all diese Rechte liegen immer beim Autor oder Verlag. Wer sie öffentlich zugänglich macht oder auch nur ohne ausdrückliche Zustimmung kopiert, sei es auf Papier oder digital, macht sich strafbar.

Die Dame, die die Seiten aus dem Bauratgeber abfotografiert hat, hat sich also strafbar gemacht. Wie praktikabel und durchsetzbar das Urheberrecht im Einzelfall ist, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Das weiß nicht nur Anwalt Schwarzfischer. Das wissen auch die Buchhändler. Und so bleibt es meist bei einem klaren, aber freundlichen Hinweis auf das Urheberrecht. Und das hat weit weniger Grauzonen, als viele glauben. E-Books beispielsweise sind restriktiv geschützt. Man kann sie nicht kopieren. Grauzonen finden sich allerdings allzu oft beim Unrechtsbewusstsein mancher Kunden. „Das ist sehr wenig ausgeprägt“, darin ist man sich in der Branche einig. (Flora Jädicke)

Kommentare (1)

  1. rustyoldguy am 23.04.2018
    Schon länger ein Problem!
    Es ist nicht nur im privaten Bereich so, das Verstöße gegen das Urheberrecht festzustellen sind. Gerade im professionellen Bereich der Produktion. Genau genommen ist es schon ein Verstoß, wenn zum Beispiel Tabellen zur Berechnung von Toleranzen, Passungen kopiert werden oder Blätter über Normen wie zum Beispiel über Gewinde. Ganz zu schweigen davon, wenn einer zu Hause zum Beispiel Rechenprogramme in Excel oder c++ schreibt, nicht um damit Geld zu verdienen, sondern aus Passion. Genau genommen müsste jeder bei Beendigung seines Jobs die Programme wieder löschen, alle Kopien der DIN-Blätter wieder einsammeln, um dem Copyright gerecht zu werden.
    Mit Recht, eigentlich ist es ein ziemliches Armutszeugnis, wenn sie Firmen so ihre "Infos" besorgen, anstatt zum Beispiel
    die DIN-Blätter zum Beispiel vom dem Verlag zu beziehen, der diese Normen vom Deutschen Institut für Normung vertreibt. Fachleute die diese Zeilen lesen, wissen eh, welcher Verlag hier gemeint ist........

    Aber man sollte auch die andere Seite sehen:
    Wer hätte was dagegen, wenn man alte längst vergessenen Bücher digitalisiert und eine PDF-Datei daraus macht?
    Oftmals ist gerade bei älterer Literatur nur ein Exemplar zu bekommen.
    Sinnvoll ist dies zum Beispiel bei Lehrbüchern um deren Inhalt vor dem Vergessen zu bewahren oder bei alter Belletristik von weniger bekannten Autoren, wie etwa aus der Vorkriegszeit. Diese gehören genau so zum Kulturgut wie zum Beispiel Kirchen oder andere Gebäude. Diese sind Teil unserer Geschichte und sollten nicht vergessen werden. Eines muss man den alten Büchern lassen, diese oft detaillierter im Vermitteln von Wissen als jede Web-Seite heute.
    Aber man sollte die Digitalisierung mit ihrer Wirkung auf das menschliche Gehirn mal näher betrachten:

    Mit der linken Gehirnhälfte, der logischen können wir etwa sieben Eindrücke pro Sekunde aufnehmen, wie etwa Licht oder Geräusche, Gerüche. Mit der rechten, der bildhaften Gehirnhälfte nehmen wir bis zu 10000 Eindrücke auf, wobei das meiste im Unterbewusstsein landet. Das heißt, das Lernen oder Lesen über elektronische Geräte anders funktioniert als beim Lesen eines "richtigen" Buches.

    Übrigens,
    diese Tatsache, das die rechte Hälfte schneller arbeitet, kann man zum Beispiel daran beobachten, das "herkömmliche, Analoge" Tachometer oder andere Messgeräte schneller interpretiert werden als die bloße Anzeige eines Zahlenwertes, wie etwa beim digitalen Tachometer.
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