Das Café Übrig liegt in der Altstadt von Freising, dem Bischofssitz gut 30 Kilometer nördlich von München. Draußen steht eine Tafel in der Sonne und darauf ist das heutige Angebot zu lesen: Börek-Torte und Apfelkuchen. Wer das Lokal betritt, trifft drinnen auf Jens Aschenbroich, er sitzt im Vorstand des Vereins Übrig e.V., der den Laden betreibt. „Uns geht es darum, die Einstellung zu Lebensmitteln zu verändern“, sagt der 32-Jährige. Das Café Übrig ist das erste Café in Bayern, das Speisen aus „geretteten Lebensmitteln“ anbietet. Umsonst, im Prinzip.
Blumenkohl kann man aus dem Regal holen
Im Vorraum befindet sich ein Tresen und dahinter stehen Uta und Karsten. Sie arbeiten hier ehrenamtlich, kochen Kaffee und geben das Tagesgericht heraus. Im hinteren Teil des Cafés kann man es sich in einem gemütlichen Raum bequem machen, an der Wand hängt ein Gemälde mit dem Maskottchen des Vereins: eine maskierte Karotte, die auf einem Fahrrad Lebensmittel transportiert.
Und genau um das geht es im Café Übrig: Gemüse, Obst, Milchprodukte, Brot und anderes vor dem Wegwerfen zu „retten“, dazu arbeitet der Verein mit Supermärkten, Kantinen und Betrieben zusammen und holt dort die essbaren Sachen ab. Zum einen werden diese geretteten Lebensmittel an einer Verteilstelle im Café aufbewahrt und jeder kann sich einen Blumenkohl aus dem Regal oder einen Joghurt aus dem Kühlschrank holen und nach Hause tragen. Diese „Fair-Teiler“ – das Wortspiel zwischen Verteiler und fair, also eine gerechte Verteilung, steht für öffentliche Regale und Kühlschränke zur Lebensmittelabholung ohne einen Nachweis der Bedürftigkeit – gibt es seit 2014. Man findet sie allenthalben in größeren Städten.
Neu aber ist am Café Übrig, das seit Januar 2023 existiert, dass die geretteten Lebensmittel zu Speisen verarbeitet und abgegeben werden. „Wir wollten die Idee, Lebensmittel mehr wertzuschätzen, damit in die Gesellschaft tragen“, erklärt Jens die Motivation für die Gründung des Cafés. Er selbst arbeitet im kaufmännischen Bereich und ist vor fünf Jahren aus dem Norden nach Freising gezogen. Seit zweieinhalb Jahren sitzt er nun im Vorstand des Vereins, der sich 2020 gegründet hatte und an die 150 Mitglieder zählt.
Im Café selbst arbeiten vier Angestellte, drei davon auf Minijob-Basis. Jeweils dienstags steht ein Koch am Herd und verarbeitet die Lebensmittel. Und ein Vereinsmitglied kümmert sich um die Bildungsarbeit, manchmal kommen Schulklassen hierher und informieren sich zum Thema Ernährung.
Die angebotenen Speisen werden kostenlos abgegeben und es gibt auch Getränke. Ein aus vergorenem Brot gebrautes Bier etwa oder einen „Kräuterspritz“ mit Holundersirup, natürlich auch Kaffee. „Wir haben diese Getränke am Anfang ohne Richtpreise angeboten, aber das war eher schwierig“, berichtet Jens.
Alles ist über Spenden finanziert
Die Besucher wussten nicht, wie sie damit umgehen sollten. Heute gibt es Richtpreise, nach denen man sich eben „richten“ kann, man kann aber auch weniger oder mehr zahlen. „Die Leute handhaben das sehr unterschiedlich“, weiß Karsten, etwa jeder Fünfte würde weniger zahlen.
Und wer kommt in das Café Übrig? „Laufkundschaft“, sagt Jens, Leute, die mal reinschauen wollen, Studierende (in Freising studieren 9500 Studenten an einem Zweig der Technischen Universität München), Menschen, die Lust auf Gemeinschaft haben.
Das Projekt finanziert sich aus Spenden, Förderungen und den Einnahmen aus dem Cafébetrieb. Der Verein versteht sich als Teil der Foodsharing-Bewegung, einer umwelt- und bildungspolitischen Bewegung, die sich gegen den achtlosen Umgang mit Ressourcen und für ein nachhaltiges Ernährungssystem einsetzt und seit 2012 eine eigene Internetplattform betreibt. Dort ist über die Ziele zu lesen: „Foodsharing setzt sich für einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen und ein nachhaltiges Ernährungssystem ein. Dabei steht an erster Stelle das Ziel, die Verschwendung von Lebensmitteln bis zum Jahr 2030 zu halbieren und in der Folge zu beenden.“
Um das zu erreichen, will man „die aktuellen Probleme der globalisierten Weltwirtschaft und den Irrsinn der Überflussgesellschaft erlebbar und sichtbar machen und ein Umdenken anregen“. Dazu gehöre neben Politik, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit auch eine verstärkte Bildungsarbeit.
Freilich ist das Café Übrig nicht der einzige Akteur in Freising, der sich um übrig gebliebene Lebensmittel kümmert. Gibt es in der Domstadt doch wie an vielen anderen Orten in Deutschland auch eine „Tafel“, die von bis zu 90 aktiven Ehrenamtlichen getragen wird. Der gemeinnützige Verein existiert seit 2004 und von ihm werden wöchentlich bis zu 1200 Menschen versorgt.
Eine Konkurrenz zur Tafel?
Wer bei der Tafel Lebensmittel abholen will, braucht allerdings einen Berechtigungsausweis, der eine Bedürftigkeit nachweist, und muss einen kleinen Obolus von einem Euro zahlen.
Steht hier das Café Übrig nicht in Konkurrenz zur Tafel? Nein, meint Vorstandsmitglied Jens Aschenbroich. Die Tafel hätte bei der Verteilung der übrig gebliebenen Lebensmittel immer den Vorrang. (Rudolf Stumberger)
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