Leben in Bayern

Auf den ersten Blick sieht Grafenwöhr so aus, wie viele andere Kleinstädte auch – aber das täuscht. (Foto: Stumberger)

18.09.2020

Grafenwöhr bangt um seine Amerikaner

Der angekündigte US-Truppenabzug könnte besonders die Oberpfalz treffen – er wäre ein tiefer Einschnitt für die Region

Seit 75 Jahren sind in Grafenwöhr US-amerikanische Truppen stationiert – und die Stadt lebt gut von der Garnison. Bislang. Denn US-Präsident Donald Trump will mehrere Tausend Soldaten aus Deutschland abziehen und auch der Standort in der Oberpfalz ist davon betroffen. Wie geht man dort mit der Hiobsbotschaft um? Ein Besuch in einer Stadt, in der man hofft und bangt.

Fährt man bei Weiden von der Autobahn auf die Bundesstraße Richtung Westen, kann man die ersten Anzeichen für den nahen Truppenübungsplatz schon sehen: breitachsige olivfarbene Hummer-Jeeps mit US-Soldaten am Steuer, schwere Tieflader, die Panzer transportieren, und Kolonnen von Lastwägen mit Tarnfarbe. Kommt man aber in Grafenwöhr am Marktplatz an, scheint alles Militärische wieder in einer ganz anderen Welt zu liegen. Es ist Donnerstag, kurz vor elf Uhr vormittags, und der Platz mit dem Rathaus scheint in einer Art Dornröschenschlaf zu liegen. Gerade einmal alle halbe Stunde fährt ein Auto vorbei, ansonsten ist es still.

Ein- und zweistöckige Häuser stehen rund um den Markt, neben dem Gasthof zur Post liegt der Adler-Wirt und schräg über die Straße der Gasthof Specht, heute ein Irish Pub. Sieht also alles so aus, wie man es sich von einer Kleinstadt in der Provinz erwartet. Aber es gibt sie dann doch, die Hinweise auf die internationale Nachbarschaft. In den meisten Läden und Restaurants sind Aushänge und Speisekarten auch ins Englische übersetzt. So heißt der Schweinsbraten mit Knödel bei der Post etwa „Roast Pork with Potato Dumplings“, er kostet acht Euro. Und beim Adler gibt es „Two Rost Sausages with Sauerkraut“ für 3,80 Euro. Zwei Ecken weiter an der Hauptstraße macht ein Uhrengeschäft als „Watch Service Point“ auf sich aufmerksam und der Kellner im indischen Restaurant spricht einen gleich auf Englisch an.

„Für uns ist die Wahl des US-Präsidenten wichtiger als die des Bundeskanzlers“

Auch im 1462 erbauten Rathaus steht auf der Infotafel unter „Bürgermeister“ das englische „Major“. Der sitzt im ersten Stock des spätgotischen Gebäudes und heißt seit 2014 Edgar Knobloch. „Wenn die Haubitzen schießen, dann klappert das Geschirr im Schrank“, sagt der 56-jährige CSU-Politiker. Die Stille in der Altstadt von Grafenwöhr ist also keineswegs von Dauer. Aber wie lange schießen sie überhaupt noch? Wo doch Tausende US-Soldaten aus Deutschland abgezogen werden sollen. „Ja“, sagt Knobloch, seit der Ankündigung des teilweisen Truppenabzugs sei in Grafenwöhr schon ein großer Medienwirbel gewesen, selbst das dänische Fernsehen sei gekommen. „Und nein“, sagt er auf Nachfrage, er könne noch immer keine konkrete Zahl nennen, wie viele Soldaten in Grafenwöhr abgezogen werden. Knobloch macht sich Sorgen: „Ohne Amerikaner kann man sich die ganze Region schwer vorstellen“, sagt er. Aber er gibt sich auch zuversichtlich: „Wir nehmen das schon ernst, haben aber die Hoffnung, dass es nicht so schlimm kommt.“ Bislang immerhin sei es ja auch immer weitergegangen. Dazu kommt: Der Truppenübungsplatz sei der modernste der Welt, da sei viel Geld hineingesteckt worden. Der Bürgermeister gibt sich deshalb überzeugt, dass der Standort nicht prinzipiell infrage stehe. Außerdem könne so ein Abzug von Teilen der US-Soldaten ja auch Jahre dauern, betont er. Aber Knobloch weiß auch: „Es gibt schon Leute, die sich mehr Sorgen machen.“

Ein Abzug der Soldaten wäre tatsächlich äußerst bitter für die Stadt, denn Grafenwöhr ist wirtschaftlich vollkommen auf die dort stationierte US-Garnison ausgerichtet. Allein dort sind 3000 deutsche Arbeitskräfte beschäftigt. Die 34 gastronomischen Betriebe sowie diverse Tattoo-, Piercing- und Nagelstudios leben nicht von den etwa 6500 Einwohnern der Stadt, sondern von den rund 30 000 hier ansässigen Amerikanern. Auch 80 Prozent der Übernachtungsgäste im Hotel Zum Stich’n sind US-Bürger. „Für uns in Grafenwöhr ist die Wahl des US-Präsidenten wichtiger als die Wahl des Bundeskanzlers“, bringt es Hotelier Andreas Hößl auf den Punkt. Tatsächlich wird er mit seiner Familie die US-Wahlnacht am 3. November vor dem Fernseher verbringen. Dafür macht das Hotel sogar Betriebsurlaub. Die Amerikaner gelten als zahlungsfreudige Gäste; da es sich meist um Dienstreisende handelt, werden auch für die Provinz relativ hohe Übernachtungskosten von 120 Euro pro Nacht gezahlt. Die Hoteliersfamilie hat deshalb keine Investitionen gescheut, um einen gehobenen Standard zu bieten. Im Laufe der Jahre hat sie ihr Hotel von zehn auf heute 40 Zimmer ausgebaut.

Die Welt der US-Amerikaner beginnt hinter dem Kasernentor an der Neuen Amberger Straße. 1945 hatten die US-Truppen den Übungsplatz übernommen, der 1910 für die bayerische Armee angelegt worden war. Heute sind im Verwaltungsbereich der U.S. Army Garrison Bavaria mit den Standorten in Grafenwöhr, Vilseck, Hohenfels und Garmisch etwa 15 000 US-Soldaten stationiert. Insgesamt leben in der Region aber rund 40 000 US-Amerikaner – neben den Soldaten auch Zivilangestellte und deren Familien. Alleine zum Truppenübungsplatz Grafenwöhr mit den Standorten Tower Barracks Grafenwöhr und Rose Barracks Vilseck zählt man etwa 30 000 US-Amerikaner, davon sind etwa 12 000 US-Soldaten. Der Truppenübungsplatz ist elektronisch auf dem neuesten Stand, geübt wird auch mit Simulatoren. Und da er unter amerikanischer Verwaltung steht, kommen jedes Jahr zusätzlich auch sogenannte rotierende Einheiten, die nach Grafenwöhr verlegt werden. Außerdem wird er neben der Bundeswehr auch von anderen Nato-Mitgliedstaaten genutzt.

Insgesamt sollen aus Deutschland 12 000 US-Soldaten abgezogen werden, so viel ist schon klar. Davon könnten 1000 aus Grafenwöhr und 4500 aus Vilseck betroffen sein. Fragt man beim U.S. European Command Public Affairs in Stuttgart nach, heißt es, Details und Zeitpunkte könne man derzeit nicht nennen, die Pläne würden auf höchster Ebene ausgearbeitet. Und nein, den Truppenübungsplatz könne man derzeit nicht besuchen.

Vor dem Garnisonstor sieht es ein bisschen aus wie in einer amerikanischen Kleinstadt. Bei diversen Autogeschäften wehen amerikanische Fahnen, ein Autobauer bietet „Military Sales“, also Preisnachlässe für Militärpersonal, an – und ein Händler wirbt: „We buy US cars“ – wir kaufen amerikanische Autos. Ein zweites Tor zur Garnison liegt am Ende der Alten Amberger Straße, die als Kneipen- und Vergnügungsmeile der Stadt dient. Ihre Geschichte kann man im örtlichen Kultur- und Militärmuseum nachlesen. Etwa, dass in den 1960er-Jahren hier Elvis Presley stationiert war und in der Micky-Bar ein Privatkonzert gab
(Rudolf Stumberger)

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