Leben in Bayern

Auch im Ankerzentrum Augsburg gibt es bereits Infizierte. (Foto: dpa/Karmann)

03.04.2020

Keine Seife, kein Desinfektionsmittel

Auch in Bayerns Flüchtlingsunterkünften gibt es Corona-Fälle – dort ist die Lage besonders prekär, wie ein Bewohner aus Landshut berichtet

An Deutlichkeit lässt es die Ansprache des Landratsamtes Landsberg am Lech nicht missen: „AUSGANGSSPERRE. Die Strafe ist 2 Jahre oder 25.000 €.“ So steht es auf den Aushängen, die die Behörde in den Flüchtlingsunterkünften des Landkreises hat aufhängen lassen. Der Bayerische Flüchtlingsrat hat ein Foto des Aushangs auf seiner Website veröffentlicht. Nun herrscht zwar auch in Bayern, wie die Söder-Regierung zu betonen nicht müde wird, keine Ausgangssperre, sondern eine Ausgangsbeschränkung, und die angedrohten Strafen sind theoretische Höchststrafen; die normalen Bußgelder für Verstöße gegen die Ausgangsbeschränkung bewegen sich laut Katalog zwischen 150 und 500 Euro. Im Landratsamt Landsberg scheint man es jedoch mit solchen Details nicht so genau zu nehmen. Welchen Effekt die Ansagen jedoch auf die angesprochenen Flüchtlinge haben dürften, lässt sich leicht ausrechnen: Verunsicherung, Angst.

„Das Bemühen der Behörden, die Flüchtlinge zu informieren, ist sehr unterschiedlich ausgeprägt“, kritisiert denn auch Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat recht diplomatisch. Dünnwald sitzt in seinem Büro in der Münchner Innenstadt. Die Arbeit läuft derzeit zwar fast nur noch über Telefon, E-Mail und Whatsapp, ganz hat er allerdings noch nicht auf Home-Office umgestellt.

Grundsätzlich gelten für die Flüchtlinge natürlich dieselben Regeln wie für den Rest der Menschen in Bayern: Abstand halten, nicht ohne triftigen Grund die Unterkunft verlassen. Aber natürlich dürfen und sollen sie einkaufen oder zum Arzt gehen, sich an der frischen Luft bewegen. Alles eben nur allein oder mit Menschen, mit denen man ohnehin im selben Haushalt lebt. Wobei sich in diesem Fall der Haushalt auf die gesamte Unterkunft bezieht.

Der Nebeneffekt: Gibt es einen Infektionsfall in einem Asylbewerberheim, stehen gleich alle seine Bewohner unter Quarantäne. In Bayern hat es schon ein paar solcher Fälle gegeben, im Ankunftszentrum in der Maria-Probst-Straße in München etwa oder in Unterkünften in Geretsried und Krailling. In diesen Fällen ist die Quarantäne jedoch bereits wieder aufgehoben worden.

Spaziergänge sind nur noch auf dem Korridor möglich

Anders in Landshut. Dort sitzt Justice Aikhu gerade in seinem Zimmer in der Gemeinschaftsunterkunft in der Porschestraße und sieht fern. Viele andere Möglichkeiten hat er derzeit auch gar nicht. Schlafen und mit Freunden telefonieren sind die beiden einzigen weiteren Beschäftigungen, die dem 29-jährigen Nigerianer sonst noch einfallen. Denn das vierstöckige Flüchtlingsheim im Norden der niederbayerischen Hauptstadt, in dem rund 150 Menschen leben, steht unter Quarantäne. Gut, er könnte einen Spaziergang machen – einmal den Korridor entlang, in die Küche oder runter zum Eingang. Wenn man sich dort mit seinem Mobiltelefon nahe genug beim Büro der Heimleitung platziert, kann man sich sogar ins WLAN des Hauses einloggen.

Aber Justice Aikhu bleibt lieber mit seiner Familie im Zimmer. Im Mai werden es drei Jahre, dass er mit seiner Frau Maris nach Deutschland geflüchtet ist. Jetzt haben sie Angst vor Ansteckung, vor allem aber Angst um ihre beiden kleinen Kinder. Michael ist zwei Jahre alt, Ella gerade mal vier Monate. Die Familie versucht, wo immer möglich, den Kontakt zu den Mitbewohnern zu vermeiden. In die Gemeinschaftsküche gehen sie fast nur noch ganz früh am Morgen oder sehr spät abends, wenn dort kaum noch jemand anzutreffen ist.

Angefangen hat das Ganze vor zwei Wochen am Mittwoch, als sich ein junger Mann im zweiten Stock unwohl fühlte. Dann ging plötzlich alles ganz schnell. Sie haben ihn abgeholt, ins Krankenhaus gebracht. Noch am selben Abend wurde das ganze Haus unter Quarantäne gestellt. Zweimal sei in den darauffolgenden Tagen ein Pulk von Ärzten in das Heim gekommen, hätte einige der Bewohner getestet. Nach welchen Kriterien die Personen ausgewählt wurden, ist Justice Aikhu schleierhaft. Er wollte, dass er und seine Familie ebenfalls getestet würden, aber das wurde abgelehnt. Warum, wollte ihm niemand verraten. Dabei seien noch etliche Menschen im Haus positiv getestet worden, darunter die Familie im Nachbarzimmer. Sie wurden mit einem Bus abgeholt.

"Das größte Problem sind die Tioletten"

„Das größte Problem“, sagt Aikhu, „sind die Toiletten. Auf meinem Stockwerk benutzen mehr als 20 Leute eine Toilette. Es gibt keine Seife, kein Desinfektionsmittel.“ Im Keller gebe es zwar noch weitere Toiletten, doch diese seien zugesperrt. Warum? Aikhu weiß es nicht. „Wenn sie die öffnen würden, würde es schon helfen.“ Er verstehe auch nicht, warum man nicht nach den positiven Tests erstmal alle Gemeinschaftsräume professionell desinfiziert habe. „Ich glaube, dass noch mehr Leute dieses Virus bekommen.“ Vielleicht, meint er, habe er es ja auch schon. „Wie kann ich das wissen?“

Viele Leute im Haus machten sich dieselben Sorgen wie er, andere dagegen verhielten sich gedankenlos, beherzigten keinerlei Vorsichtsmaßnahmen. Worüber sich die Leute hier im Haus am meisten beklagten: dass sie vor der Quarantäne keine Gelegenheit mehr gehabt hätten, Essen einzukaufen. Nun bekämen sie von der Heimleitung Lebensmittelrationen gebracht. „Aber viele sind dieses Essen nicht gewohnt und schimpfen deshalb.“

Und dann natürlich diese Unsicherheit. „Die Leute fragen sich: Wann werden wir frei sein? Das habe ich heute auch unseren Unterkunftsleiter gefragt. Er sagte, er weiß es nicht. Er warte auf Informationen von der Regierung.“ Nächste Woche hätte ein Integrationskurs beginnen sollen, an dem auch Justice Aikhu teilnehmen wollte.

Fehlende Seife, fehlendes WLAN – die Probleme, von denen Justice Aikhu berichtet, sind vielleicht nicht die Regel, aber auch keine Seltenheit in bayerischen Flüchtlingsheimen, berichtet Stephan Dünnwald vom Flüchtlingsrat. Immer wieder spreche er mit ehrenamtlichen Helfern, die sich genau darüber beklagten. Es gebe aber auch Positivbeispiele: In einer Unterkunft in Kelheim beispielsweise habe eine über 70-jährige Frau mit Vorerkrankung sofort ein Einzelzimmer mit eigener Toilette bekommen.

Der Flüchtlingsrat fordert eine Unterbringung in Hotels

Vor allem aber findet Dünnwald, dass die Flüchtlinge dezentraler untergebracht werden müsste. Er schlägt vor, einen Teil der Flüchtlinge aus überfüllten Einrichtungen in kleineren Gruppen in Hotels und Pensionen unterzubringen. „Auf diese Weise könnte man auch gleich etwas für bayerische Hotelbetriebe tun. Und man könnte an manchen Orten die Belegungsdichte halbieren.“ Und somit natürlich auch das Infektionsrisiko.

In der Tat ist das innerhalb der bestehenden Unterkünfte gar nicht so einfach. Bernhard Rieger ist als Betreuer zuständig für drei Flüchtlingsunterkünfte im Landkreis Dachau. In der größten davon, einem Containerbau, leben 50 Menschen. Früher waren sie hier zu sechst auf einem Zimmer untergebracht, jetzt meist zu dritt oder viert. Weniger sei nicht möglich, sagt Rieger, weil er keine freien Zimmer mehr habe.

Von Problemen wie fehlender Seife oder mangelhafter Kommunikation habe er auch schon gehört, sagt Rieger, der sich auch ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagiert. Aber immer nur über fünf Ecken. „In den Unterkünften, für die ich sprechen kann, habe ich schon den Eindruck, dass die Flüchtlinge gut informiert werden. Da läuft auch viel über ehrenamtliche Helfer. Die sind über WhatsApp oft schneller, als ich Aushänge an die Tür hängen kann.“ Allerdings könne er sich schon vorstellen, dass die Situation in Ankerzentren und großen Unterkünften deutlich schwieriger ist. Auch von einem „Lagerkoller“ der Flüchtlinge habe er bei sich im Landkreis noch nichts feststellen können. „Aber ich kann mir vorstellen, dass die Situation in ein, zwei Wochen eine andere sein wird.“ Tatsächlich schlägt der Flüchtlingsrat wegen der Ankerzentren Alarm: "Nach den Infektionen mit dem Coronavirus im Ankunftszentrum München von Anfang März wurden jetzt auch Fälle in Anker-Zentren in Augsburg, Bamberg und Geldersheim bei Schweinfurt bekannt. Das anker-Zentrum Unterfranken in Geldersheim steht nun komplett unter Quarantäne."

In Landshut seien derzeit noch alle Bewohner der Unterkunft in der Porschestraße sehr ruhig, erzählt Justice Aikhu. „Wir beten, dass diese Seuche bald ein Ende hat.“
(Dominik Baur)

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