Leben in Bayern

Thomas Lacey vom Circus Krone kuschelt mit Löwin Princess. Jahrelang hat er auf seine große Raubtiernummer hingearbeitet, jetzt aber steht alles still. (Foto: Dominik Baur)

24.07.2020

Hereinspaziert – in den Circus Corona!

Eine ganze Branche tanzt auf einem dünnen Seil über dem Abgrund der Krise – ohne Netz und Sicherheitsleine. Und noch immer: ohne Publikum

Löwenkot! Das ist überhaupt die Lösung. Martin Lacey jr. kann es allen Gartenbesitzern, die sich über ungebetenen Katzenbesuch ärgern, nur empfehlen: einfach etwas Löwenkot verstreuen. Funktioniert garantiert, sagt er. Und wie es sich so trifft: Lacey hat jede Menge davon übrig. Schließlich gehören ihm 26 ausgewachsene Löwen. Der Star unter den Raubtierlehrern steht an einem Imbisstisch auf dem Landsitz des Circus Krone in Weßling und hält ein Gläschen mit dem Wundermittel in die Kameras. Lacey wurde dekoriert mit den höchsten Auszeichnungen der Zirkuswelt, er ist verheiratet mit Jana Lacey-Krone, der Direktorin des Circus Krone. Dieser Mann füllt neuerdings die Hinterlassenschaften seiner Tiere in Marmeladengläser. Fünf Euro das Stück.

Natürlich ist es nur ein kleiner Gag, aber ein bezeichnender: Denn allzu viele Möglichkeiten, zu Geld zu kommen, bleiben Zirkusleuten in Tagen wie diesen tatsächlich nicht. Schließlich hat Corona, was – wie es der Zufall will – zu Deutsch ja nichts anderes als Krone heißt, die gesamte Branche lahmgelegt. Kein Publikum – kein Geld. So einfach ist die Rechnung.

Zu kaufen gibt es Laceys speziellen Stoff auf dem Krone-Anwesen in Weßling, einer kleinen Gemeinde zwischen Ammersee und Starnberger See. Und das ist nun tatsächlich etwas überraschend, denn es ist das erste Mal, dass das Zwölf-Hektar-Gestüt, auf dem die älteren Krone-Tiere ihren Ruhestand verbringen, Besucher*innen offen steht. Je 30 Familien können sich nun an vier Terminen pro Wochenende über das Gelände führen lassen – inklusive einer kommentierten Raubtierprobe mit Martins Bruder Alexander Lacey, der hier gestrandet ist, nachdem sein eigenes Engagement beim Zirkus Charles Knie schon nach der Generalprobe im März ein jähes, coronabedingtes Ende fand.

Keine Hilfe: Der Zirkus zählt in Deutschland nicht als Kultur

Martin Lacey jr. selbst lädt derweil im Circus-Krone-Bau in München zu öffentlichen Raubtierproben. Und für eine Spende von 30 bis 300 Euro können Krone-Fans für ein Jahr eine Tierpatenschaft übernehmen. Es sind bescheidene Einnahmequellen, aber Einnahmequellen.

„Das Coronavirus droht den Zirkus, so wie wir ihn kennen, zu vernichten“, warnte schon im März die European Circus Association (ECA) in einem eindringlichen Appell an die Regierungen der EU-Staaten. Das war fünf Tage, nachdem Krone wie auch alle anderen Zirkusunternehmen in Deutschland ihre Vorstellungen hatten einstellen müssen.

Ein paar Wochen später schlug die ECA noch einmal in einem Schreiben speziell an die Bundesregierung Alarm: „Ohne staatliche Hilfe“, heißt es darin, „werden die Zirkusunternehmen nicht in der Lage sein, die jetzigen Verluste zu kompensieren und erneut auf Tournee zu gehen.“ Allein die 130 deutschen ECA-Mitgliedszirkusse verzeichneten täglich einen Einkommensverlust von 250 000 Euro, rechnete der Verband vor und forderte sofortige und nicht rückzahlbare staatliche Hilfen.

Die Branche, ohnehin seit Jahren in der Dauerkrise, wird von den Folgen der Pandemie getroffen wie kaum eine andere – allerdings unter dem Radar von Öffentlichkeit und Politik. Im Konjunkturpaket der Bundesregierung würden Zirkusse noch nicht einmal genannt, ärgert sich Helmut Grosscurth, der Präsident der Gesellschaft der Circusfreunde. „Die fallen durch alle Raster.“

München, Ecke Englschalkinger Straße und Cosimastraße. In seinem ganzen Leben ist Anton Kaiser noch nie so lange an einem Ort geblieben. Vier Monate sind es jetzt, dass der 48-Jährige jeden Morgen durch das Fenster seines Wohnwagens dasselbe sieht: diese Wiese gleich neben dem Cosimabad. Denn hier steckt er mit seinem Circus Baldoni fest.

Kaiser sitzt auf der Eckbank im Gemeinschaftswagen des Zirkus, vor der Tür kauen Ralph, Ahmed und Zeus auf Heubüscheln herum. Seit Monaten bekommen die drei Kamelhengste wie auch die rund 60 anderen Tiere nur noch gespendetes Futter zu fressen. Im hinteren Auslauf schreit einer der mazedonischen Zwergesel, ein paar Gänse antworten ihm. Der Circus Baldoni Kaiser ist einer jener kleinen Familienzirkusse, von denen es rund 250 in Deutschland geben soll. Genau weiß es niemand.

500 Menschen passen in das Zelt, das sie längst abgebaut haben, doch vor ausverkauften Rängen treten die Kaisers selten auf. Wenn er bei einem Gastspiel auf einen Schnitt von 80, 90 Besucher kommt, ist Kaiser schon zufrieden. Vor allem, wenn diese hinterher begeistert nach Hause gehen. Kaiser will etwas leisten für sein Geld, sagt er. Doch wie, wenn man seinen Beruf nicht ausüben darf? Zum ersten Mal ist der Zirkus nun auf Unterstützung angewiesen. Die Corona-Soforthilfe hat Kaiser bekommen, die Familienmitglieder beziehen Hartz IV, die Stadt begnügt sich mit einer symbolischen Platzmiete von 120 Euro im Monat.

Vor allem aber sind es die Menschen und Firmen aus dem Viertel, die den Zirkus über Wasser halten. All die Leute, die ständig Tüten mit Salat oder Karotten an den Zaun hängen, der Reiterhof, der eine Ladung Heu bringt, oder die Hufschmiedin, die kostenlos ihre Dienste anbietet. Es waren die Passant*innen, die Anton Kaiser erst bedrängen mussten, doch bitte Schilder aufzustellen, um Spenden zu bitten. „Schreiben Sie, was Sie wollen“, sagt Anton Kaiser. „Aber bitte schreiben Sie, wie dankbar wir den Münchnern sind. Es ist Wahnsinn, wie die Leute uns geholfen haben.“

Anders als Theater oder Museen zählt der Zirkus in Deutschland nicht als Kultur, Subventionen und Fördertöpfe bleiben ihm verschlossen. Zirkus läuft hier als Gewerbe. Wohl nirgends in Europa hat der Zirkus einen so geringen Stellenwert wie in dem Land von Sarrasani, Krone, Roncalli, Busch, Althoff, Barum, Renz ... Viele der großen Namen gehören denn auch längst einer glamouröseren Vergangenheit an.

Von Ursula von der Leyen bekam die ECA ein Schreiben, in dem der Zirkus als lebendiger Teil des europäischen Kulturerbes mit einer jahrhundertealten Geschichte bezeichnet und auf milliardenschwere EU-Hilfsfonds hingewiesen wird, aus denen auch den Zirkusunternehmen geholfen werden könne. Die deutsche EU-Kommissionspräsidentin fügte allerdings hinzu, für die Verteilung der Gelder seien die einzelnen Mitgliedstaaten zuständig.

Zirkusdirektor Kaiser macht sich denn auch Sorgen – am wenigsten allerdings um sich selbst. „Wir Kleinen, wir hauen uns irgendwie durch. Wir sind Überlebenskünstler. Aber der Krone kann das nicht.“ Wenn Kaiser von Krone spricht, schwingt eine gehörige Portion Ehrfurcht mit, er spricht vom Meister. Und natürlich weiß Kaiser: Krone hat als Flaggschiff eine große Bedeutung für die ganze Zirkuswelt. „Es wäre traurig, wenn es Corona schaffen würde, eine so alte Zirkusinstitution zum Erliegen zu bringen.“

Derzeit liegen zwischen den beiden Zirkussen gerade mal vier Kilometer Luftlinie. Der Circus-Krone-Bau an der Marsstraße, nicht weit vom Münchner Hauptbahnhof entfernt, ist längst ein Wahrzeichen der Stadt. Die Beatles hatten hier 1966 ihren legendären Auftritt, der berühmte Clown Charlie Rivel gab hier 1981 seine Abschiedsvorstellung. Jetzt steht er draußen vor der Tür – in Bronze. Jemand hat der Statue einen Mundschutz umgebunden.

Es ist wenige Tage vor der Eröffnung in Weßling, als hier in einem der Freigehege im Hinterhof der 27-jährige Thomas Lacey gerade mit den Löwen probt. Seine Schülerinnen sind Angelina, Ilaria und Princess, sein Lehrer der 16 Jahre ältere Halbbruder, Martin Lacey jr. „Lass sie sich hinlegen und geh weg“, sagt Martin. „Schau, ob sie liegen bleiben!“ Bleiben sie. „Brav“, ruft Thomas ihnen zu, das „a“ schön langgezogen. Und: „Good girls!“

Oft sind es die Kleinigkeiten, die eine gute Dressur ausmachen. Dazu gehört Abwechslung. „Man muss sie auch mal andersrum liegen oder woanders sitzen lassen“, erklärt Martin Lacey jr. Und erst wenn die Raubkatzen ihrem Lehrer wirklich vertrauen, kann man Tricks mit ihnen einstudieren, entsprechend ihren jeweiligen Talenten. „Unser Ziel als Tierlehrer ist es, aus jedem Tier das rauszukitzeln, was es am besten kann. Und das ohne Druck.“

Allein das Futter kostet Krone 3000 Euro – an nur einem Tag

Am 1. März war Thomas’ großer Tag. Jahrelang hatte er darauf hingearbeitet. Im März-Programm des Circus Krone durfte er die Raubtiernummer vorführen. Mit vier Löwinnen stand er in der Manege, zum ersten Mal vor so großem Publikum. Die Zuschauer waren begeistert. Und dann war nach ein paar Vorstellungen plötzlich alles wieder vorbei. Jetzt wird eben weitergeprobt – für irgendwann.

Es ist zehn Uhr morgens, ein heißer Sommertag. Die Brüder proben seit drei Stunden – mit immer unterschiedlichen Tieren. „Wenn die Tiere das Interesse verlieren, muss man aufhören“, erklärt Martin Lacey jr., meistens so nach 15 bis 40 Minuten. Angelina und Ilaria haben genug für heute, dürfen in den Käfigwagen zurück. Princess will noch etwas kuscheln, sie läuft zu Thomas, der sich in der Mitte des Geheges auf den Boden gesetzt hat, und legt sich auf seine Beine.

Normalerweise verschlingt das Unternehmen rund 30 000 Euro an Betriebskosten pro Tag, derzeit sind es noch knapp 10 000 Euro. Allein die Futterkosten machen täglich 3000 Euro aus. Natürlich hat Krone einiges an Rücklagen, aber auch die schwinden. Dazu kommt, dass auch die Vermietung des Circus-Krone-Baus wegfällt. Der Bau ist eine der begehrtesten Konzerthallen Münchens, für den Zirkus ist er ein wichtiges Standbein, über das rund 20 Prozent der Einnahmen reinkommen.

Die Ungewissheit, das ist das, was in der Zirkuswelt alle am meisten zermürbt. Nicht zu wissen, wann es weitergeht. Nicht zu wissen, wie es weitergeht. Die meisten der größeren Zirkusse – von Roncalli bis Charles Knie, von Flic Flac bis zum Chinesischen Nationalcircus – haben das laufende Jahr bereits abgeschrieben. Die Hoffnung gilt allenfalls dem Jahresende. Seit Jahren boomen in Deutschland die Weihnachtszirkusse. Sollte das Virus heuer auch dieses Geschäft verhageln, könnte es für viele der Betriebe tatsächlich eng werden.

Auch bei Krone plant man weiter – ohne so recht zu wissen, wofür. „Wir erarbeiten verschiedene Konzepte“, erzählt Martin Lacey jr. „Wir wollen ja vorbereitet sein, wenn wir wieder spielen dürfen.“ Aber wann das sein wird? „Ab September sind wir auf alles vorbereitet.“ Bis dahin wird er wohl noch etwas Löwenkot verkaufen. Soll übrigens auch gegen Marder helfen.
(Dominik Baur)

Foto (Baur): Gestrandet auf einer Wiese in München: Baldoni-Chef Anton Kaiser ist auf Futterspenden für seine Tiere angewiesen. 

Kommentare (1)

  1. Cosima am 03.09.2020
    Also, tut mir leid, am Cosimabad auf der Wiese davor STINKT der Circus Baldoni meterweit! Das Abwasser der Tiere fließt anscheinend nie ganz ab. Es sind viel zu viele Tiere auf engstem Raum! Überall nur Schilder von wegen man solle Mitleid und Mitleid haben! Und nicht gut riechendes Abwasser, feuchte nicht gute Luft, das ist doch in Coronazeiten, ich weiß nichr? Können die Leute sich denn unbedenklich den Tieren , die vom Gehweg immer zugänglich sind, nähern?
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