Leben in Bayern

Hunderte Geflüchtete suchen jeden Tag am Münchner Hauptbahnhof Hilfe – ohne Ehrenamtliche wäre das nicht zu stemmen. (Foto: Rudolf Stumberger)

14.04.2022

Helfen in vier Schichten

Am Münchner Hauptbahnhof arbeiten Ehrenamtliche noch immer rund um die Uhr, um Geflüchtete aus der Ukraine in Empfang zu nehmen

Vor sieben Wochen begann mit dem Überfall Russlands der Krieg in der Ukraine. Über 100 000 Geflüchtete sind seitdem in Bayern angekommen. Bei den vielen ehrenamtlichen Helfenden ist bis heute das Engagement ungebrochen. Zum Beispiel bei der 32-jährigen Anastasia, die vor elf Jahren selbst aus der Ukraine nach München kam. Sie fährt jeden Tag nach der Arbeit zum Münchner Hauptbahnhof, um für ihre Landsleute zu übersetzen.

„Informazia ta Dopomoga“ steht auf dem Schild am Eingang zu einer Halle des Münchner Hauptbahnhofs. Darüber die blau-gelbe Flagge der Ukraine. Information und Hilfe heißt das auf Deutsch. Und diese Hilfe leisten in der Halle zum Beispiel zehn Mitarbeitende der Caritas an ihrem Infostand. Dieser ist die erste Anlaufstelle für Geflüchtete aus der Ukraine, die mit dem Zug in der Landeshauptstadt ankommen. „Es ist wichtig, die Leute in Empfang zu nehmen“, sagt Anto Blazevic von der Caritas, der die Gesamtleitung über den Infostand hat. Gearbeitet wird dort rund um die Uhr, in vier Schichten.

Am wichtigsten für die Geflüchteten: Informationen

Es ist Samstag kurz nach elf Uhr. Am Münchner Hauptbahnhof geht es ziemlich rund. Reisende wuseln mit ihrem Gepäck umher. Die Tafel mit den Abfahrtszeiten zeigt ferne Ziele an: Berlin, Essen, Klagenfurt. Doch für diese interessieren sich die Menschen, die am Caritas-Infostand stehen, nicht. Mehr schon für die Hygieneartikel, die dort an die Neuangekommenen ausgegeben werden: Taschentücher, Windeln, Masken, auch Gummibärchen für die Kinder. Mit am wichtigsten aber sind für die Geflüchteten die Informationen, die sie dort bekommen: wo man die Nacht schlafen kann, wo man sich anmelden muss und wo man weitere Hilfe findet. Ein Infoblatt informiert auf Deutsch und auf Ukrainisch: dass man sich bei den Behörden registrieren lassen muss, dass man im Sozialbürgerhaus in der Werinherstraße einen Antrag auf soziale Hilfe stellen kann, dass es möglich ist, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen.

Noch immer sind es jeden Tag Hunderte Menschen, die am Münchner Hauptbahnhof ankommen und Hilfe benötigen. „Gestern sollen es 500 gewesen sein“, sagt Caritas-Mitarbeiter Blazevic. So genau könne man das aber gar nicht beziffern, schränkt er ein. Man erhalte einen Anruf von der Bahn, dass 20 Flüchtlinge eintreffen würden. „Dann kommen aber 40“, so Blazevic.

Diejenigen, die in München bleiben wollen, werden von der Caritas zu einem Bus vor dem Bahnhof gebracht, der die Flüchtlinge dann zu den Unterkünften in der Messestadt Riem bringt. In den großen Hallen dort haben bis zu 4000 Personen Platz. Aktuell leben dort an die 2000 Menschen. Aber auch in kleineren Flüchtlingsunterkünften wie dem Kulturzentrum Luise in der Ruppertstraße haben ukrainische Familien ein vorübergehendes Zuhause gefunden.

Manche Flüchtlinge aber wollen auch weiter, haben in anderen Städten Freunde oder Verwandte. „Die bekommen dann im Reisecenter ein Zugticket ausgestellt“, erklärt Anto Blazevic. Tatsächlich haben sich vor den Schaltern des Reisecenters an diesem Tag bereits lange Schlangen gebildet.

Völlig unentbehrlich bei der Beratung der Kriegsflüchtlinge sind die Ukrainisch sprechenden Ehrenamtlichen. Zu ihnen gehört Anastasia. Die 32-Jährige kommt unter der Woche nach ihrer Arbeit zum Bahnhof, um hier ihren Landsleuten zu helfen. Drei bis vier Stunden täglich übersetzt sie für sie. Auch an diesem Samstag ist sie da. „Ich mache das für mein Volk“, sagt sie. Denn Anastasia ist selbst Ukrainerin, sie kam vor elf Jahren nach München. Auch ihre Eltern sind inzwischen hier, sie flüchteten vor einem Monat aus der Ukraine. Die Nachrichten, die sie aus Anastasias Heimat mitbringen, sind keine guten. „Neben unserem Haus ist eine Mine explodiert“, haben sie der Tochter berichtet.

Gerade spricht Anastasia mit einem jungen Mädchen und deren Mutter, die aus einem Ort in der Zentralukraine geflohen sind. Seit einem Monat wohnen die beiden in einer Privatwohnung, die ihnen Bekannte vermittelt hatten. Alina ist 14 Jahre alt und müsste eigentlich in die Schule – momentan aber geht das nicht. Ihre Mutter sucht nach Arbeit und hat vielleicht auch etwas in Aussicht – allerdings im Landkreis München. Deshalb möchte sie jetzt wissen, was für Papiere sie dafür benötigt. Alinas Opa, Oma und Vater sind in der Ukraine geblieben. „Aber es ist nicht so schlimm“, sagt die 14-Jährige tapfer.

Oft geht nichts ohne Dolmetschende

Schlimme Geschichten aus ihrer Heimat aber hat Anastasia in den vergangenen Wochen viele gehört. Zum Beispiel die eines ukrainischen Geschäftsreisenden, der einen Tag vor Kriegsbeginn ins Ausland reiste. „Der Mann“, erzählt Anastasia, „hat zu Hause alles verloren. Das Haus ist zerstört.“ Und so blieb dem Mann nur das, was er gerade bei sich trug.

Um kurz vor zwölf Uhr mittags bildet sich neben dem Caritas-Stand eine kleine Schlange vor der Essensausgabe. Unter einer ukrainischen Flagge wird Tomatensuppe an die Menschen ausgegeben. An der Wand hängen Zettel, darauf steht Sup, Chle und Tepla ischa – neben der Suppe gibt es also auch Brot und heißen Tee. Und auch an diesem Stand geht nichts ohne die ehrenamtlichen Helfer*innen. Zu ihnen gehört Beatriz. Die Übersetzerin hat schon ein paar Mal ausgeholfen, Tee und Kaffee ausgeschenkt, Brot und Obst verteilt. Warum macht sie das? „Ich will etwas für die Flüchtenden tun“, sagt sie.

Neben dem Caritas-Stand steht rechter Hand ein kleines Zelt eines medizinischen Dienstes. Hier können ankommende Flüchtlinge gesundheitlich betreut, der Blutdruck gemessen oder kleine Wunden verarztet werden. Nicht weit davon entfernt geht es um Wunden größerer Art. An einem Eisenträger klebt ein Papier mit einer Botschaft: „Zusammenstehen, um diese verwundete Welt zu heilen“, ist da auf Ukrainisch, russisch und Englisch zu lesen. Rechts und links sind zwei rote Herzen aufgemalt.
(Rudolf Stumberger)

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