Leben in Bayern

Noch besteht es fast ausschließlich aus Schutt: das Gelände der ehemaligen Bayernkaserne. (Foto: Thomas Stankiewicz)

20.05.2022

Grünes Stadtquartier aus Kasernenschutt

Auf dem Gelände der früheren Bayernkaserne in Freimann entstehen rund 5500 Wohnungen für bis zu 15 000 Menschen – ein Projekt mit Modellcharakter in vielerlei Hinsicht

Es ist ein geschichtsträchtiges Areal, auf dem in München ein neues Viertel entsteht – und 70 Jahre lang stellte es die Planenden vor riesige Probleme. Doch spätestens Ende 2030 sollen auf dem Gelände der Bayernkaserne Tausende Menschen wohnen. Das Besondere: Neufreimann wird von Bauherren, Stadtverwaltung und Bewohner*innen gemeinsam entwickelt. Und nachhaltig bebaut.

München bekommt ein neues Stadtviertel für bis 15 000 Menschen. Es entsteht auf dem früheren Gelände der Bayernkaserne. Der neue Name: Neufreimann. Er wurde aus über 300 Vorschlägen von Münchner Bürger*innen ausgewählt. Das Besondere: Es wird von Bauherren, Stadtverwaltung und Bewohner*innen gemeinsam entwickelt. Ungewöhnlich ist auch das praktizierte Betonrecycling. Das Abrissmaterial wird teilweise wiederverwendet – Nachhaltigkeit ist ein zentrales Thema für das neue Quartier. Auch mit der Finanzierung und der künftigen Vermietung geht man unbetretene Wege. Der Bund fördert das Vorhaben als „Nationales Projekt des Städtebaus“.

Unzählige Grünflächen mit alten und neuen Bäumen

Das neue Quartier entsteht auf einem geschichtsträchtigen Areal, das die Planer der Landeshauptstadt schon seit Langem herausfordert. „In den letzten 70 Jahren stellte sich dieses Planungsgebiet mehr oder weniger als weißer Fleck im Stadtgefüge dar“, erklärt Klaus Tröppner, der im Münchner Referat für Stadtplanung und Bauordnung für sogenannte Konversationsflächen zuständig ist. „Als unüberwindliche Barriere auch zwischen einem Wohngebiet und dem Euro-Industriepark.“

Die kleinen historischen Siedlungen – Freimann ist immerhin 100 Jahre älter als München –, Isarwildnis, Moor und Steppe, Kartoffel- und Krautäcker standen einer urbanen Weiterentwicklung lange im Wege. Dazu kamen die verschlungenen Schienen- und Straßenstränge, große Gewerbeflächen, hohe Müllberge, stinkende Klärwerke und Münchens traditionsreichstes Bordell. Und ein Truppenübungsplatz, ein Militärfluggelände und vor allem ein wahrer Koloss von Kasernen.

Schon die Wehrmacht war in den 1930er-Jahren dort stationiert, die SA exerzierte auf der Fröttmaninger Heide. Hitlers Lieblingsarchitekt Albert Speer und eine ihm unterstellte Sonderbehörde entwarf 1938, ganz im Geist des NS-Gigantismus, eine „Neue Nordstadt“ zwischen der damaligen Danziger Freiheit (heute Münchner Freiheit) und der nach Berlin führenden Autobahn. Die Idee einer ganzen „Soldatenstadt“ wurde aber aufgegeben.

Was nach 1945 von dem Gelände geblieben ist, war weitgehend Wüste. Namen wie Panzerwiese zeugen noch heute davon. Mit-tendrin das Monstrum Bayernkaserne. US-Army und die Bundeswehr waren dort stationiert. Und die Nato hatte dort ihr heimliches Hauptquartier ihrer südlichen Verteidigungsflanke in Westdeutschland.

Nach dem Kalten Krieg zog das Militär aus und die Stadt München kaufte ein 50 Hektar großes Stück Brachland samt militärischer Relikte. Man quartierte Geflüchtete ein, zuerst Minderjährige ohne Begleitung. Nach dem großen Treck ab 2015 drängten sich zeitweise über 2000 Menschen unter prekären Umständen in der Mehrzweck-Kaserne. Auseinandersetzungen und Klagen von Betreuern häuften sich. Nach dem Einbau von Kälteschutz wollte man im Winter 2018 Obdachlose einweisen; doch die meisten blieben lieber unter den Isarbrücken, abgeschreckt durch Aufpasser, Gewalt und Diebstahl.

Und jetzt also: Neufreimann. Der Ende 2018 verabschiedete Bebauungsplan sieht 5500 Wohnungen vor, zu errichten bis spätestens 2030. 50 Prozent der Grundstücke werden für den geförderten Wohnungsbau an die städtischen Wohnbaugesellschaften in Erbpacht vergeben. Die restlichen Flächen werden unter anderem an Baugenossenschaften und sogenannte Mietshaussyndikate ebenfalls in Erbpacht vergeben. Das Ziel: Langfristig bezahlbare Mietwohnungen zu schaffen.

Grün ist die Farbe des neuen Quartiers. Die Architekturbüros Max Dudler und Hilmer/Sattler sowie einige Freiflächenplaner haben eine Blockbebauung mit Grünflächen in den Höfen geplant. 1000 alte Bäume bleiben stehen, 3000 werden neu angepflanzt. Man orientiert sich an der klassischen europäischen Stadt mit viel Naturstein und Putz. Von den Modellen der Gründerzeit und des Jugendstils wie etwa im benachbarten Alt-Schwabing soll sich Neufreimann aber durch eine bessere Mischung von Wohnungen, Läden und Büros unterscheiden.

Eine wesentlich dichtere Bebauung soll Neufreimann eher Innenstadt- als Stadtrand-Charakter verleihen, verheißt der jüngste Werkbericht des Planungsreferats, das dafür erstmals eine neue Katagorie verwendet: „urbanes Gebiet“. In Gebäuden städtischer Wohnbaugesellschaften werden nicht weniger als 14 Kitas sowie ein Familienzentrum und ein Nachbarschaftstreff einziehen. Auch Bildung wird großgeschrieben: Eingeplant sind zwei Grundschulen, ein Gymnasium, Sportanlagen, Treffpunkte für die Jugend und für Ältere. Dezentralität ist die Losung. Ein Einkaufszentrum wird es nicht geben.

Ein zentraler Platz, zwei kleinere Plätze, ein „Grünboulevard“ sowie eine Ringstraße mit diagonaler Querung gliedern das rechtwinklige Straßensystem des neuen Stadtteils. Dessen Zentrum bleibt autofrei. Von der Parkstadt Schwabing aus soll die Tram 23 auf begrünter Trasse quer durch das ganze Viertel bis zur U-Bahn-Station Kieferngarten fahren. Viel Platz für Radl- und Gehwege ist ebenfalls eingeplant.

Ein wichtiger Beitrag zur Nachhaltigkeit ist die Wiederaufarbeitung der abgebrochenen Kasernenbauten. Von mehr als 1,2 Millionen Tonnen Bauschutt und Bodenaufriss, die allein bei der Baufeldfreimachung anfallen, wird mindestens die Hälfte vor Ort zu einer neuen, hochwertigen Betonart gemischt und wieder verbaut. So lassen sich obendrein die Materialtransporte um 20 Prozent reduzieren.

Der alte Bauschutt wird recycelt und wieder verbaut

Im Detail stößt der – noch nicht ausgereifte – Bebauungsplan in Fachkreisen allerdings schon auf kritische Fragen und Forderungen. Angezweifelt wird zum Beispiel, ob in dem „urbanen Quartier“ auch Platz sein wird für Reminiszenzen an das alte München und die historische Belastung des Ortes. Oder für eine neue Clubkultur. Und die örtlichen Grünen wünschen schon mal die Einplanung eines Biergartens.

Und der Entwicklungsprozess im Münchner Norden berührt und verändert auch den südlich benachbarten Euro-Industriepark – eine einzigartige Einkaufsstadt aus Hunderten Handelsketten, Lagerhallen, Fast-Food-Restaurants, und halb so groß wie die historische Maxvorstadt. Entstehen könnte dort nun eine richtige Stadt mit Wohnungen, gemischter Nutzung und viel Grün. Der Stadtrat hat kürzlich die Umwandlung des etwas heruntergekommenen Euro-Industrieparks in einen „Europark“ empfohlen. An Konzepten wird jetzt gefeilt.

Einen Entwurf haben auch drei Studentinnen der Hochschule Weihenstephan erarbeitet. Demzufolge soll mehr als die Hälfte der Fläche der Bestandsbauten als Gewerbeflächen erhalten bleiben – immerhin ist der Euro-Industriepark Münchens zweitgrößter Steuerzahler. Die flachen Hallen sollen jedoch aufgestockt werden. Hinzu kämen sechsstöckige Gebäude. In den beiden oberen, zur Sonne hin terrassierten Etagen soll gewohnt werden, unten wären Büros und emissionsarmes Gewerbe möglich. Bis zu 1270 neue Wohneinheiten könnten so entstehen.

Weiter forftgeschritten ist der Stadtumbau im Bereich der Kasernen. Nur Reste davon stehen noch. Vor Eingang Nr. 19 spielen Flüchtlingskinder im Kies. Ansonsten Drehkräne, Lastwägen, Container, Mischmaschinen. Laut Planungsreferat sind 80 bis 85 Prozent der Gebäude bereits abgerissen.
(Karl Stankiewitz)

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