Für seine Wüstenfotos reist Michael Martin mit Eisbrechern, Hundeschlitten, Geländeautos, Skiern und Helikoptern rund um die Welt. Über 300 000 Bilder hat er bereits geschossen. Die Bildbände des 52-Jährigen sind preisgekrönt, seine Tourneen bundesweit ausverkauft. Dabei wäre für den Münchner Geografen beinahe alles ganz anders gekommen.Schon als vierzehnjähriger Schüler beobachtete Michael Martin, geboren im schwäbischen Gersthofen, mit seinem selbst gebauten Newton-Spiegelteleskop den Mars. Dabei stellte er sich die lebensfeindlichen Verhältnisse auf dem roten Planeten vor. Drei Jahre später reiste er mit dem Mofa von

München bis an den Rand der Sahara, um im Süden Marokkos die Objekte des Südsternhimmels beobachten zu können. Dabei fiel Martin auf: Die Weiten der Sahara sahen genauso aus, wie er sich die Marsoberfläche immer vorgestellt hatte. „Ich realisierte, dass auch die Erde ein Wüstenplanet ist“, erklärt er der Staatszeitung. „Von da an ließen mich die Wüsten der Erde nicht mehr los.“
Inzwischen berichtet der 52-Jährige seit über 30 Jahren über seine Wüstenreisen und wurde zum weltweit renommiertesten Wüstenfotografen. Er veröffentlichte 30 Bildbände und Bücher, hielt über 2000 Vorträge und produzierte mehrere Fernsehfilme. Ab dem Jahr 2009 unternahm Martin für sein Projekt „Planet Wüste“ 40 Expeditionen, die jetzt neben einem Bildband in Fernsehserien, Magazinen und Ausstellungen zu sehen sind – aktuell im Münchner Museum Mensch und Natur. Neben den Trockenwüsten standen dabei auch die Kälte- und Eiswüsten der Arktis beziehungsweise Antarktis im Fokus. Seine Werke wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet – unter anderem mit einer Ehrenmedaille der britischen Royal Geographic Society.
Fast wäre aber alles ganz anders gekommen. Denn nach dem Abitur hatte sich Martin zuerst für das Studium der Bauingenieurwissenschaften an der Technischen Universität in München eingeschrieben.

Doch in den Vorlesungen waren nur Männer. „Das war ein Kulturschock“, sagt er und lacht. Drei Tage später wechselte er an die LMU, um Geografie, Völkerkunde und Politikwissenschaft zu studieren. Ein Vorzeigestudent sei er damals aber nicht unbedingt gewesen, räumt er ein. „Ich habe 21 Semester studiert und mich immer wieder umgeschrieben, um meine Studienhöchstdauer nicht zu überschreiten.“ Der Grund für die lange Studienzeit: Um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, hat er in dieser Zeit alte Peugeots nach Afrika verschoben. Das sei nicht ungefährlich gewesen: „80 Europäer sind damals pro Jahr in der Wüste verdurstet.“
„Gegen einen hungrigen Polarbären hilft kein GPS“
Doch das sollte nicht die letzte Gefahr in seinem Leben sein. Seine Reisen für „Planet Wüste“ führten Martin in die lebensfeindlichsten Gebiete dieser Welt. Temperaturen zwischen minus 50 und plus 50 Grad, Sand und Schneestürme waren an der Tagesordnung. Seinem furchigen Gesicht sieht man die

Strapazen an. „An einem windigen Februartag in der Hocharktis kann schon ein verlorener Handschuh zu lebensbedrohlichen Erfrierungen führen“, erklärt er. Sein wichtigster Ausrüstungsgegenstand auf Spitzbergen war aber das Gewehr des norwegischen Guides. „Gegen einen hungrigen Polarbären hilft kein GPS und kein Satelliten-Telefon“, warnt der Fotograf und kämmt sich mit der Hand seine langen Locken nach hinten. Zehn Mal sei er in akuter Lebensgefahr gewesen. „Ich bin aber kein Grenzgänger“, versichert er. Ihm gehe es nur um die Fotografien.
300 000 Bilder hat Martin in sechs Jahren gemacht – 1600 davon zeigt er bei seinen fast täglichen Vorträgen in ganz Deutschland. Damit finanziert er sich den Lebensunterhalt. Trotz Hunderttausender Autobahnkilometer pro Jahr ist er zufrieden: „Ich habe geschafft, wovon viele junge Menschen träumen: ein völlig selbstbestimmtes Leben zu führen.“ Bei den Fotos geholfen haben Martin auch seine Reisepartner: Sein Freund Jörg Reuther, zwei Kameramänner und in der zweiten Phase des Projekts seine Frau Elly. Am liebsten reise er mit ihnen auf dem Motorrad durch die Wüste: „So geländegängig und anspruchslos wie ein Kamel, so schnell und zuverlässig wie ein Geländewagen“, sagt der Fotograf und grinst.
Das Einzige, was Martin auf seinen Tourneen nervt: der Satz „Ihre Kamera macht aber tolle Bilder.“ Er versucht es dann immer mit einem Vergleich: „Würde ich mir einen hochwertigen Konzertflügel kaufen,

könnte ich trotzdem nicht Klavier spielen.“ Zu seiner – wie er es selbst nennt – „Michael-Martin-Infotainment-Show“ kommt hauptsächlich akademisches Publikum. „Manche ehemalige Kommilitonen zählen seit 30 Jahren zu meinen Stammgästen“, erzählt er. Aber auch junge Studierende interessierten sich für seine Reisevorträge, die nichts mit einer verstaubten Dia-Show gemein haben: Die Bilder werden mit einem extrem lichtstarken und hochauflösenden Beamer auf eine 100 Quadratmeter große Leinwand projiziert.
„Ich möchte erreichen, dass sich mehr Menschen für Wüsten und Polargebiete interessieren und verstehen, dass sie geschützt werden müssen“, erklärt Martin sein Engagement. Denn im Gegensatz zu den als schützenswert anerkannten Regenwäldern oder Ozeanen würden Wüsten und Polargebiete als Waffentestgebiet, als Strecke für Autorallyes, Müllhalde für ausrangierte Flugzeuge oder zur Ausbeutung von Rohstoffen genutzt. Außerdem wollte Martin bei seinen Reisen alternative Lebenskonzepte kennenlernen: „Ich bin immer wieder beeindruckt von der Kraft, Würde und Warmherzigkeit der Wüstenbewohner“, erzählt er. Vor allem der Zusammenhalt der Familien, der Umgang mit älteren Menschen, die Gastfreundschaft und der Schutz der Natur hätten ihn beeindruckt.
Nicht zuletzt haben die Expeditionen auch Martins Blick auf sein eigenes Leben verändert: „Ich habe viel Elend und Ungerechtigkeit erlebt und sehe unser Leben in Europa jetzt sicher realistischer“, sagt er. Nicht nur was die Flüchtlingskrise betreffe, insgesamt habe unser Kontinent einen großen Nachholbedarf in Sachen Menschlichkeit, betont er. Aber natürlich gibt es auch viel, was Martin auf seinen Reisen an Deutschland schätzen gelernt hat: vor allem die Rechtsstaatlichkeit, die Pressefreiheit, die soziale Sicherheit und den Frieden. Am meisten freut er sich aber nach der Rückkehr immer auf eines: „meine Frau.“ (
David Lohmann)
Fotos (Martin): Spektakulär in Szene gesetzt: die Eisscholle im Polarmeer und der Eiskrater in Island. Michael Martin am Südpol. Auch der eindrucksvolle Drygalskigeletscher befindet sich in der Antarktis.
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!