Fast täglich landet ein Jungendlicher mit Alkoholvergiftung in einem Münchner Krankenhaus. Auch die Gewaltbereitschaft unter den Feierwütigen in der Münchner Innenstadt ist erschreckend hoch. Das Programm „cool bleiben – friedlich feiern“ schickt deshalb Sozialarbeiter auf die Partymeile. Die Staatszeitung hat sie begleitet.
Die Hitze im Club Harry Klein treibt den Feierwütigen den Schweiß ins Gesicht. Die rhythmischen Bewegungen der Gäste verschmelzen mit der Videoprojektion im Hintergrund. Einige zieht es aber bereits schwankend Richtung Heimat. Dass alle dort auch ankommen, ist allerdings nicht sicher. Denn fast täglich landet ein Jugendlicher mit Alkoholvergiftung in einer Münchner Klinik.
Seit gut einem Jahr gibt es in München ein bundesweit einzigartiges Präventionsprojekt, dass die Polizei gemeinsam mit der Stadt und Clubbetreibern in der Innenstadt entlang der so genannten Feierbanane zwischen Sendlinger Tor und Maximiliansplatz entwickelt hat. Auch weil bei vielen Gästen die Gewaltbereitschaft mit dem Alkoholpegel steigt und die Anzahl von Gewaltdelikten entlang der Partymeile stark gestiegen ist. Um erhitzte Gemüter zu beruhigen, das Sicherheitsgefühl der Gäste zu stärken und vor allem junge Erwachsene für die Gefahren des Alkoholmissbrauch zu sensibilisieren, sind junge Streetworker nachts in der Innenstadt unterwegs. Ihr Motto: „Cool bleiben – friedlich feiern“.
Tausende Nachtschwärmer tummeln sich an den Wochenenden in rund 35 Clubs entlang der Krümmung des Altstadtrings. An diesem Abend ist Jegan Thilagathan als Streetworker im Einsatz. Gerade hat er sich mit einem jungen Mann, der nicht mehr gerade stehen kann, unterhalten. „Wenn wir sehen, dass jemand total betrunken ist, sprechen wir ihn an“, erklärt er. „Wir sagen ihm, dass er vielleicht auf weitere Drinks verzichten sollte.“ Zu erkennen ist der 32-Jährige – wie Kollegin Claudia Otto (25) – an seiner bedruckten Jacke und Tasche.
Seit Projektbeginn haben die jungen Streetworker mit insgesamt rund 1000 Partygängern gesprochen, Betrunkene in die U-Bahn begleitet oder auch einen Rettungswagen gerufen. Ein VW-Bus am Stachus ist ihr mobiles Hauptquartier. Clubbetreiber haben mit Spenden bei der Finanzierung geholfen. Thilagathan und Otto fragen Jugendliche nach der weiteren Partygestaltung und besprechen auch Pläne für den späteren Heimweg. Und sie warnen vor K.o.-Tropfen und den Gefahren des Koma-saufens. Während der Tour von Club zu Club ermutigen die Streetworker Gruppen mit stark alkoholisierten Freunden, aufeinander aufzupassen und diese im Notfall bis nach Hause zu bringen. „Natürlich wollen junge Leute ihre Grenzen austesten“, sagt die zuständige Leiterin des Projekts bei Condrobs, Birgit Treml (41). „Aber wir wollen das exzessive Trinken verhindern.“
Die Partygänger akzeptieren die jungen Sozialarbeiter
Condrobs, einer der großen Träger für soziale Hilfsangebote in Bayern, wurde mit dem Projekt „cool bleiben“ von der Stadt beauftragt. Die Sozialarbeiter des Vereins sind immer zu zweit unterwegs; ein fester Mitarbeiter und eine freie Honorarkraft. Claudia Otto arbeitet unter der Woche mit psychosozial gefährdeten Jugendlichen auf der Straße, die Wochenenddienste auf der Partymeile teilt sie sich mit ihren Streetwork-Kollegen. Jegan Thilagathan hat nach seinem Abschluss in Sozialpädagogik mit einem Medizinstudium angefangen. „Die Arbeit auf der Straße macht mir aber Spaß“, erklärt der Student. Das Projekt hat auch sein eigenes Weggeh-Verhalten verändert. „Ich bin mittlerweile selten beim Feiern in den Clubs und Bars hier in der Gegend“, sagt er. Früher war das anders, „aber es war auch eine gute Gelegenheit, das Münchner Nachtleben kennenzulernen“, so Thilagathan.
Beteiligt sind an der Aktion unter anderem das Harry Klein, die Rote Sonne, das 8Seasons, die 089 Bar, die Milchbar und auch einige Clubs wie das Atomic Café, die eigentlich außerhalb der Feiermeile liegen. Die Nachtlokale legen Flyer aus und machen mit Plakaten auf das Projekt aufmerksam. Die Zusammenarbeit mit den Streetworkern klappe gut, heißt es von Clubseite. Und auch die Türsteher sind an diesem Abend freundlich und hilfsbereit. Gleichwohl haben die Condrobs-Mitarbeiter ihre Handys natürlich immer griffbereit. Eingespeichert ist die Telefonnummer der Polizeiwache in der Innenstadt, falls ein Einwirken auf Störenfriede und Chaoten nicht mehr möglich ist.
Doch an diesem Abend wird das nicht nötig. Solche Konfliktfälle sind gemessen an der Zahl der Gäste, die jedes Wochenende beim Feiern unterwegs sind, selten. Die Sozialarbeiter selbst sind bisher zum Glück noch nie direkt angegriffen worden. „Nur im Dezember letzten Jahres sind wir einmal zwischen zwei Fronten geraten“, erzählt Thilagathan. „Aber es ist nochmal glimpflich ausgegangen.“
Der Geschäftsführer des Harry Klein und Sprecher der Clubs, David Süß, lobt die Sozialarbeiter, „die nachts eine hervorragende Arbeit leisten“ und besser auf die jungen Gäste zugehen können – besser, „als es der Polizei oder den Türstehern möglich wäre“.
Und das Projekt zeigt auch konkreten Erfolg: Im Partyareal in der Innenstadt ist ein Rückgang der Gesamtkriminalität zu verzeichnen. Allerdings kommt es nachts entlang der Feiermeile dennoch immer wieder zu Schlägereien mit Körperverletzung. „Das kann auch durch die starke Präsenz der Polizei sowie den Einsatz der Streetworker nicht komplett verhindert werden“, sagt Sven Müller von der Münchner Polizei. Einer der folgenreichsten Konflikt in diesem Jahr: Ein junger Mann wurde gefährlich verletzt, als er in einem Club an der Sonnenstraße ein Longdrinkglas auf den Hinterkopf geschlagen und ein weiteres ins Gesicht geworfen bekam.
Auszeichnung in Berlin: „Vorbildliche Strategie“
Das Kooperations-Trio aus Stadt, Clubs und Polizei ist überzeugt, mit dem Präventionsprojekt einen richtigen Schritt unternommen zu haben, um potenzielle Schläger von der Feiermeile zu verbannen. Seit Projektbeginn hat das Kreisverwaltungsreferat zwölf Betretungsverbote ausgesprochen. Wegen Raub, gefährlicher Körperverletzung oder sexueller Nötigung dürfen sich die Täter insgesamt ein Jahr lang von 22 bis 7 Uhr nicht mehr auf der Feierbanane blicken lassen. Bei Verstoß wird ein Zwangsgeld von 500 Euro fällig.
Und nicht nur in München ist man ist man vom Erfolg des Programms überzeugt. Das Gesamtkonzept zur Alkoholprävention bei Jugendlichen wurde in Berlin beim bundesweiten Wettbewerb „Vorbildliche Strategien kommunaler Suchtprävention“ vom Bundesministerium für Gesundheit, der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, sowie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ausgezeichnet. Und damit zur Nachahmung wärmstens empfohlen. (Andreas Schneider)
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