Andreas Schubarth und Michael Mayer retten Leben. Der Pilot und der Flugtechniker arbeiten bei der bayerischen Polizeihubschrauberstaffel. Meist sind die beiden bei ihrem gefährlichen Job erfolgreich. Manchmal kommen aber auch ihre Hubschrauber zu spät. Vor allem, wenn ein vermisstes Kind stirbt, wird es still im Cockpit.
Andreas Schubarth prüft noch einmal seinen Helm im Flur des schmucklosen Bürogebäudes am Münchner Flughafen. Es muss jetzt alles sehr schnell gehen an diesem späten Donnerstagnachmittag kurz vor Weihnachten, denn die Einsatzzentrale hat den Polizisten soeben aufgefordert, im Süden Münchens eine vermisste Frau zu suchen – bei Gefriertruhen-Kälte von minus zehn Grad und vollkommener Dunkelheit.
„Wir sind keine Cowboys“
Schubarth schaut sich in der Zentrale das ausgedruckt an einer Pinnwand hängende Nachtflugwetter an. Dann geht er mit seinem Flugtechniker und einem so genannten FLIR-Operator, der die Wärmebildkamera bedient, auf das Rollfeld, wo die drei Polizisten bereits ihr grün-weißes, zwölf Meter langes, zwei Tonnen schweres und bis zu 260 Kilometer pro Stunde schnelles Arbeitsgerät erwartet: Der EC 135, einer der modernsten Polizeihubschrauber der Welt.
Neun dieser Fluggeräte stehen der bayerischen Polizeihubschrauberstaffel, die der Bereitschaftspolizei derzeit unterstellt ist, zur Verfügung. Ihre zentralen Standorte, der Flughafen München und die Außenstelle Roth, sind sieben Tage in der Woche rund um die Uhr besetzt. Daneben gibt es Stützpunkte in Kaufbeuren, Würzburg und Nabburg in der Oberpfalz.
Von ihren Basen fliegen die 29 Piloten, 28 Flugtechniker und 13 FLIR-Operators in Bayern nicht nur zu Großveranstaltungen wie der Sicherheitskonferenz in München oder der Vierschanzentournee in Oberstdorf oder Garmisch-Partenkirchen, sie machen sich auch auf die Suche nach verschwundenen Personen, retten Menschen aus Lawinen, Wasser und Eis, transportieren Spezialeinheiten, überwachen Flüsse und Seen und bekämpfen Verbrechen oder Brände.
Acht Hubschrauber für 58 Millionen Euro hat das Land Bayern vergangenes Jahr dazu neu angeschafft. 2009 wurden sie immerhin 3345 Mal eingesetzt: Bei 979 Flügen nach Vermissten, 523 Fahndungen, 406 Aufklärungsflügen, 546 Beweissicherungen nach Unfällen, 14 Transporten gefährdeter Personen, 363 Aus- und Fortbildungsflügen und 514 sonstigen Einsätze wie Löschflügen.
Die Hubschrauber sind schnell, geländeunabhängig, können aus der Vogelperspektive heraus operieren. Das sind nur einige der Vorteile, die Polizeoberkommissar Michael Mayer mittels Power-Point-Folie im Konferenz- und Fortbildungsraum der Hauptdienststelle am Münchner Flughafen hervorhebt.
Der 44-jährige Flugtechniker trägt einen Overall mit gelben Fliegerschwingen, er hat seit 1999 bei weit mehr als 1000 Einsätzen mitgemacht. Mayers Job ist es, die Polizeiarbeit aus der Luft zu koordinieren, Kontakt mit den Kollegen am Boden zu halten, den Piloten bei der Navigation zu unterstützen und jene Hilfsmittel zu bedienen, die das Interieur der Hubschrauber so außergewöhnlich machen.
Denn zu ihrer Ausstattung gehören eine Video- und Digitalkamera für die Beweissicherung bei Massencrashs oder Bränden, ein Verschütteten-Suchgerät, eine Rettungswinde, ein Abseilgerät für Spezialeinheiten, eine Trage, Sanitätsausrüstung und ein Lautsprecher. Einer ihrer wichtigsten Bestandteile ist allerdings die Wärmebildkamera, mit der der FLIR-Operator Temperaturunterschiede ab 0,1 Grad auf einem Monitor im Hubschrauber erkennen und damit sogar frische Fußabdrücke im Schnee nachweisen kann.
Genau mit diesem Gerät suchen Schubarth und seine Kollegen nun den Münchner Süden ab. Sie tragen dazu spezielle Nachtsichtbrillen, um Geländekonturen und Gebäudeumrisse besser erkennen zu können. Ihr Einsatz ist nicht ungefährlich, denn bei Dunkelheit oder schlechter Sicht zu fliegen, das wissen die Mitarbeiter der bayerischen Hubschrauberstaffel, unterscheidet sich himmelweit von einem Einsatz bei strahlendem Sonnenschein.
Das Sichtminimum, ab dem geflogen werden darf, beträgt tagsüber 800 Meter, bei Nacht sind es fünf Kilometer. Darunter wird es kritisch, insbesondere in Großstädten wie München, wegen der Stromleitungen, des Olympiaturms und anderer Hindernisse.
Beim bislang folgenschwersten Flugunfall der bayerischen Polizei kamen am 23. September 1982 Pilot und Techniker ums Leben, als sie in der Nähe von Mühldorf am Inn die Orientierung verloren und ihr Hubschrauber „Edelweiß 3“ nachts in ein Maisfeld stürzte. 2005 starben in Sachsen zwei Beamte, die gerade auf der Suche nach einer vermissten Frau waren, beim Absturz in einem Waldstück. Wenn etwas passiert in der Luft, dann hat dies also meist schlimme Konsequenzen.
Doch es gibt Situationen, da haben die Besatzungen kaum eine andere Wahl, als sich selbst in große Gefahr zu begeben: Im Oktober vergangenen Jahres mussten Mayer und zwei Piloten ein Serum nach Stuttgart fliegen, wo ein Mann von einer Schlange gebissen worden war. Sie hatten eine Sondergenehmigung der zuständigen Luftfahrtbehörde, denn die Sicht war so schlecht, dass sie sich alleine auf die Radarlotsen und die Instrumente verlassen mussten. Sie kamen sicher an, der Mann überlebte.
„In solchen Situationen ist das eine Abwägungssache, denn wir sind ja keine Cowboys, die alles riskieren. Es ist schon ein tolles Gefühl zu wissen, dass es einer überlebt hat, weil man ihm helfen konnte“, sagt Mayer. Den Stellenwert seiner Arbeit will er dennoch nicht über jenen der Kollegen am Boden setzen: „Letztlich sitze ich einfach in einem fliegenden Streifenwagen.“ Manchmal kommen aber auch die Hubschrauber zu spät. An einem kleinen See bei Traunstein war im Januar 2009 ein Mann ins Eis eingebrochen, die Polizisten ließen ein Seil hinunter, das der Verunglückte einmal, zweimal ergriff, aber nicht packen konnte. Dann ging er vor den Augen der Besatzung unter.
Als Mayer zu einem anderen Einsatz gerufen wurde, um ein vermisstes Kind in Augsburg zu suchen, fanden es die Kollegen am Boden kurz vor Ankunft des Hubschraubers tot. „Beim Rückflug war es still in der Kabine. Wenn Kindern etwas passiert, ist das immer am schlimmsten“, sagt Mayer.
Streifenwagen der Lüfte
2010 hatten die Hubschrauberbesatzungen allerdings auch einen Grund zum Feiern: Ihre Einheit wurde 40 Jahre alt. Seit September 1970, als die Einsatzgruppe mit einem einzigen Hubschrauber ins Leben gerufen wurde, hat sich nicht nur die Flotte vergrößert. Mit dem Mehr an Freizeitmöglichkeiten und größerer Risikobereitschaft sind auch die Anforderungen gestiegen. Wanderer brechen viel zu spät zu Gebirgstouren auf, verlaufen sich oder schätzen die Strecke falsch ein und setzen dann in der Dämmerung per Handy einen Notruf ab.
Bei Garmisch-Partenkirchen ist dies 2010 zwei jungen Snowboardern passiert, die sich verfahren hatten. Der Polizeihubschrauber kam, fand aber niemanden. Als die Beamten nochmals auf dem Mobiltelefon der jungen Leute anriefen, nahmen diese ab und sagten, es sei nichts passiert, sie säßen schon im Zug Richtung München.
Auch solche Fälle gibt es, in denen den Menschen gar nicht bewusst ist, was für ein Aufwand für ihre vermeintliche Rettung betrieben wird. „Durch ihre Unvernunft bringen sie nicht nur sich selbst in Gefahr, sondern auch uns“, sagt Mayer. „Sie wegen grober Fahrlässigkeit anzuzeigen und in Regress zu nehmen, ist allerdings schwer.“ Falls dies doch passiert, würde das teuer werden für die Verursacher: Eine Flugstunde kostet laut eines Polizeisprechers rund 2900 Euro.
In München nahm die Vermisstensuche für Andreas Schubarth und seine Kollegen kurz vor Weihnachten ein gutes Ende, auch wenn sie die 72-Jährige nicht fanden: Eine Bekannte rief später bei der Polizei an. Sie hatte die Frau wohlbehalten in der Münchner U-Bahn entdeckt.
(Sebastian Winter)
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