Leben in Bayern

Heuschrecken können sehr lecker sein – das finden zumindest Josef Hirte und Mathias Rasch. (Foto: Andres Chuquisengo)

21.02.2020

Grillen-Riegel und Mehlwurm-Muffins

Insektensnacks als Fleischersatz: Zwei Münchner wollen den Menschen die kleinen Krabbler schmackhaft machen

Käfer, Heuschrecken, Mehlwürmer: Lebensmittel aus Insekten lösen bei den meisten Menschen Ekel aus. Dabei könnten sie dazu beitragen, den Hunger auf der Welt zu stoppen. Zwei Münchner bieten diese ressourcenschonendere Alternative zum Steak im Online-Versand an – und wagen jetzt auch den Einstieg in die eigene Züchtung.

Ziemlich dunkel ist es im Komitee, ein Handwerker macht sich gerade an der kaputten Elektrik zu schaffen. Kartons mit Bestellungen, Papiertüten und geöffneten Döschen aus Bioplastik stehen herum. Gnädig ist das Dämmerlicht. Es verschluckt die feineren Strukturen, die den Inhalt erkennbar zu dem machen, was er ist: ein Häufchen Grillen.

Wicked Cricket heißt das Start-up, das jeden Montag in der Kneipe Komitee in der Münchner Maxvorstadt tagt und tut, was gerade so anfällt. Heute auf der Tagesordnung: die Journalistin davon zu überzeugen, dass Insekten das Nahrungsmittel der Zukunft sind. Vor allem aber sollen Tüten beklebt und mit getrockneten Insekten befüllt und Kartons mit Bestellungen verschickt werden. Im Ofen in der Küche werden proteinreiche Riegel hergestellt. Aus Walnuss, Pflaume, Honig, Vanille – und pulverisierter Grille. „Wicked Cricket Bricket“ nennt sich das Ergebnis, ein süßer Kraftriegel, der sich ganz gut an Sportler verkaufen lässt, weil der Proteinanteil der Grille hoch ist.

Heimchen gelten als ideale Einsteiger-Insektensnacks

Übersetzt bedeutet „wicked“ wahlweise „böse“ oder „geil“. Und „cricket“ die Grille. In diesem Fall: das Heimchen. Eine Langfühlerschrecke, kleiner und schlanker als die Feldgrille, lichtscheu und nachtaktiv. Die Männchen zirpen, die Weibchen legen Hunderte von Eiern. Für ihre Vermehrung braucht es wenig Platz und Ressourcen. Vor bald drei Jahren haben Mathias Rasch und Josef Hirte das außergewöhnliche Unternehmen gegründet.

Geschätzte zwei Milliarden Menschen essen Insekten. Vielen gelten sie gar als Delikatessen. Dass man sich in der westlichen Welt davor ekelt, ist eigentlich unsinnig. Seit wenigen Jahren setzen eine Handvoll Start-ups in Deutschland auf Veränderung, sie wollen den Verzehr von Insekten, Entomophagie genannt, ankurbeln. Und das nicht nur, weil ein paar Hipster darauf hoffen, mit originellen Produkten eine ökonomische Punktlandung zu setzen. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO der Vereinten Nationen schlug bereits 2013 den Verzehr von Insekten als Lösung für die Ernährungsprobleme der Zukunft vor. Denn sie verbrauchen kaum Platz und Ressourcen, ihre Ökobilanz ist vorbildlich und die Nährstoffdichte groß. Sie wären darum ein idealer Beitrag im Kampf gegen Hunger, könnten Soja und Fischmehl in Futtermitteln ersetzen und den Fleischkonsum in den westlichen Ländern reduzieren.

Längst treten auch Experten und Politiker in Europa dafür ein, Insekten als Lebensmittel zu fördern. Mathias Rasch schwärmt geradezu von der Zusammenarbeit mit dem Veterinäramt der Stadt München: „Superkooperativ, unglaublich freundlich.“ Das Gleiche gilt für das Lebensmittelüberwachungsamt: „Sehr sachlich, das ist schön für uns.“ In den Behörden weiß man offenbar: Es geht hier um sehr viel mehr als einen schrägen Mutprobensnack. Nämlich darum, in Sachen Ernährung einen völlig neuen, vernünftigen Weg einzuschlagen.

Der Siegeszug der Entomophagie steht allerdings noch in weiter Ferne. Insekten werden in unseren Breiten nun mal nicht gegessen. Aber Ekelgrenzen lassen sich verschieben. Denn so archaisch das Gefühl des Ekels auch sein mag, es ist kulturell überformt, und Kulturen wandeln sich. Möglich, dass die eigenen Großeltern noch Maikäfersuppe aßen – und das nicht nur in Notzeiten.

Wer aktiv an seiner persönlichen Ekelgrenze arbeiten will, ist mit einem Heimchen gut bedient. Es gilt als ideales Einsteigerinsekt. Weder weich noch glitschig, also kein bisschen, wie Mathias Rasch, der für das Marketing zuständig ist, vergnügt formuliert, „wurmesk“. Als Gründer betätigt er sich vor allem an den Abenden und Wochenenden. Ansonsten arbeitet er in München als Lehrer für Deutsch und Geografie. Sein Partner Hirte ist Physiker.

Wurmeskes, erklärt Rasch, passiere die Ekelschwelle nicht gut. Auch Insekten, denen man vorm Verzehr Beine oder Flügel rausreißen muss, seien eher etwas für Fortgeschrittene. Und die Rezepte auf der Homepage? Eher für echte Kenner. Steinpilz-Mehlwurm-Muffins. Grillen-Pumpernickel-Brösel. Oder Nudeln mit Mehlwurm aglio e olio.

Eine kleine Grille aber, geröstet, getrocknet und gewürzt mit Allgäuer Wildkräutern, rosa Pfeffer oder schlichtem Salz, ist für den Anfang zu schaffen. Rasch selbst hat den Ekel längst hinter sich gelassen. Und wie jeder Gourmet hat auch er Sehnsüchte: Gern würde er mal die grüne Waldameise aus Australien essen, die intensiv nach Zitrone schmecken soll. Oder die fingerlange Made, die das Kokosaroma der Nüsse aufnimmt, in denen sie lebt.

Mit Biokarotten und Haferflocken aufgepäppelt

Vor allem aber findet er, dass Insekten ins Tiefkühlregal gehören, so wie Muscheln oder Garnelen. Insofern ist es nur logisch, dass das Start-up nicht nur auf die Veredlung von Insekten in Snacks und Riegeln setzt, sondern selbst den Einstieg in die Züchtung wagen will. Im größeren Rahmen soll dies demnächst auf dem Gelände des Kulturzentrums Bahnwärter Thiel in München geschehen.

In einem Container wollen Rasch und seine Kollegen die Parameter erforschen, die eine qualitätssichere, weitestgehend automatisierte Zucht ausmachen: die nötige Versorgung mit Wasser, die ideale Temperatur, die Fütterung. Eines ist dabei zu beachten: Insekten sind empfindlich. Für die Aufzucht empfehlen sich biologische Lebensmittel. Pestizide sind tabu. „Eine gesunde Grille ist immer bio“, sagt Rasch, der seinen Heimchen daheim schon Biokarotten und Haferflocken vorgesetzt hat – mit Erfolg.

„Eine umweltfreundliche Zuchttechnik zu entwickeln, die sich auf der ganzen Welt bewährt“, wäre sein Traum. Irgendwann könnten dann zum Beispiel Lachsfarmen Insekten züchten, um damit ihre Fische zu füttern. Angesichts von Überfischung, Überweidung, Massentierhaltung, und Abholzung könnte die Welt die Grille tatsächlich gut brauchen, um ein wenig besser werden. Ein wichtiger Antrieb, wenn man um jeden kleinen Schritt ringen muss. Pionierarbeit ist hart. Es fehlt an Zeit, weil ein so junges Projekt kaum Geld abwirft. Und es fehlt an Know-how. Man macht Fehler. Das Start-up wählte zum Beispiel ganz klimabewusst eine Dose aus Bioplastik, nur um festzustellen, dass sie nach Lebensmittelstandards nicht fest genug schließt – und sich nicht recyceln lässt.

Aber wo alles Neuland ist, regiert auch ein hohes Maß an Freiheit. Sogar die Begriffe kann man mitbestimmen. Spricht man im Falle von Insekten besser von Schlachtung? Oder von Ernte? Tatsächlich werden die Tiere schockgefroren. Rasch findet: „Nach Schlachten fühlt es sich nicht an.“ Aber einer Pflanze ähnelt das kleine Ding ja auch nicht gerade, das man jetzt zwischen Zeigefinger und Daumen hält und zögerlich ein bisschen hin- und herdreht. Der Elektriker ist da unerschrockener. Er hat zwischendurch schon jede einzelne Sorte der Insektensnacks probiert. „Schmeckt gut“, sagt er, die Variante mit Wildkräutern sei die beste.

Also los: Einmal kurz gekaut, schnell geschluckt. Zack. Geschafft. Und ja: Man übersteht das nicht nur, es ist sogar ziemlich gut. Gar nicht fremd jedenfalls. Aber dann reicht es auch mit dem Mut, fürs Erste. (Monika Goetsch)

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