Leben in Bayern

Fabian und Jonathan stellen sich den anderen Kindern als politische Kandidaten vor. Alle zwei Jahre wird an der Grundschule im mittelfränkischen Roßtal ein Kinderbürgermeister und ein zehnköpfiger Kindergemeinderat gewählt. (Foto: Nicolas Armer/dpa)

05.03.2018

Kinder als Politiker: "Ich wähle mich auf jeden Fall selbst"

Früh übt sich, wer ein Politiker werden will. Im mittelfränkischen Roßtal ist das möglich: Die dortigen Kindergemeinderatswahlen laufen wie eine echte Kommunalwahl ab - kumulieren und panaschieren inklusive

Der Wahlkampf ist eröffnet, die Kandidaten der Parteien stehen bereit. Rund 300 Wahlberechtigte haben sich eingefunden, um sich die Programme der einzelnen Bewerber anzuhören. "Ich will, dass die Umwelt besser geschützt wird", verspricht der erste Redner, der auf seinem Wahlplakat als seine große Stärke das Spielen mit Legosteinen nennt. "Ich will allen Freude machen", sagt die nächste Bewerberin, die nach eigener Einschätzung besonders gut malen und zeichnen kann. Und Kandidat Nummer drei ruft ins Mikrofon: "Ich will mich für eine Eisdiele im Ort einsetzen" - und löst damit im Publikum den ersten Begeisterungssturm aus.

Alle zwei Jahre wird an der Grundschule im mittelfränkischen Roßtal ein Kinderbürgermeister und ein zehnköpfiger Kindergemeinderat gewählt. Mehrere Tage dauert das Prozedere mit Wahlkampfreden, Urnengang, Hochrechnungen und Bekanntgabe der Gewinner. So authentisch wie möglich soll dabei eine echte Kommunalwahl nachgestellt werden. "Soweit wir wissen, gibt es in Bayern keine vergleichbare Kinderwahl, die so nahe an der Realität ist", sagt Grundschullehrerin Monika Lang, eine der Projektleiterinnen. Sogar kumulieren und panaschieren ist auf den Stimmzetteln möglich. Wählen dürfen alle Erst- bis Viertklässler. "Die Gemeinde stellt dafür echte Wahlurnen und Wahlkabinen auf", berichtet Jugendhausleiterin Kerstin Wolf.

In der Schulaula haben alle 29 Bewerber einen Steckbrief mit ihren Stärken und Zielen aufgehängt. "Ich kann gut Matte", heißt es etwa in der schriftlichen Bewerbung von Dominik, der in seinem Wahlprogramm als einen Punkt saubere Schultoiletten aufgelistet hat. Einige der Kinder haben auch ein Bewerbungsfoto auf den Zetteln aufgeklebt. Das Foto von Fabian zeigt den Viertklässler an einem Rednerpult, eben ganz ein Politiker. "Ich war schon Kindergemeinderat und kandidiere diesmal als Kinderbürgermeister, weil man da noch mehr mitbestimmen kann", erzählt der Grundschüler, der für die "Freizeit-Kids" ins Rennen geht. Drei Parteien, die sich die Kinder ausgedacht haben, gibt es. Auf viele Wählerstimmen hoffen auch "Die Bunten", die vor allem Umweltthemen aufgreifen wollen, und die "Sozial-Kids", die sich für mehr Gerechtigkeit und Kinderrechte stark machen.

Der Bürgermeister nimmt die Anliegen der Kidner ernst

"Kinder haben großes Interesse an Politik", sagt Kathrin Müthing vom Prosoz Institut für Sozialforschung. Für das LBS-Kinderbarometer - der nach eigenen Angaben größten deutschen Kinderstudie - hat die Expertin mit ihrem Team mehr als 10 000 Kinder im Alter von 9 bis 14 Jahren danach gefragt, ob sie gerne an Entscheidungen in ihrer Stadt oder Gemeinde mitwirken möchten. 57 Prozent antworteten mit Ja. Ein weiteres Ergebnis der Studie: "Kinder fühlen sich deutlich wohler, wenn ihre Anliegen ernst genommen werden", erläutert Müthing.

"Was der Kindergemeinderat beschließt, behandeln wir entweder im Gemeinderat oder wird direkt an meine Verwaltung weitergegeben", sagt Johann Völkl (SPD), der richtige Bürgermeister des Ortes im Landkreis Fürth mit knapp 10 000 Einwohnern. Der 2014 erstmals gewählte Kindergemeinderat kommt unter Vorsitz des Kinderbürgermeisters alle sechs bis acht Wochen in einem Klassenzimmer zusammen. Dazwischen tagen Ausschüsse zu den Themen Menschenrechte, Umwelt und Freizeit - ein volles Programm also für die jungen Politiker.

Vor drei Jahren fassten die Kinder den Beschluss, dass Roßtal die erste von Plastiktüten befreite Gemeinde in Mittelfranken werden soll - später bestätigte der echte Gemeinderat dieses Anliegen. "Inzwischen gibt es mehrere Läden im Ort, die keine Plastiktüten mehr anbieten, auch ein Discounter macht mit", erzählt Jugendreferentin Martina Bär. Der Kindergemeinderat werde auch bei jeder Spielplatzplanung eingebunden.

Ein Neunjähriger macht Wahlkampf in der Schule

Der neun Jahre alt Jonathan rechnet sich gute Chancen aus, unter den zehn Kindern zu sein, die künftig im Kindergemeinderat sitzen. Zumindest seine eigenen Umfragen unter Mitschülern stimmten ihn zuversichtlich, berichtet er. "Und ich wähle mich in jedem Fall auch selbst" - was wie bei einer echten Bundestags- oder Landtagswahl auch erlaubt ist. Für Politik interessiert sich der Grundschüler sehr: "Mein Vater arbeitet bei einer Zeitung und meine Mutter für einen Bundestagsabgeordneten."

Tatsächlich sind Kinder trotz ihres jungen Alters politisch bereits gut informiert: Annähernd jedes zweite Kind gab bei der Befragung für das LBS-Kinderbarometer an, schon einmal von der UN-Konvention über die Rechte des Kindes von 1989 gehört zu haben.? "Im Alter von zwölf Jahren entwickeln sich die Fähigkeiten, auch in politischen Zusammenhängen denken zu können", erklärt die Politik- und Sozialwissenschaftlerin Regina Renner vom Bayerischen Jugendring (bjr). Ihr Verband fordert ein Wahlrecht ab 14 Jahren bei Landtags- und Bundestagswahlen, wie es bei Wahlen für Kirchenparlamente gilt.

Etliche der Kinder, die im ersten Roßtaler Kindergemeinderat vor vier Jahren dabei waren, engagieren sich auch heute noch in der Marktgemeinde. Eine Jugendliche unterstützt zum Beispiel Umweltprojekte des Bundes Naturschutz. "Die Kinderwahlen fördern die Sozialkompetenzen ungemein", sagt Lehrerin Monika Lang. "Im Lehrplan kommen Demokratie und Wahlen zwar auch vor, aber mit diesem Projekt erleben die Schüler das alles in der Praxis. Das kann kein Schulbuch leisten."
(Roland Beck, dpa)

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