Leben in Bayern

Sabine Fries ist gehörlose Professorin für Gebärdensprachdolmetschen an der Hochschule Landshut. (Foto: Armin Weigel/dpa)

19.02.2019

"In der hörenden Welt isoliert"

Sie unterrichtet Gebärdensprachdolmetschen an der Hochschule Landshut und ist selbst gehörlos: Professorin Sabine Fries weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig der Alltag für Menschen ohne Gehör ist

Ins Kino gehen? Ein Small Talk im Treppenhaus? Die Sonntagspredigt in der Kirche? Gehörlosen Menschen bleibt dieser Teil der Welt weitgehend verschlossen. Ohne Dolmetscher ist für sie der Alltag nicht leicht zu meistern. Die Hochschule Landshut bietet seit dem Semester 2015/16 Gebärdensprachdolmetschen als Studienfach an. Nun ist der erste Abschlussjahrgang ins Berufsleben entlassen worden, wie Sabine Fries sagt. Sie ist nach Angaben der Hochschule die erste gehörlose Professorin in Deutschland und unterrichtet den Nachwuchs an Gebärdensprachdolmetschern.

Auch wenn die Gesellschaft Gehörlosen gegenüber schon wesentlich offener geworden sei, gebe es doch zahlreiche Barrieren, sagt sie. Gehörlose seien von vielen Informationen schlichtweg ausgeschlossen. "Gebärdensprache fehlt an allen Ecken und Enden." Und zwar auf beiden Seiten - bei den Hörenden, aber auch bei den Gehörlosen. Denn gehörlose Kinder hörender Eltern wüchsen in der Familie meist ohne Gebärdensprache auf und lernten diese oft erst in der Schule. Sich dann endlich adäquat ausdrücken zu können, werde von vielen als Offenbarung empfunden.

Lediglich bis zu fünf Prozent der Gehörlosen habe gehörlose Eltern. In diesen Familien sei Gebärdensprache Alltags- und Erstsprache. "Gebärdensprache zu lernen sei herausfordernd wie eine Fremdsprache", sagt die Professorin, deren Mann und drei Kinder nicht gehörlos sind. Es reiche nicht aus, einen Volkshochschulkurs zu belegen, um mit seinem gehörlosen Kind kommunizieren zu können. Das wirke sich auf das soziale Leben und die Bildung des Kindes aus. "Sie kriegen vieles einfach nicht mit." Für den Besuch einer Regelschule müssten die Eltern einen Gebärdensprachdolmetscher und dessen Bezahlung organisieren, was aufwendig sei.

Sabine Fries hatte Glück: Sie war auf einer Regelschule

Sabine Fries ist in der Nähe von Wolfenbüttel als Tochter gehörloser Eltern bilingual aufgewachsen: gebärden- und lautsprachlich. Ihr großes Glück sei es gewesen, dass ihre Eltern sie in eine Regelschule geschickt hätten und sie auch von ihrer nicht-gehörlosen Großmutter habe lernen können. Wenn Fries spricht, merkt man ihr nicht an, dass sie weder sich selbst noch ihr Gegenüber hört. "Auf Dauer von den Lippen abzulesen ist anstrengend", sagt sie. Deswegen gehören Gebärdensprache und gegebenenfalls ein Dolmetscher zu ihrem Alltag.

Und weil sie aber nicht dauernd mit einem Dolmetscher unterwegs sein könne und wolle, gebe es eben auch schwierige Situationen, beim Small Talk oder einem Gespräch in einer Kneipe beispielsweise. "Das ist manchmal peinlich und manchmal schwer auszuhalten", sagt Fries. Aber: "Ich muss nicht immer alles mitbekommen. Ich will auch nicht, dass jemand ständig Rücksicht nimmt. Das ist nun einmal unsere Lebenswirklichkeit."

Fries hat in Berlin Theologie studiert und pendelt heute zwischen der Hauptstadt und Landshut. Zurzeit ist sie dabei, ihre Doktorarbeit zum Thema Gewalt gegen gehörlose Frauen abzuschließen. Ursachen für Gewalt seien unter anderem der bisweilen niedrigere Bildungsstand und die fehlenden Kommunikationsmöglichkeit. Es gehe darum, Nein sagen und Grenzen setzen zu können. Viele Gehörlose seien es von Kindheit an gewöhnt, fremdbestimmt zu sein.

In Bayern gibt es etwa 8000 Gehörlose

Nach Angaben des Landesverbandes der Gehörlosen gibt es in Bayern etwa 8000 und bundesweit rund 80 000 Gehörlose. Die Mehrheit sei von Geburt oder vom Kindesalter an taub. So könnten Kinderkrankheiten oder Unfälle Gehörlosigkeit hervorrufen. Unterstützung finden Eltern beispielsweise beim Bundeselternverband gehörloser Kinder. Als Minderheit blieben Gehörlose häufig unter sich, weil sie sich da besser verständigen könnten, sagt die Professorin. "In der hörenden Welt ist man mehr oder weniger isoliert."

Fortschritte gebe es im Fernsehen durch Untertitel oder Nachrichtensendungen mit Gebärdensprachdolmetscher. "Das müsste alles aber noch viel selbstverständlicher werden." Theater, Kino, Vorträge oder Bürgerversammlungen seien zumeist ohne Gebärdensprache oder Untertitelung. "Der Kulturbereich ist uns weitgehend verschlossen." Denn auch wenn viele öffentliche Gebäude als "barrierefrei" gelten - Sprachbarrieren seien oft noch vorhanden.
(Ute Wessels, dpa)

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