Leben in Bayern

29.04.2022

Gestalten statt granteln

Wie wollen wir in Zukunft leben? Ein Kreativprojekt beteiligt die Würzburger Bevölkerung an der Stadtplanung

Zehn Bücher liegen an verschiedenen Orten in Würzburg aus. Sie gehören zu dem Projekt „StadtTagebücher“, das für eine neue Mitmachkultur in Sachen Stadtgestaltung steht. Ein Verein sammelt Wünsche und Ideen von Bürger*innen. Die Stadt fördert das Vorhaben finanziell. Eines der Hauptziele ist bereits erreicht: Eine Diskussion über die Zukunft Würzburgs ist in Gang gekommen.

Klar, man könnte die Menschen einfach mit den eigenen Ideen beglücken. Mit Ideen, in welche Richtung sich Würzburg entwickeln sollte. Und den eigenen Vorstellungen, wie die fränkische Stadt noch lebenswerter werden könnte. Der im Oktober 2019 gegründete Verein „StadtTagebücher Würzburg“ aber geht einen anderen Weg. Er will, dass alle Bürger*innen bei der Stadtgestaltung mitwirken. Seit Kurzem liegen dazu zehn Tagebücher über die Stadt verteilt aus. Und alle können dort hineinschreiben, wie sie sich Würzburg wünschen.Was sie in der Stadt erleben und welche Gedanken sie sich über das gemeinsame Leben in Würzburg machen.

Ein Wunsch: ein Raum zum Abhängen und Kreativsein

Eines der Tagebücher ist im Café Vollmund im Würzburger Mainviertel zu finden. Es wird rege befüllt. Viele haben schon etwas hineingeschrieben, andere visualisierten ihre Ideen, indem sie sie zeichneten oder malten. Nicht immer aber lassen sich die Einträge einfach deuten. Was meint zum Beispiel der Verfasser, der begeistert festhält, dass Würzburg „voll Panda“ sei?
Eindeutiger sind da die Zeilen eines anderen Autors, der gleich mehrere Wünsche auflistet: mehr Freiräume in der Stadt, mehr Wohnraum und Raum „zum Abhängen“, zur Begegnung und zum Kreativsein. Und er fordert mehr Gerechtigkeit ein.

Isabella Kölz und Luisa Hochrein gehören zu den Initiator*innen des Vereins StadtTagebücher. Es sei wichtig, dass Bürger*innen in weitreichende Vorschläge für die Zukunft ihrer Stadt einwilligen, betonen sie. Die beiden Frauen lernten sich an der Fakultät für Gestaltung der Würzburger Fachhochschule kennen. Dort dachte Kulturanthropologin Isabella Kölz 2019 in einem Masterkurs mit acht Studierenden darüber nach, wie man Würzburg als Postwachstumsstadt gestalten könnte. „Dann kam uns der Gedanke, dass wir doch nicht sagen können, wie eine Postwachstumsstadt ausschauen soll, ohne mit allen anderen darüber gesprochen zu haben, wie sie denn in Zukunft in der Stadt leben wollen“, berichtet Masterstudentin Luisa Hochrein. Und so war die Idee zu den StadtTagebüchern geboren.

Kölz fasziniert, auf welch verschiedene Weise die Tagebücher genutzt werden. Viele befinden sich an festen Orten wie dem Café Vollmund. Eines, das in der Stadtbücherei ausliegt, aber kann man mit nach Hause nehmen und wieder zurückgeben, wenn man seine Gedanken zu Papier gebracht hat. Und ein anderes Tagebuch zirkuliert frei durch die Stadtgesellschaft. „Wir bringen es von Ort zu Ort zu jenen Menschen, die aus welchen Gründen auch immer keinen der Orte, an denen ein Tagebuch liegt, aufsuchen können“, so Hochrein.

Das Hauptziel des Projekts ist bereits erreicht: In Würzburg ist eine Diskussion in Gang gekommen. Wobei die Tagebücher an unterschiedlichen Orten unterschiedlich angenommen werden. Nicht in jedem Buch steht schon so viel drin wie in dem im Café Vollmund. Manchen sei das Projekt „anscheinend auch viel zu frei“, schildert eine Beobachterin. Diese könnten damit nicht so viel anfangen. Für sie wären konkretere Fragen zu den Themen Stadtgestaltung und Heimat hilfreich, glaubt sie. Schließlich hätten sich viele auch einfach bisher noch nie Gedanken darüber gemacht, ob und wie Würzburg anders gestaltet werden könnte.

Die Macherinnen selbst wollen Menschen mit ganz unterschiedlichem Background in ihr Projekt einbeziehen. Zum Beispiel Alteingesessene, die seit Urzeiten in Würzburg leben. Aber auch Menschen, die erst seit Kurzem in der Stadt sind. Handicaps, war der Gruppe rasch klar, dürften keine Barriere darstellen. Deshalb sind auch Bilder, Skizzen oder Collagen willkommen. Würzburger*innen jeder Altersgruppe sollen sich angesprochen fühlen, ihre Wünsche für die Stadt mitzuteilen: Senioren ebenso wie Kinder und Jugendliche.

Aber würde sich solch ein Stimmungsbild nicht auch weit weniger aufwendig durch eine Blitzumfrage herstellen lassen? Dem Verein geht es um mehr. „Wir sind ein kreatives, aber auch politisches Projekt und sehen uns als Teil der Bewegung ‚Recht auf Stadt‘, erläutert Kölz. Diese Bewegung, die sich gegen Mietwucher und Verdrängung wehrt und aktiv für eine menschliche Stadt eintritt, kennt man bisher vor allem aus großen Städten wie Hamburg. Der Verein will nun schauen, ob es gelingt, die Ideen der Bewegung auch auf eine mittelgroße Stadt wie Würzburg zu übertragen.

Geplant sind Lesungen und Stadtführungen

Mag sein, dass manches, was jemand in die Tagebücher schreibt, am Ende unverständlich bleibt. Aber das ist nicht wichtig. Die Macherinnen wollen sich offen auf alles einlassen, was da kommt, sagen sie. Ohne Erfolgsdruck. Sie sprechen davon, dass sie die StadtTagebücher der Bevölkerung „schenken“. Und mit einem Geschenk könne man schließlich umgehen, wie man möchte. „Wir sind in jedem Fall neugierig auf Perspektiven, die wir selbst so bisher noch nicht hatten“, sagt Kulturanthropologin Kölz.

Wichtig war dem Verein, dass die Stadt ihr Einverständnis zu dem Projekt gab. Das geschah. Mehr noch: Die Stadt unterstützt das Projekt finanziell. Und mehrere städtische Einrichtungen erklärten sich bereit, die Tagebücher in ihren Räumen auszulegen. Zum Beispiel die städtische Umweltstation, das Stadtarchiv und die Stadtbücherei. Sich kreativ einbringen statt nur zu granteln: Der Glaube, dass „die Oberen“ die Meinung der Menschen sowieso nicht interessiere, hat Luisa Hochrein erfahren, sei schlicht falsch. Als die junge Designerin bei der Stadt Würzburg das Projekt vorstellte, hörte sie von den Stadtplanern, dass diese immer wissen wollten, was Bürgerinnen und Bürger über planerische Zukunftsprojekte denken. Dass es aber schwer sei, an die Menschen heranzukommen.

Aber werden die Einträge in den Tagebüchern auch irgendwelche Konsequenzen haben? „Wir denken darüber nach, im Sommer eine Lesung aus den Büchern zu veranstalten, zum Beispiel vor der Stadtbücherei“, erzählt Isabella Kölz. Außerdem kam die Idee auf, alternative Stadtführungen zu organisieren, in denen Würzburger*innen andere zu eigenen biografischen Stationen führen. Etwa dorthin, wo sie aufgewachsen sind oder wo einst die Großmutter lebte.
(Pat Christ)

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