Leben in Bayern

Juliete beim Single-Shopping in einem Supermarkt in Volkach. Die 60-Jährige ist seit 20 Jahren ohne Beziehung. (Foto: dpa/Nicolas Armer)

04.02.2021

Romantik zwischen Klopapier und Deo

Keine Kino- und Kneipenbesuche, dazu Ausgangssperre und Kontaktbeschränkungen – in Corona-Zeiten kann das Einkaufen für Singles zum Highlight der Woche werden

Der Blick des jungen Mannes schweift über die Kühltheke, vorbei an Fisch, vorbei an Fleisch, hin zu einer Frau. Auf seiner Brust pappt ein rotes Herz. Darauf die Nummer 43. Bedeutung: Ich bin Single und auf der Suche. Er versucht Blickkontakt aufzunehmen. Doch Mona mit dem Dutt bemerkt das nicht. Die 22-Jährige trägt auch ein Herz, Nummer 98.

Zwischen Kühltheke und Kasse finden sich an diesem Abend mehrere suchende Augen, die weniger die Waren anvisieren als vielmehr die Wägen – und die Menschen, die sie schieben. In dem Supermarkt im unterfränkischen Volkach ist an diesem Freitag Single-Shopping für Alleinstehende. „Schließlich machen es Ausgangssperre und Kontaktbeschränkung nicht leicht, einen Partner zu finden“, sagt der stellvertretende Marktleiter Steven Schellhorn. Die Idee hatte sein Chef. „Der kannte das Konzept von der Disco.“ Vor dem Eingang hängt ein Plakat: „Single Shopping Tag – jeden Freitag, 18-20 Uhr“. Auf einem Tisch liegen rote Herzen zum Kleben und gelbe Herzen zum Anstecken. „Ansonsten spielen die Farben keine Rolle“, erklärt Schellhorn.

Zwei Damen schnappen sich zwei Herzen. Nummer 14 und Nummer 4. Die 59-jährige Anni ist seit acht Jahren Witwe. „Vor Online-Dating habe ich Angst, das ist mir zu riskant“, sagt sie. Ihre Tochter hat sie auf die Idee gebracht, ihre Freundin hat sie gleich eingepackt. Juliete, 60, ist seit 20 Jahren Single. Sie ist bei diesem Einkauf auf der Suche nach „jungem Gemüse“.
Mona, Nummer 98 mit dem Dutt, ist mit zwei Freundinnen da. Zuletzt hätten sie extra ihren Kühlschrank nicht gefüllt. „Wir wollten mal wieder was erleben und Spaß haben“, erzählt sie, während hinter ihr der junge Mann mit dem Einkaufswagen ein zweites Mal vorbeiläuft, diesmal rückwärts. Dahinter stöckelt eine Dame im Minirock zwischen den Regalen umher. „Ersatzschaulaufen von Diskotheken“, kommentiert einer.

Das Single-Shoppen gibt es jeden Freitagabend

Nicht alle Kunden tragen ein Herz. Oder sie tragen es unauffällig, wie eine Frau an der Handtasche. Hinter der Theke verkauft Daniel Cronau Käse und Wurst. Auf seinem Hemd klebt die Nummer 8. Das Herz pappe er sich hin und wieder an einem Freitag drauf. „Man erhofft sich da nicht viel, aber trotzdem eine witzige Sache“, sagt der 27-Jährige.

„Durch Corona hat man keine Möglichkeiten mehr, abends in den Club zu gehen oder in eine Bar, und da finde ich das eine gute Abwechslung.“ Die Aktion gibt es schon seit zwei Jahren. „Ich habe den Eindruck, das ist erst durch Corona publik geworden. Man merkt seit einem halben, dreiviertel Jahr, dass vermehrt Leute mit einem Herzen reinkommen“, erzählt der Verkäufer. „Davor hast du vielleicht alle vier Wochen mal jemanden gesehen, der ein Herz dran hatte. Aber jetzt wird es besser angenommen.“

Knapp 50 Kunden schlendern laut Schellhorn an diesem Freitag mit einem Herzen durch die Ladenzeilen. Für Annie und Juliete gibt es nicht viel Auswahl, zumindest, was Männer betrifft. Mehr Glück hat Nummer 19, nach der die Kassiererin ausruft. Es meldet sich aber keiner. Eine Kundin hat einen Zettel hinterlassen mit dem Vermerk „Geheimbotschaft“. In den kommenden Tagen will der Supermarkt in sozialen Medien einen Aufruf nach der Nummer 19 starten.

Der junge Mann überwindet sich schließlich und spricht Mona an – Romantik zwischen Klopapier und Deo. Er gibt ihr einen Zettel mit der Überschrift „Spielregeln“, der am Eingang ausgelegt war. Darauf kann eine Option angekreuzt werden, wie zum Beispiel: „Ich würde mich freuen, dich bei einem Spaziergang am Mainufer besser kennenzulernen.“ Oder: „Ich würde mich freuen, dich auf einen Orangensaft in der Obstabteilung zu treffen.“

Auf Monas Zettel ist kein Kreuz. Aber eine Handynummer. Der junge Mann heißt Niklas, wohnt knapp zehn Kilometer vom Supermarkt entfernt. Eine Kollegin habe ihm von der Aktion erzählt. „Ich bin nicht der Typ, der über Apps sucht“, sagt der 31-Jährige. „Normalerweise will ich jemandem in Kneipen oder im öffentlichen Leben begegnen.“ Von dem Einkauf erhofft habe er sich nichts. Nun aber steht er draußen vor der Ladentür und wartet. Auf Mona?
(Carolin Gißibl, dpa)

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