Leben in Bayern

Claudia Maria Pecher ist Präsidentin der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur in Volkach. (Foto: Pat Christ)

21.02.2020

Greta, der Wolf und der Waldgeist

Die Literaturwissenschaftlerin Claudia Maria Pecher hat sich dem Thema Umweltbildung für Kinder verschrieben

Die Gewässer sind verschmutzt. Die Müllberge wachsen. Die Erde erwärmt sich. Claudia Maria Pecher ist überzeugt, dass diese Themen auch und vor allem Kinder und Jugendliche angehen. Die Präsidentin der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur in Volkach im Kreis Kitzingen startete deshalb bereits 2011 eine Initiative, die seither immer größere Kreise zieht: Klimabuchtipps für Kinder und Jugendliche. Pecher nahm damals damit ein Thema in den Fokus, das zu jener Zeit in der Kinderliteraturszene noch kaum eine Rolle spielte.

Das ist heute anders. Stapelweise treffen Rezensionsexemplare zu den Themen Klima, Natur und Umwelt in der Volkacher Akademie ein. Nach Schätzungen der promovierten Literaturexpertin erscheinen jedes Jahr zwischen 200 und 300 Bücher zu diesen Themen. Pecher gehört einer vierköpfigen Jury an, die pro Jahr daraus 36 für junge Leser besonders geeignete Werke auswählt. „Drei für unsere Erde“ nennt sich diese Aktion.

Als sich Pecher entschloss, Klima-Buchtipps als neues Angebot der Volkacher Akademie zu etablieren, wusste sie anfangs nicht recht, wo sie fündig werden sollte. „Ich kontaktierte deshalb das Umweltbundesamt“, berichtet sie. Dort stieß die Idee auf große Resonanz. Mit vereinten Kräften gelang es denn auch, jeden Monat einen Tipp zu finden und zu verbreiten. Gefördert vom Umweltbundesamt, bot die Akademie einige Zeit später außerdem Leseveranstaltungen, Workshops und Live-Chats mit Autoren. Dieses bayernweit einmalige Engagement mündete 2014 in die Tagung „Lesen für die Umwelt“.

Gerade viele Stadtkinder kennen heute kaum noch Insekten, Vögel, Schmetterlinge, Blumen und Bäume. In der Vorweihnachtszeit empfahl die Akademie deshalb zum Beispiel Wieland Freunds Nemi und der Hehmann, eine Geschichte über ein Mädchen und einen Waldgeist, dessen Welt vom Untergang bedroht ist. Ebenfalls Bücher, die die Akademie in den letzten Monaten empfohlen hat: der Kinderroman Ruf der Wölfe von Robert Habeck und Andrea Paluch, die gegen die Angstmache um den Mythos Wolf anschreiben. Und mit Madame Fafü von Astrid Walenta suchte die Akademie ein Umweltbuch aus, das durch ungewöhnliche Geschichten über die Liebe zu Insekten Empathie für diese kleinen Lebewesen wecken will.

Natur- und Umweltschutz gehören heute fest ins Curriculum von Schulen. Schon Grundschüler bekommen eine Ahnung, was nachhaltige Entwicklung heißt und wie der Mensch das Ökosystem beeinflusst – auf oft negative Weise. Diese Entwicklung kommt dem Umweltengagement der Volkacher Akademie entgegen. Gerade Schulen schätzen die von der Akademie herausgegebenen Tipps. Allerdings rechnet Pecher damit, dass die „grüne Welle“, die den Kinder- und Jugendbuchmarkt erfasst hat, irgendwann auch wieder abebben wird. „Doch wir werden unsere Initiative auch dann konsequent fortsetzen“, verspricht sie. Das Projekt „Drei für unsere Erde“ sei ihr ein Herzensanliegen.

Kindern ökologisches Know-how zu vermitteln, ist nach Pechers Ansicht wichtig, damit sich in Sachen Umweltschutz etwas ändert. Viele der empfohlenen Werke geben ganz praktische Tipps, wie man nachhaltiger leben kann. Einer der Quotenbringer der Akademie: Unsere Zukunft ist jetzt: Kämpfe wie Greta Thunberg fürs Klima von Claus Hecking, Charlotte Schönberger und Ilka Sokolowski.

Wichtig findet sie auch den Blick über nationale Grenzen

Wie beunruhigend gerade junge Menschen den Klimawandel empfinden, zeigt für Pecher der starke Zulauf zur Fridays-for Future-Bewegung. „Doch Umweltbildung darf bei allem notwendigen Protest nicht zu kurz kommen“, warnt die Jugendbuchforscherin, die derzeit an der Uni Frankfurt lehrt und ab März die Landesfachstelle für katholische Büchereien beim Sankt Michaelsbund leiten wird. Nur wer weiß, warum er protestiert, wofür und wogegen er ist, könne seine Forderungen gut vertreten. Bei der Auswahl der Buchtipps legt die Jury deshalb großen Wert darauf, dass die transportierten Informationen fundiert sind.

Nicht nur hierzulande klagen die Menschen über eine schlechte Luftqualität und Wetterextreme. In vielen Regionen dieser Erde, etwa in China, ist die Problematik noch drastischer. Das hatte Pecher im vergangenen Jahr erfahren, als sie die Pekinger Buchmesse besuchte. Auch in China wird versucht, bei Kindern über Bücher die Liebe zur Natur zu wecken und natürliche Zusammenhänge darzustellen. „Wobei das auf eine andere Weise geschieht als bei uns.“ In China sind Naturbücher für Kinder weniger faktenorientiert, dafür mystischer. Auch das hat seinen Reiz. Es sei grundsätzlich wichtig, beim Thema Umwelt über die eigenen nationalen Grenzen zu blicken, sagt Pecher.

Für Umweltbildung brauche es sowohl die wissenschaftliche Analyse als auch die einfühlsame Vermittlung von Wissen, so Pecher. Es gelte, die Liebe zur Natur, aber auch das Verantwortungsgefühl zu wecken. Alle diese Aspekte fließen in die Beurteilung der Flut von Umwelt- und Naturbüchern hinein. Die Texte werden von den Jurymitgliedern ebenso kritisch unter die Lupe genommen wie die Illustrationen. So entschied man sich vor zwei Jahren für Angelika Hirschs Jugra geht, weil darin ein altes Märchen aus dem Erzählschatz der westsibirischen Chanten poetisch und in eindrucksvollen Bildern neu erzählt wird.

Inwieweit es die Buchtipps geschafft haben, junge Menschen zu mobilisieren, kann die Volkacher Akademie nicht sagen. Doch es gibt einzelne Aktionen innerhalb des inzwischen breit gefächerten Öko-Projekts, die eine große Wirkung entfaltet haben. Besonders stolz ist Pecher auf die Initiative „Deine Welt + Meine Welt = Unsere Welt“, in dem sich Studierende aus Augsburg engagieren. Hier werden die Themen Natur und Migration in Willkommenskursen für Schülerinnen und Schüler der 3. bis 6. Jahrgangsstufe in der Stadtbücherei Augsburg intelligent miteinander verknüpft. Was verbindet Kinder, deren Familien aus Afghanistan oder der Ukraine zugewandert sind, mit Kindern, die hier aufgewachsen sind? Arbeitsmaterialien dazu brachte die Volkacher Akademie heraus. „Das Thema Essen zum Beispiel interessiert und verbindet alle Kinder“, erklärt Pecher. Und es hat zugleich viel mit Natur und Umwelt zu tun. In manchen Heimatländern von Flüchtlingen wird es aufgrund von Umwelt- und Naturzerstörung immer schwieriger, Nahrungsmittel anzubauen.
(Pat Christ)

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