Leben in Bayern

Eberhard Buschmann (Mitte) singt mit dem „Tut gut!“-Team und den Patientinnen Antonie Engelhardt und Helga Buse (links und rechts außen). (Foto: Pat Christ)

14.12.2016

Klingt's mal schräg, macht's nichts

Der pensionierte Würzburger Musikprofessor Eberhard Buschmann engagiert sich für betagte Reha-Patienten in der Klink, in der er selbst Patient war

Eberhard Buschmann ist ein musikalisches Multitalent. Er spielt Fagott, Orgel, Klavier, Geige und Akkordeon. Er, der Profimusik-Karrieren bahnte, engagiert sich seit Jahresmitte in einer Würzburger Geriatrie. Dort spielt und singt die Fagottkoryphäe mit Patienten Tanzmusik und Schlager aus der Nachkriegszeit.

Ein Tag ohne Musik wäre für Eberhard Buschmann kaum vorstellbar. Doch seite Mitte des Jahres musiziert der 85-Jährige an einem außergewöhnlichen Ort: im Würzburger Bürgerspital. Dort singt der ehemalige Musikprofessor mit Patienten, die sich nie tiefer mit Musik beschäftigt haben.

Dass sich Buschmann „herablässt“, mit Menschen zu musizieren, die den Ton oft nicht exakt treffen und Probleme haben, im Takt zu bleiben, sorgt in seinem Bekanntenkreis für Verwunderung. „Man meint, ein Musikprofessor würde in höheren Sphären schweben“, schmunzelt der rüstige Senior. Buschmann hat zwar schon in höchsten Sphären geschwebt –  zum Beispiel als Fagottist des berühmten Consortium Classicum. Doch er weiß auch genau, wie das „echte Leben“ jenseits der musikalischen Höhenflüge aussieht. In den letzten drei Jahren hat ihn das Leben arg gebeutelt. Seine Frau wurde schwer krank. Zwei Jahre lang übernahm er die Pflege. Zu Jahresbeginn starb sie. Kurz darauf wurde Buschmann selbst krank. Zunächst wurde er in einer Akutklinik behandelt. Danach kam er in die geriatrische Reha-Klinik des Würzburger Bürgerspitals. Dort stieß er auf ein ehrenamtlich organisiertes Angebot, das ihn begeisterte. „Tut gut!“ heißt die Initiative, die vor einem Jahr an den Start ging. Zehn Männer und Frauen bieten unter der Woche an jedem Nachmittag ein Mitmachprogramm an. Das soll den betagten Menschen helfen, mit ihrer schwierigen Situation fertigzuwerden.

Schwierig ist die Situation für die Senioren deshalb, weil sie nicht genau wissen können, wie es nach der Reha weitergehen wird. Kann sein, dass sie ihre alten Fähigkeiten wieder erlangen. Aber das ist ungewiss. Manche Senioren werden trotz intensiver Reha nicht mehr so fit, dass sie weiterhin eigenständig in ihrer Wohnung leben können.

Die bange Frage nach der Zukunft spukt während der meist vierwöchigen stationären Behandlung vor allem dann im Kopf herum, wenn die Therapien zu Ende sind. Das ist spätestens gegen 16 Uhr der Fall. Viele können sich nicht durch Besuch ablenken, denn die Verwandten wohnen weit weg. Auch ist der Fernseher in dieser Situation nur ein schlechter Trost.

Aus der Beobachtung heraus, wie stark ein Teil der Patienten durch die Krankheit psychisch belastet ist, entstand die Idee einer täglichen Mitmachstunde nach Therapieende mit Liedern, Geschichten, Rätselraten, Spielen und Wunschkonzert. Inzwischen ist das Programm fest im Therapieplan verankert. Bis zu 15 Senioren nehmen täglich teil.

Wie hilfreich „Tut gut!“ ist, hat Buschmann während seiner eigenen Reha erfahren. Nach seiner Entlassung erklärte er sich bereit, bei „Tut gut“ aktiv zu werden. Seit Pfingsten baut er jede Woche sein Keyboard auf. Auch wenn das, was dann gemeinsam gesungen wird, nicht perfekt klingt, bereitet es ihm Freude, mit Menschen seines Alters zu musizieren. Alle verbindet gemeinsame Erfahrungen. „Wir sind mit ähnlichen Filmen großgeworden, kennen also ähnliche Filmmusik, aber auch ähnliche Tanzmusik und Schlager“, sagt er. Überhaupt vereint die Biografie. Viele können sich zum Beispiel noch sehr gut an die Trümmerzeit nach dem Weltkrieg erinnern.

Zwei Jahre pflegte er seine Frau, und wurde selbst krank

Der in Wanne-Eickel geborene Musiker Buschmann war zwei Jahre alt, als die Nazis in Deutschland an die Macht kamen. Seine ganze Kindheit hindurch kannte er nichts anderes als das Dritte Reich. Seine Eltern waren beide sehr musikalisch: „Meine Mutter hatte sogar Musik studiert.“ Mit sieben Jahren lernte er zu Hause, Klavier zu spielen. Musik begann, für ihn „alles“ zu werden. Mit 14, als der Krieg endlich aus war, hätte er liebend gern eine Musikschule besucht. Doch es gab kein Institut mehr. Alles lag in Trümmern, die gesamte Infrastruktur war zerstört: „In den Straßen klafften etliche Bombentrichter.“

Und doch wurde eine Möglichkeit gefunden, das musikalisch hochbegabte Kind zu fördern. Buschmann kam zu einem Kirchenmusikdirektor nach Herne. Täglich machte er den Weg dorthin zu Fuß. Im Laufe der nächsten drei Jahre vertiefte er bei seinem Lehrer nicht nur die bisher erworbenen Klavierkenntnisse. Er lernte auch Musiktheorie und Instrumentenkunde: „Alles, was mir beigebracht wurde, sog ich auf.“ Die Stunden bei dem Kirchenmusikdirektor galten offiziell als Ausbildung: „Deshalb musste ich keine Trümmer schippen.“

Nebenbei baute er den Posaunenchor seiner Heimatgemeinde neu auf, außerdem absolvierte er einen Kurs, der ihn zur Mittleren Reife führte. Letzteres war Voraussetzung dafür, an einem Musikkonservatorium aufgenommen zu werden. Als er 17 Jahre war, bot ihm das Dortmunder Konservatorium einen Studienplatz an. Bei der Aufnahmeprüfung waren die Dozenten beeindruckt von dem reichen Wissen des Jugendlichen. Buschmann musste nur ein Jahr studieren, um seinen Abschluss als Musiklehrer zu machen.

Schon zu dieser Zeit schwebte er jedoch nicht nur in den Sphären der klassischen Musik. „Der Mann, bei dem ich Noten kaufte, fragte mich eines Tages, ob ich denn auch Tanzmusik machen würde“, erzählt er. „Hm, sicher“, erwiderte der Jugendliche nach kurzem Nachdenken: „Hab ich zwar noch nie gemacht, könnte ich aber mal versuchen.“ Kurze Zeit später kam Buschmann zu seinem ersten Engagement. Für ihn war diese Erfahrung immens wichtig. Damals seien Solomusiker tatsächlich in anderen Sphären geschwebt, erinnert er sich. Die Zuhörer waren voller Bewunderung. Der Pianist ging in seinem Stück auf: „Publikumskontakt war nicht üblich.“

Den hatte Buschmann durch seine Auftritte zusammen mit einer Tanzmusikkapelle nun reichlich. Gerade mit dem, was er damals gespielt hatte, kann er heute bei „seinen“ Patienten in der Geriatrie prima punkten. Denn auch die erinnern sich noch gut daran, was sie Ende der 1940er und Anfang der 1950er Jahre gehört und selbst mitgeträllert hatten.

Die Jahre nach dem Krieg waren ungewöhnliche Jahre. Das bestätigen alle betagten Patienten, mit denen Buschmann jede Woche singt. Auf ungewöhnlichen Wegen kam man zu dem, was man zum täglichen Überleben benötigte. Man knüpfte ungewöhnliche Freundschaften. Auch zu seinem Beruf kam man oft auf unkonventionellen Pfaden. So erging es auch dem Musikprofessor.

An der Musikhochschule in Detmold kam er mit 18 Jahren zum damaligen „Mangelinstrument“ Fagott, weil Fagottisten dringend gesucht wurden. Bis dahin hatte er noch keinerlei Erfahrungen mit dem Blasinstrument gemacht. Heute wäre eine solche Karriere schwerlich denkbar: „Wer nicht schon mit 14 Jahren zu spielen beginnt, hat als Fagottist kaum eine Chance.“

Die Biografie vereint: Der Alltag in der Trümmerzeit

Acht Jahre lang studierte Buschmann in Detmold. Sowohl in Klavier als auch in Fagott machte der später weithin bekannte Spezialist für die klassisch-romantische Stilepoche seinen Abschluss. Danach engagierte er sich 13 Jahre lang als Orchestermusiker, bevor er in Würzburg Professor für Fagott und Musik wurde.

Heute ist Buschmann nicht nur im „Tut gut!“-Team integriert. In der Würzburger Stadtrandgemeinde Höchberg, wo er lebt, unterstützt er bereits seit 15 Jahren zwei Laienchöre: Den Chor des lokalen Sportvereins und einen ökumenischen Kirchenchor. „Ich helfe bei Proben und begleite manchmal bei Aufführungen“, erzählt er.

Offenheit gehört zu den charakteristischsten Merkmalen des Musikers, der in so vielen Musiksparten zu Hause ist. Als sein Sohn Schlagzeug zu studieren begann, eignete sich Buschmann das Spiel auf dem Marimbaphon an. Durch eben diese Offenheit ist es ihm auch möglich, viel Schönes aus seinem ehrenamtlichen Engagement im Bürgerspital zu ziehen.

Die Dienstagnachmittage in der Rehaklinik bestreitet er zusammen mit der Ehrenamtlichen Irmgard Brumm. Die singt ebenfalls gern, hat sich aber noch nie in ihrem Leben in der Tiefe mit Musik befasst. Dafür kennt sie sich prima mit Heilkräutern aus. Fast jeden Dienstag lernt Eberhard Buschmann durch seine Ehrenamtskollegin eine neue Pflanze kennen. Das findet er klasse. Denn von Heilkräutern hatte er bislang keine Ahnung. (Pat Christ)

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