Leben in Bayern

Anstehen für Nahrungsmittel – die Mitarbeiter der Münchner Tafel tragen Mundschutz und achten darauf, dass der Abstand eingehalten wird. (Fotos: Münchner Tafel/Steffen Horak)

17.04.2020

Hilfe trotz Corona

Die Viruspandemie trifft vor allem die Armen hart, viele soziale Einrichtungen sind geschlossen – die Münchner Tafel aber unterstützt sie weiterhin

Von bundesweit 950 Tafeln sind mehr als 370 geschlossen, in Bayern haben von den 169 Tafeln über 70 den regulären Betrieb eingestellt. Die Münchner Tafel aber arbeitet weiter – auch dank der vielen Ehrenamtlichen, die in der Corona-Krise kurzfristig aushelfen. Die 27 Ausgabestellen der Stadt wurden kurzerhand zusammengelegt. Essen wird im Schichtbetrieb verteilt.

Seit drei Wochen kümmert sich Wilhelm Scharf um die Schlange. Der 27-Jährige achtet darauf, dass die Menschen die Abstände einhalten, organisiert die Wege zu den Ausgaben und er hält Wasser und Bananen bereit, falls es, wie vor Kurzem, in der warmen Aprilsonne doch einmal länger dauert. Sechs bis sieben Stunden täglich arbeitet der Münchner Jura-Student, der mitten in den Vorbereitungen auf sein erstes Staatsexamen steckt, bei der Münchner Tafel. Das Lernen hat er auf „davor und danach“ verschoben. „Ich wollte in Zeiten von Corona etwas Sinnvolles tun“, sagt Scharf. Deshalb habe er auch nicht lange überlegt, als er in den sozialen Medien den Aufruf las, mit dem die Tafel nach neuen, jungen Freiwilligen suchte. „Ich habe sofort angerufen.“

Viele der regulären Helfer sind bereits im Rentenalter

Bisher kümmerten sich 650 Ehrenamtliche um die Münchner Tafel-Gäste. Viele sind seit mehreren Jahren dabei – doch jetzt müssen sie zu Hause bleiben. Wie bei den meisten Tafeln in Deutschland ist auch in München die Mehrheit der Ehrenamtlichen im Rentenalter. Teilweise haben die Mitarbeiter auch Vorerkrankungen. Sie gehören also zur Hochrisikogruppe einer Covid-19-Erkrankung. „Gesundheit geht vor“, sagt Axel Schweiger, Personalchef der Münchner Tafel. „Es war vollkommen klar, dass wir wegen Corona viele unserer Ehrenamtlichen nicht weiter einsetzen können.“ Deshalb also der Aufruf im Internet, von dem sich Schweiger zwar einiges erhoffte, von der tatsächlichen Resonanz aber dann doch überrascht wurde.

„Wir wurden von Hilfsangeboten regelrecht überrollt“, sagt er. Hunderte hätten sich gemeldet, viele Schüler und Studenten, aber auch berufstätige Münchner: Architekten, Marketing-Experten, Reisebürokauffrauen. „Das ist ein richtig bunter Haufen“, sagt Schweiger stolz. Dank der neuen Freiwilligen und weil die Stadt München schnell und unbürokratisch die Erlaubnis für eine zentrale Ausgabestelle an der Großmarkthalle gab, kann die Münchner Tafel auch in Corona-Zeiten weiterhin Lebensmittel an die Bedürftigen der Stadt verteilen.

In vielen anderen Städten des Freistaats und Deutschlands dagegen konnten die Tafeln nicht so schnell auf Pandemie-Betrieb umstellen. Von bundesweit 950 Tafeln sind zurzeit laut dem Dachverband Tafel Deutschland mehr als 370 geschlossen, in Bayern haben von den 169 Tafeln mehr als 70 den regulären Betrieb eingestellt. Das hat auch logistische Gründe.

Gerade am Anfang der Pandemie hatten viele Tafeln damit zu kämpfen, dass sie vermutlich aufgrund von Hamsterkäufen zu wenig Lebensmittel gespendet bekamen. Weil die Supermärkte und Bäcker nichts mehr lieferten, mussten beispielsweise die vier Tafeln im Landkreis Garmisch-Partenkirchen vorübergehend schließen. Die Mitarbeiter dort hatten schlichtweg nichts, was sie verteilen konnten. Auch in Erlangen kam es zu Engpässen bei den Lebensmitteln. Erst dank eines öffentlichen Spendenaufrufs ist hier die Versorgung für die nächste Zeit gesichert.

Die Örtlichkeiten der Ausgaben sind ein weiterer Knackpunkt. Viele Tafeln organisieren ihre Ausgaben in beengten Räumlichkeiten – undenkbar in Corona-Zeiten. Und nicht immer standen Alternativen zur Verfügung. Aber die Not macht auch erfinderisch. Die Nürnberger Tafel ist mit einer Ausgabestelle in einen Gartenbaumarkt ausgewichen, der aufgrund der Bestimmungen schließen musste. Bei der Tafel in Augsburg packen die Freiwilligen jetzt zentral in der Messehalle fertige Lebensmittelpakete, die dann an die Bedürftigen ausgehändigt werden. Und die Tafel in Landshut organisierte vor Ostern eine Sonder-Lebensmittelabgabe in einer Turnhalle.

Die Münchner Tafel hatte das Glück, mit der Großmarkthalle sehr schnell auf ein weitläufiges Areal ausweichen zu können. „Hier können wir die Abstandsregeln sowohl bei unseren Mitarbeitern als auch bei unseren Gästen gewährleisten“, sagt Schweiger. Schon vor der Pandemie war hier eine Ausgabestelle der Münchner Tafel. Jetzt wurden dorthin alle 27 Ausgaben der Stadt verlegt. Die Lebensmittelverteilung erfolgt im Schichtbetrieb. „Es hat einige Tage gedauert, aber jetzt sind wir und die Tafel-Gäste gut eingespielt“, sagt Student Scharf. Mittlerweile sind auch –  dank großzügiger Spenden – genügend Einmalhandschuhe und Schutzmasken für alle Ehrenamtlichen vorrätig.

Diese Maßnahmen sind wichtig und essentiell dafür, dass die Tafel ihren Betrieb aufrechterhalten darf. Zwar hat das bayerische Sozialministerium den Tafeln grundsätzlich die Erlaubnis erteilt, weiterhin Lebensmittel an Bedürftige zu verteilen. Voraussetzung dafür ist aber auch, dass alle Hygieneregeln eingehalten werden. „Die Polizei ist regelmäßig vor Ort und kontrolliert“, sagt Axel Schweiger. „Verstöße dürfen wir uns nicht erlauben, da haben wir keinen Sonderstatus.“

Von den Tafel-Gästen, die nun an der Großmarkthalle anstehen, ist dieser Tage vor allem Geduld gefragt. Die Schlange, die sich bis hinaus auf die Straße windet, ist lang. Ein bis zwei Stunden müssen die Menschen manchmal warten, bis ihre Nummer aufgerufen wird und sie an der Reihe sind, sagt Susanne Heinz. Die 52-jährige Lektorin, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, hat sich ebenfalls auf den Aufruf der Münchner Tafel gemeldet. Jetzt hilft sie beim Ausladen der Lebensmittel, beim Sortieren, bei der Ausgabe oder dabei, bei den Wartenden auf den Abstand zu achten. „Ich habe gerade bei den Tafel-Gästen sehr viele nette Menschen kennengelernt“, sagt sie und fügt selbstkritisch hinzu: „Gelernt habe ich dabei, dass ich völlig falsch eingeschätzt hatte, wer in meiner Heimatstadt Hilfe benötigt. Ich hätte nicht erwartet, hier so viele junge Leute zu sehen.“

Zu teuer: Nicht jeder schafft es zur Großmarkthalle

Die Münchner Tafel versorgt rund 20 000 Bedürftige – vor allem ältere Menschen, kranke Menschen jeden Alters und Alleinerziehende. Doch nur etwa die Hälfte kommt zurzeit zur Großmarkthalle, schätzt Personalchef Schweiger. „Einige Ältere werden aus Angst vor Ansteckung nicht rausgehen“, glaubt er. „Andere können nicht kommen, weil sie zurzeit nicht an Sozialtickets für den öffentlichen Nahverkehr kommen und sich ein normales Ticket nicht leisten können.“ Schweiger macht dieser Zustand große Sorgen, denn gerade jetzt sei es doch wichtig, dass sich alle Menschen mit frischen und gesunden Lebensmitteln versorgen könnten. „Hier können wir aber leider nicht gegensteuern“, sagt er.

Immerhin, und damit hat er eine Sorge weniger, hat die Münchner Tafel genug Lebensmittel für die Ausgabe. Tatsächlich sind es sogar mehr Waren als sonst, die verteilt werden können. Das hat mitunter damit zu tun, dass weniger Menschen zu der Ausgabe kommen, aber auch damit, dass die meisten der rund 100 Sozialstationen, die die Tafel sonst noch beliefert, geschlossen sind. Darüber hinaus aber kommen auch mehr Lebensmittel an. „Wir merken, dass viele Tafeln im Umland ihren Betrieb eingestellt haben“, sagt Schweiger. „Aber auch Betriebe, die sonst die Gastronomie beliefern, geben ihre Produkte jetzt an uns ab.“

Für die vielen Menschen, die so lange in der Schlange ausharren, ist die Ausgabe der Lebensmittel ein Lichtblick in Zeiten, in denen karitative Einrichtungen wie Sozialkaufhäuser und Familienhäuser geschlossen sind. „Viele der Tafel-Gäste bedanken sich bei uns, dass wir den Laden am Laufen halten“, sagt Wilhelm Scharf. „Das motiviert natürlich, macht einem gleichzeitig aber auch bewusst, wie wichtig die Arbeit ist, die wir hier alle leisten.“
(Beatrice Oßberger)

Sind auch Sie ein Mutmacher oder kennen Sie einen Mutmacher? Schreiben Sie uns: mutmacher(at)bsz.de

Kommentare (1)

  1. Micky am 21.04.2020
    Ist bekannt, wie lange die Ausgabe zentral stattfindet?
    Ich bin eine ehrenamtliche Mitarbeiterin und möchte gerne wieder in der Ausgabestelle Isartalstraße bei der Ausgabe helfen. Es fehlen mir unsere Gäste und meine KollegInnen.
    Viele Grüße und gesund bleiben!
    Ulrike Amechi
Die Frage der Woche

Sollen Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.