Leben in Bayern

Bruder Damian: Eine Anzeige im Internet lockte ihn nach Bayern. (Foto: Thomas Stankiewicz)

05.07.2019

Gesucht: „Einsiedler/-in in Vollzeit“

Wie ein Hamburger Arbeitersohn in einer bayerischen Idylle landete

Still ruht das Idyll mitten im Bergwald. Nur die Vögel zwitschern schier unverschämt laut. Leise dagegen nähert sich vom steilen Kreuzweg her ein E-Bike. Ein Mann in schwarzer Soutane nimmt den Helm ab, stellt sich freundlich als Bruder Damian vor, öffnet die schwarze Tür seiner Klause. Er brüht einen Kräutertee auf, bevor er in hanseatischem Tonfall erzählt, wie er in die seit Oktober 2018 verwaiste, letzte von der katholischen Kirche in Bayern betreute Einsiedelei berufen wurde. Ausgerechnet er, der einer evangelischen Arbeiterfamilie aus Hamburg-Altona entstammende Jürgen Ernst Flach.

Vor 40 Jahren schon, in einer Zeit, als es vor „Aussteigern“ nur so wimmelte, hatte die Einsiedelei bereits Probleme mit geeignetem Nachwuchs. Damals kredenzte der 70-jährige Bruder Bernhard Besuchern und Wanderern einen aromatischen Likör, den er aus wilden Kirschen des Kirchgarterls brannte. Und plauderte gern mit den Leuten, die in die Einsamkeit kamen. Manche ließ er in seinem leeren Bienenhäuschen schlafen.

Eines Tages aber wurde der lustige Bruder abberufen. Vielleicht war er den geistlichen Obrigkeiten ein bisschen zu leutselig geworden, zu zeitgeistig, zu weltlich. Ihm folgte ein finsterer Mann, der die Nähe von Menschen und Tieren scheute. Und später blieb es oft sehr einsam im Kirchwald. Einmal musste sogar eine Frau einspringen. „Länger als ein bis zwei Jahre hält es hier keiner aus“, sagte schon Bruder Bernhard vor 40 Jahren.

Bruder Damian mag Rehe lieber als Menschenmassen

Bruder Damian, 58 Jahre alt, kommt aus einem Pflegeorden in Nordrhein-Westfalen. Dorthin war er geraten, nachdem seine aus Thüringen stammende Oma ihn mit dem katholischen Glauben vertraut gemacht hatte. Vor allem der päpstliche Segen „urbi et orbi“ habe ihn fasziniert. Überzeugt ließ er sich umtaufen. Er folgte damit unwissend seinem allerersten Vorgänger. Jener Tuchmachergehilfe Michel Schöpfl, Sohn lutherischer Eltern aus Mähren, war 1643 nach Rom gepilgert, um sich in der Peterskirche römisch-katholisch taufen zu lassen. Und weil er als Deserteur im Dreißigjährigen Krieg von dem Prior eines Dominikanerklosters durch eine List vor dem Galgen gerettet worden war, baute Schöpfl eine – noch heute schwer zugängliche – Felshöhle am Heuberg im Inntal als Wohn- und Gebetsstätte aus. Das aus Rom mitgebrachte Marienbild hängt in der spätbarocken Wallfahrtskirche gegenüber der alten Klause auf der Waldlichtung.

Dass dieses Gnadenbild seither verehrt wird und vielen Gläubigen geholfen hat, bezeugten rund hundert Votivtafeln.Da der Zulauf immer größer und die ursprüngliche hölzerne Waldkapelle immer baufälliger wurde, entstand 50 Meter weiter oben, auf einer kleinen Waldlichtung, eine neue Einsiedelei. Zeitweise diente die mit einer Stube und zwei Zellen eingerichtete Klause als „freiwillige“ Schule für die Dorfkinder.

Dem bei der Säkularisation 1803 angeordneten „Abbruch“ entging das versteckte Heiligtum wie durch ein Wunder. „Heiligtum“ nennt es der konvertierte Bruder Damian. Ihm war der Pflegeorden irgendwann „zu wenig kontemplativ“ geworden. Da traf es sich gut, dass die Kirchenstiftung Nußdorf eine Stelle aus-schrieb, auch im Internet: „Einsiedler/in – Vollzeit“. Gesucht wurde demnach eine idealistisch gesinnte, kirchlich beheimatete Person, die Freude an Stille und Einsamkeit, aber auch Erfahrung im Umgang mit Menschen habe. Denn auch Pilger und Gottesdienstbesucher seien zu betreuen. Ernst Flach wusste bei einem Besuch im Kirchwald gleich, wo er nun „bis zum Ende“ daheim sein wollte.

Bruder Damian bangt nicht vor der Einsamkeit, im Gegenteil. Inzwischen lässt es sich dort wohl auch etwas besser als bisher leben. Das E-Bike bekam er von der Kirche, die ihm auch einen bescheidenen Unterhalt zahlt. Und eine Trinkwasserleitung hat die Gemeinde nun heraufgeführt, sodass kein Einsiedler mehr die 200 Meter entfernte, im Winter oft zugefrorene Bergquelle anzapfen muss.

Früh um halb fünf hört Bruder Damian die neuen Nachrichten im Radio, das er aber sonst nie einschaltet. Fernsehen liegt ihm ohnehin fern. Müßiggang, betont er, kenne er überhaupt nicht, Bevor er morgens das Wasser auf die Kochplatte stellt, meditiert er, wobei er oft über die eben gemeldete Weltlage nachdenkt. Selten vergisst er ein Gebet für die armen Seelen und die Kranken. Danach widmet sich der Eremit der häuslichen Arbeit. Viel ist da zu reparieren. Im Gärtchen wachsen Tomaten, Bohnen und Salat, im Bienenhaus sind – wenn auch nicht von ihm allein – sieben Völker zu versorgen. In der wunderschönen Kirche mit ihren vielen Kunstschätzen ist nicht nur Staub zu wischen, sondern viel zu lesen und zu beten.

Sonntags, beim Geläut von zwei mächtigen Glocken, legt der Mann seine schneeweiße Kutte an und feiert die Heilige Messe. Wenn ihm jedoch – besonders an den traditionellen drei „Goldenen Samstagen“ im Oktober – das Gotteshaus mit seinem 27 Meter hohen Turm allzu voll erscheint, „dann bleib ich lieber hier unten oder ich gehe in den Wald“, erklärt Bruder Damian. Denn lieber als auf Menschenmassen schaut er auf die Rehe, die regelmäßig in der Dämmerung am Rand seines Kirchwalds grasen. (Karl Stankiewitz)

Kommentare (2)

  1. Raphaela am 06.07.2019
    Auch finde ich Ihre Bemerkung, dass eine Frau einspringen musste, unsachlich. Schwester Miriam musste nicht, sie wollte.
  2. Raphaela am 06.07.2019
    Sehr geehrter Herr Stankiewicz, "Länger als ein bis zwei Jahre hält es hier keiner aus.", soll Bruder Bernhard gesagt haben. Nun, es gab Eremiten, die jahrzehntelang im Kirchwald gelebt, gebetet und gearbeitet haben, wie Sie in der Broschüre, die in der Wallfahrtskirche ausliegt, nachlesen können. Auch wird die Stelle als Teilzeitjob für 20 Stunden Mesnertätigkeiten bezahlt.
    Mit freundlichen Grüßen Raphaela Jänsch
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