Assunta Tammelleo wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Ihre deutsche Mutter ging zum Putzen. Der Vater war ein Gastarbeiter aus Süditalien. Einer von vielen billigen Arbeitskräften, die man in den frühen 1960er-Jahren ins Land holte, um das deutsche Wirtschaftswunder voranzutreiben. Man hat die „Ausländer“ gebilligt, aber nie gewollt und schon gar nicht respektiert. Ihr Vater war Analphabet und damit nahezu chancenlos, sich gesellschaftlich zu etablieren. Für Assunta Tammelleo, die jüngere von zwei Töchtern, war klar: „So will ich nicht behandelt werden. Ich mache das Abitur.“
Heute ist die gebürtige Schwäbin Tammelleo die bekannteste aktive Atheistin Bayerns. Die 56-Jährige engagiert sich für soziale Gerechtigkeit, die Gleichstellung der Frau und für Religionsfreiheit. Seit mehr als 30 Jahren ist sie im Vorstand des Bund für Geistesfreiheit (bfg), eine Weltanschauungsgemeinschaft, die den Glauben an persönliche und personifizierte Gottheiten als irrational ablehnt. Stattdessen zählen für die Gemeinschaft die Grundwerte des Humanismus.
Tammelleo lebt gottlos glücklich und hat sich, so kontrovers es klingen mag, einen Bibelsatz zum Leitbild gemacht: „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen.“ Es geht ihr vor allem um die Wahrung der demokratischen Grundrechte und die Freiheit der Selbstbestimmung.
Die Bibel hat Assunta Tammelleo gelesen. Dabei waren Fragen aufgekommen, auf die sie nie eine Antwort bekam. Warum Demut vor einem Herrn zeigen, der seinen Sohn geopfert hat? Für wessen Schuld musste Jesus am Kreuz sterben? Und wie soll eine Auferstehung funktionieren? Mit 17 Jahren entschied sich die Jugendliche, aus der Kirche auszutreten. „Ich bin nicht gläubig, aber einer der sozialsten Menschen“, sagt Tammelleo über sich selbst.
"Ich war bei allen Demos mit dabei"
Die Schule wurde in der Jugend zu ihrem Zufluchtsort. Dort fand das Mädchen mit den schwarzen Locken und den dunklen Augen Anerkennung und Halt. Es war 1975, das „Jahr der Frau“, als sie sich im Gymnasium erstmals aktiv in die Politik einmischte. In einer Zeit, wo die politischen Interessen der christlichen Parteien noch zu einem großen Teil von der Religion getragen wurden. Für Frauen hieß das Lebensmotto auch damals noch: Kinder, Küche, Kirche.
Assunta Tammelleo studierte Politikwissenschaft und Philosophie in München und Paris – in einer Zeit, die sie zusehends bedrohlicher empfand. Die Spannung zwischen den Weltmächten wuchs, der Nato-Doppelbeschluss bestimmte die Stationierung der atombestückten Pershing II- und SS20-Raketen in uropa und die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf wurde gebaut. Dann der Supergau im russischen Atomkraftwerk Tschernobyl. „Ich war bei allen Demos mit dabei“, erzählt Tammelleo. Und sie bekam die Staatsgewalt zu spüren. Bei der Mahnwache „Mütter und Väter fasten für den Frieden“ in der Münchner Frauenkirche wurden die Demonstranten kostenpflichtig weggetragen und für einen Tag hinter Gitter gesperrt. Tammelleo prozessierte mit ihrer Gruppe gegen diese harte Form von Einschränkung demokratischer Werte und gewann nach sieben Jahren.
Auch mehr als 30 Jahre später ist Tammelleo kämpferisch, wenn es um Gleichberechtigung, Menschenrechte und Religionsfreiheit geht. Die ehemalige Unternehmerin betreibt seit gut zehn Jahren eine der ältesten Kulturbühnen im Oberland: den „Hinterhalt“. „Warum sollten Menschen an so einem geschlossenen Ort mit Schankanlage am Karfreitag nicht feiern dürfen?“, fragt sie. Der Bund für Geistesfreiheit provozierte 2007 unter ihrer „Regie“ gegen das Tanzverbot an stillen Tagen mit seiner „Heidenspaßparty“ – und wurde angezeigt. Die Klage kam bis vor das Bundesverfassungsgericht. 2016 wurde die bayerische Staatsregierung mit höchstrichterlichem Urteil aufgefordert, das Feiertagsgesetz zu aktualisieren.
Aktuell steht wieder eine Klage an. Seit dem 1. Juni 2018 müssen per Gesetz in allen bayerischen Amtsstuben Kreuze aufgehängt werden. „Damit verstößt die bayerische Staatsregierung gegen das Neutralitätsgebot“, ist Tammelleo überzeugt. Dagegen will der Bund für Geistesfreiheit vorgehen – notfalls wieder durch alle Instanzen. „Ich überlege mir inzwischen, ob ich beim nächsten Amtsbesuch die Leiter mitbringen soll“, sagt Tammelleo und meint es durchaus ernst.
In ihrer Wahlheimat Wolfratshausen hat Tammelleo einen Kulturverein gegründet und den Sirenenchor. Der singt immer dann, wenn er etwas zum Aufheulen findet. So sang er zum Beispiel auch schon gegen die AfD und für kulturelle Vielfalt. Der Chor aus politisch und sozial engagierten Frauen und Männern in bunten Kleidern und mit verrückten Hüten mahnt mit Schlagern unter anderem von Hildegard Knef und den Comedian Harmonists gegen den stärker werdenden Rechtsruck.
Tammelleo wird nicht müde, sich für Gerechtigkeit und demokratische Werte einzusetzen. „Solange es Zustände gibt, die mich empören, mache ich weiter.“
(Andrea Weber)
Foto (privat): Tammelleo (links) bei einer Friedensaktion 1983 in der Münchner Frauenkirche.
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