Leben in Bayern

Kreativ und sauer: Zu viele Münchner können sich ihre Heimatstadt nicht mehr leisten. (Foto: dpa)

17.09.2018

"Ihr habt doch ne Meise!"

In München demonstrieren über 10 000 Menschen für bezahlbare Mieten und gegen die zügellose Gier der Investoren

Über 10 000 sind gekommen, sogar das Münchner Kindl ist da, und das gleich doppelt. In schwarze, mit gelben Klebestreifen verzierte Mäntel gehüllt, ziehen zwei Damen ein frisch bezogenes Bett durch die Schwanthalerstraße. Als Symbol dafür, dass mit Sack und Pack die Stadt verlassen muss, wer finanziell nicht mithalten kann.

Unter dem Motto „ausspekuliert“ luden 90 Veranstalter, darunter SPD, Bündnis 90/die Grünen, die Linke, die Freien Wähler, nicht aber die CSU, am Samstag zu einer Demo für bezahlbaren Wohnraum und gegen soziale Ausgrenzung. Die Bürger der Stadt, so die Hoffnung, sollten sich zusammenschließen und „aktiv werden gegen die zügellose Gier der Investoren, gegen Gesetze, die Steilvorlagen für Entmietung sind und dadurch Mieter zu Spekulationsobjekten machen“.

Wer in München lebt, weiß: Wohnen in der Landeshauptstadt ist teuer. Die Preise schrauben sich in immer unfassbarere Höhen. Familien ziehen an den Stadtrand. Auch Alleinerziehende, Lehrer, Handwerker, Erzieher und Studierende können sich das Leben in München kaum noch leisten.

In Berlin wurde bereits im Frühling für bezahlbares Wohnen demonstriert, in Frankfurt wollen die Bürger im Oktober auf die Straße gehen. Kurz vor dem Wohngipfel am kommenden Donnerstag, zu dem Kanzlerin Angela Merkel und Horst Seehofer laden, wird abermals deutlich: Die Großstadtbewohner stehen unter Druck. Und sind durchaus bereit, den Druck an die Politik weiterzugeben.

"Für ein Kinderzimmer!" fordert ein Plakat

Das Bett der beiden Münchner Kindl wird zunächst durch die Schwanthalerstraße gezogen, vorbei an arabischen Familien und jungen Männern, die Shisha rauchen. Andere stehen am Fenster eines Sprachinstituts. Manche essen beim Imbiss  zu Mittag. Vereinzelt sitzt auch jemand an die Hausmauer gelehnt, ohne aufzublicken und bettelt. Die meisten aber schauen und fotografieren. So viel Polizei! Dazu die laute Musik. Auch: die Internationale, ganz aus der Zeit gefallen.

Gründe, zur Demo zu kommen, gibt es viele, übers Wohnen redet man in München so gern und häufig wie anderswo übers Wetter. „Die demonstrieren dagegen, dass sich bald nur noch Reiche leisten können, in München zu wohnen“, erklärt eine Mutter ihrem Kind. Die beiden sitzen auf dem Fahrrad und queren den Zug an der Sonnenstraße.

„Für ein Kinderzimmer!“ fordert ein Plakat. „Seehofer+Söder=Mutter aller Probleme“ erklärt ein anders. „Meine Mama hat Angst, dass ich mit 30 immer noch daheim wohne“ steht auf einer Kinderkarre. „Miethaie zu Fischstäbchen“ auf einem Wagen. Und: „Münchner Mieten möglich machen“.

Junge Leute haben in München kaum eine Chance auf ein anständiges, bezahlbares Zimmer, geschweige denn auf eine eigene Wohnung. Ältere müssen darum kämpfen, ihr Dach über dem Kopf zu behalten. Sicher ist einem eine Wohnung auch dann nicht, wenn man sein halbes Leben darin verbracht hat. Die Mit-Organisatoren Tilman Schaich und Janik Schmidt sind selbst betroffen. Die Häuser, in denen sie lebten, wurden verkauft, die Mieten heraufgesetzt. Ein Mieterstammtisch entstand, an dem zu anfangs Mieter aus 21 Häusern teilnahmen. Zum zweiten Treffen waren es bereits 71 Häuser. Die Stammtischteilnehmer fanden: Noch mehr Öffentlichkeit sei nötig. Die Demo wurde geplant. Ein fröhlicher Zug sollte es werden, ein bunter. Kein mürrischer.

Eine Forderung: Die Modernisierungsumlage abschaffen

Eine Woche vor dem Einzug zur Wiesn zieht darum Petra Kozojed, als Münchner Kindl verkleidet, das Bett durch die Stadt. Sie ist Friseurin und wohnt in einer Genossenschaftswohnung der Eisenbahner. In ein paar Jahren werden die Erbpachtverträge der Eisenbahnerwohnungen auslaufen. Mietsteigerungen drohen. „Wir demonstrieren, weil wir unsere Wohnungen erhalten wollen“, sagt Kozojed. Sie demonstriert aber auch aus Solidarität. Im Friseursalon  höre sie täglich  von Familien, die wegziehen und Pflegepersonal, das sich die Stadt nicht mehr leisten kann.

Die einen müssen gehen - die anderen handeln mit Wohnungen, als ginge es nicht um Schicksale, sondern um Waren. Tatsächlich sind die Gewinne aus der Spekulation mit dem Boden immens. Investoren aus dem In- und Ausland schnappen den Bürgern den Wohnraum weg. Den Kommunen fehlen, auch aus eigenem Verschulden, Grundstücke, auf denen sie bezahlbaren Wohnraum errichten könnten. Die Gesellschaft, fürchten viele, driftet mehr und mehr auseinander, der soziale Frieden gerät in Gefahr.

Die Veranstalter haben darum einige handfeste Forderungen im Gepäck: Die gerade auf acht Prozent gesenkte Modernisierungsumlage solle ganz abgeschafft, mehr Mittel müssten für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt werden. Die Mietpreisbremse wiederum müsse verschärft und rechtssicher umgesetzt werden. In den Mietspiegel sollten auch die Bestandsmieten eingerechnet werden.

Die Umwandlung von Mietshäusern in Eigentumswohnungen sei zu verbieten, genossenschaftliches Bauen stärker zu fördern. Die bereits bestehenden Erhaltungssatzungsgebiete sollten ausgeweitet und besser geschützt, Zweckentfremdung und Verstöße gegen den Denkmalschutz härter bestraft werden, Bodenpolitik und Grundsteuerreform am Gemeinwohl orientiert sein.

Auf einem Aufkleber steht "Ausgesödert", auf einem anderen "Ausgeseehofert"

Das Bett, das gerade an einem Sexshop vorbei gerutscht ist, am Kaufhof und am Justizpalast, verleiht all den Forderungen einen gewissen Nachdruck. Ganz poetisch passiert die Schlafstatt später auch die reiche Maximilianstraße. Verwunderte Blicke, gezückte Handies. Der vergleichsweise kleine Zug, der am Gewerkschaftshaus begann, verschmilzt hier mit der großen Masse, die von der Au aus losmarschierte.

Vor der Staatskanzlei werben Plakate dafür, der CSU bei der Landtagswahl seine Stimme zu geben, auf der Brust der Dame, die im Gras steht, kleben allerdings zwei Aufkleber. Ausgesödert, steht auf dem einen. Ausgeseehofert auf dem anderen. Zweieinhalb Jahre, sagt Michaela Rossmann, habe sie auf der Couch ihrer Schwester verbracht. Bis sie den „Sechser im Lotto“ gewann: Eine bezahlbare Sozialwohnung, 42 Quadratmeter. „Davon sollte es viel mehr geben“, findet sie.

Auf der anderen Seite der Straße steht der Iraner Ziad Darwish Balsiny im T-Shirt von ver.di. Er arbeitet in einer Reinigungsfirma. Seine Dreizimmerwohnung im Westend teilt er sich mit Frau und vier Kindern – und zahlt 1664 Euro dafür. Zu teuer. Zu eng. Und was soll aus seiner Tochter werden, die 23 ist, noch zu Hause wohnt und eine Ausbildung zur Krankenschwester macht? Balsiny wirkt ratlos.

Das Bett aber lässt die Staatskanzlei an sich vorbeiziehen und die verschlossenen Prachtbauten der Ludwigstraße, um schließlich kurz vorm Siegestor zu landen. Demonstrieren ist teuer: Einer der Organisatoren hat bei der Bank ein Darlehen aufgenommen, um die Bühne zu finanzieren. Es wird musiziert. Getanzt. Einzelne Mieter erzählen, was sie in ihren Häusern erlebt haben. Es sind Geschichten von jahrelangem Kampf gegen neue Besitzer und Investoren, von Unsicherheit und von Angst.

Applaus gibt es für die gute Zusammenarbeit mit der Polizei. Roland Fischer, SPD, erinnert daran, wie eins mit dem anderen zusammen hängt: „Die Reichsten in der Stadt können hier nur leben, wenn auch Polizisten und Rettungskräfte sich leisten können, hier leben können.“

Gegen Abend zerstreut sich die Menge. Die Münchner Kindl haben ihre Arbeit getan. Es geht nach Hause, zurück in die eigenen, gerade noch bezahlbaren vier Wände. Dran sind jetzt: die Politiker in Berlin.  (Monika Goetsch)

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