Ausgerechnet Weihnachten wird heuer für viele Zirkusse zur traurigsten Zeit des Jahres. Leere oder abgebaute Zelte statt strahlender Kinderaugen. Die nächste Corona-Welle hat in Bayern viele Pläne für das überlebenswichtige Wintergeschäft platzen lassen.
Das wohl prominenteste Opfer in Bayern: Der weltberühmte Circus Krone musste das zweite Jahr in Folge sein glamouröses Weihnachtsprogramm auf Eis legen. Zirkuschef Martin Lacey jr. kämpft mit den Tränen: "Wir sind so traurig. Die Show ist eine Institution für uns und München. Und finanziell ist das eine Katastrophe."
Beim Verband deutscher Circusunternehmen (VDCU) herrscht Entsetzen. Nahezu allerorten dasselbe Schicksal: Festplätze wurden von Kommunen gesperrt, Märkte untersagt. Oder die Auflagen mit Impfung, Tests, Abstand und Masken sind für viele Zirkusse und das Publikum so streng, dass sich das Geschäft nicht lohnt. "Es gibt nur wenige, die es noch versuchen", sagt der Vorstandsvorsitzende Ralf Huppertz.
Barnums Weihnachtscircus in Nürnberg etwa wagt es. "Wir haben geöffnet", bestätigt der Zirkus. Auch Circus Baldoni Kaiser hat im Vaterstettener Gemeindeteil Parsdorf (Landkreis Ebersberg) sein Zelt aufgeschlagen. "Wir sind da!", verspricht die Familie auf Nachfrage. Finanziell bleibt es wegen der Auflagen für viele ein Drahtseilakt.
Gerade erst war das Geschäft wieder angelaufen
Im VDCU sind rund 60 kleine und mittelgroße Zirkusse Mitglied. "Ich hätte mir das noch vor ein paar Wochen absolut nicht vorstellen können", sagt Huppertz. Das Geschäft sei zuletzt gerade wieder angelaufen. Viele hätten nun auf die Weihnachtszirkusse gehofft.
"Der Dezember ist für Schausteller und Zirkusse inzwischen eigentlich ein Hauptverdienst-Monat", betont Huppertz. "Beim Weihnachtszirkus machen Sie manchmal in zehn Tagen den Umsatz, den Sie sonst in fünf Monaten machen." Die Rechnung sei klar: "Diese Gelder werden einfach gebraucht. Wenn die nicht kommen, ist das ein Riesenloch!"
So auch beim weltweiten Branchenriesen Krone: Der traditionelle Start am 25. Dezember im legendären Münchner Kronebau ist sonst Höhepunkt des Jahres. "Nun müssen wir überlegen, wie es überhaupt weitergeht", sagt Lacey. Ehefrau Jana Mandana Lacey-Krone ist Adoptivtochter der berühmten Zirkusfamilie. "Ich habe immer gesagt: Wenn wir den zweiten Winter verlieren, wird es ganz kritisch für das Unternehmen." Und für die Mitarbeiter.
Auch in der Krise müssen die Tiere gefüttert werden
Selbst in der Krise beschäftigt Krone knapp 100 Festangestellte weiter, allein schon wegen der Tiere von Elefanten über Löwen bis zu Pferden. "Mit ihnen muss ja trotzdem gearbeitet werden, sie füttern sich auch nicht allein", erläutert Frank Keller, als Circensischer Berater der zentrale Programmplaner. "Wir sind stolz, dass wir bisher keinen Mitarbeiter entlassen haben", sagt Lacey. "Im neuen Jahr müssen wir nun überlegen, was wir machen."
Schon 2020 hatte Corona alles zunichte gemacht: Die Sommertournee 2021 fiel ebenso aus. Zum Fest musste nun auch ein erstmals von Krone in Würzburg geplanter Weihnachtszirkus abgesagt werden.
"Diese Planungsunsicherheit ist für uns das größte Handicap", sagt Keller. Laceys witzige Ideen von einer Clown-Autowaschstrasse bis zum Verkauf von Löwenkot zur Marderabwehr bringen Aufmerksamkeit. Die enormen Umsatzlöcher stopfen sie nicht.
Eine für viele Zirkusse zu hohe Hürde sind auch die weitreichenden Corona-Auflagen. "Bei 2G kommt oft schon ohnehin nur noch die Hälfte, 2G plus aber akzeptieren viele Gäste eigentlich nicht mehr", klagt Huppertz. Gerade für kleinere Zirkusse zudem ein Problem: "Wie soll ich diese Kontrollen für Hunderte Leute am Eingang organisieren?"
Fehlende Einnahmen durch Beschränkung der Zuschauerzahlen
Den Rest gebe vielen Zirkussen die Beschränkung der Zuschauerzahlen durch Mindestabstand oder Kapazitätsgrenzen. Irgendwann reichen die Ticketeinnahmen nicht mehr für die Kosten: "Das ist eine reine Rechenaufgabe", sagt Huppertz. "Wenn man alles zusammenzählt, muss man die Reißleine ziehen."
Die staatlichen Hilfen seien gut, betont der Verbandschef wie auch viele andere in der Branche. "Die
Politik hat den Zirkussen schon zugehört." Das Problem allerdings: Der Ersatz von Fixkosten sei das eine, es brauche aber noch einmal Hilfe bei den fehlenden Einnahmen. "Da muss sich der Staat zusätzlich etwas ausdenken", bittet Huppertz. "Das wird sonst nicht reichen!"
Etwas Hilfe ist in Sicht: Neben Fixkostenhilfen gab der Bund schon bisher ab bestimmten Umsatzausfällen mehr Geld (Überbrückungshilfe III Plus), wie ein Sprecher des bayerischen Wirtschaftsministeriums erläutert. Der Bund habe angekündigt, das zu verlängern.
Unterstützung fanden viele Zirkusse auch von den Menschen vor Ort - per Sammelbüchse oder Futterspende. "Den ganz Kleinen ist vielfach sehr gut aus der Bevölkerung geholfen worden", erzählt Huppertz. "Die haben sich damit am Leben gehalten."
Die Not klassischer Unternehmen teilen auch Ensembles neuartiger Zirkuskunst: "Einige geben nun einfach auf", sagt Jenny Patschovsky, Vorstandsvorsitzende im Bundesverband zeitgenössischer Zirkus (buzz). Ihre Mitglieder brauchen Spielorte und Bühnen in den Kommunen. "Wenn diese Orte wie derzeit wegfallen, fehlt unserer Szene ein wichtiger Baustein." Und die staatlichen Hilfen seien grundsätzlich gut. "Aber sie passen oft nicht ganz zur Situation der Kleinen."
Das Gute in der Krise: Sie hat die vielfältige Zirkuswelt etwas näher zusammengebracht. "Es gibt trotz aller Unterschiede in der Branche nun mehr Zusammenarbeit", sagt Patschovsky. Auch Huppertz freut sich: "Da waren immer auch Vorbehalte der einen Gruppe zur anderen. Das hat sich durch das Kennenlernen etwas gelegt und zum Guten gewandelt."
(Roland Freund, dpa)
Foto (dpa, Matthias Balk): Hans-Ludwig Suppmeier, Tierlehrer (links), arbeitet in der Manege vom Circus Krone mit einem Zirkuspferd.
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