Leben in Bayern

Einmal in Rhythmus gekommen, ertönt im Raum das beruhigende Klackern der Holzklöppel. (Foto: Hippe)

31.10.2013

Klöppeln gegen den Stress

Dank einer 63-Jährigen aus Schönsee erlebt ein altes Kunsthandwerk in der Oberpfalz Renaissance – als beliebte Freitzeitbeschäftigung bei Jung und Alt

Klöppeln ist nur etwas für Großmütter, um altmodische weiße Spitzendeckchen anzufertigen? Von wegen! In den Kursen der Oberpfälzerin Monika Gebhard sitzen neben Schulkindern sogar Manager, um sich dort von ihrem anstrengenden Job-Alltag zu erholen. Einzige Bedingung: Das Handy bleibt während des Unterrichts aus. Beim Zuschauen kann einem fast schwindelig werden: Monika Gebhard wirbelt die Klöppel in ihren Händen so schnell umeinander, dass die Augen kaum folgen können. „Kreuzen, drehen, kreuzen ist ein Leinenschlag“, erklärt die Lehrerin die Technik. „Es ist einfacher als stricken. Statt Masche für Masche geht es hier um Paar für Paar“, ruft sie, wirft ein Paar der zwölf Klöppel über die Kissenrolle, auf der die Handarbeit mit vielen Nadeln festgesteckt ist. Die herunterhängenden Fäden enden in Garnhülsen, den Klöppeln, die nach einem vorgegebenen Muster gekreuzt werden müssen. „Anfangs ist jeder etwas überfordert damit. Man weiß nicht: Sollen die Augen schauen, die Hände arbeiten oder das Hirn denken?“ sagt Gebhard und lacht. „Aber man lernt es schnell“. Anstrengend sei es nur, wenn man falsch sitzt und sich verspannt.
Einmal in den Rhythmus gekommen, erfüllt das leise Klackern der Holzklöppel den Raum wie Musik. Eine schöne, gleichmäßige Melodie, die beruhigend wirkt wie das Konzert fallender Regentropfen. Die Arbeit mit den Händen wirke ausgleichend aufs Nervenkostüm, schule die motorischen Fähigkeiten und die Konzentration, so Gebhard. „Ich habe Kinder mit ADHS-Syndrom in meinen Kursen, die können hier problemlos eine Stunde stillsitzen“, erzählt sie. Die 62-Jährige trägt Wollrock, Fellstiefel und eine Brille mit scharfen Zacken im Gestell. Seit 1991 ist sie Klöppellehrerin in Schönsee in der Oberpfalz und unterrichtet das Kunsthandwerk auch in der Schule als Wahlfach. Für ein klassisches Deckchen von 20 mal 20 Zentimetern brauchen Anfänger etwa 15 Stunden. Doch mit traditionellen Spitzendeckchen kann sie die Kinder nicht locken. In der Klasse werden Freundschaftsbänder, Verzierungen für Handytaschen und CD-Hüllen angefertigt. In den Kursen für erwachsene Einheimische und Urlauber ist eher die klassische Spitze gefragt.


Kinder mit ADHS sitzen bei Gebhard plötzlich still


Gelernt hat Gebhard ihre Fähigkeiten vor 50 Jahren an der königlichen Spitzenklöppelschule, die bis 1972 in Schönsee existierte. Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts verbreitete sich das aus Böhmen stammende Handwerk in der Oberpfalz. An der Grenze zu Tschechien waren damals viele Menschen in der Weberei tätig. Als mechanische Webstühle viele Arbeitsplätze verdrängten, fanden die Einwohner Ersatz in der Spitzenklöppelei. Monika Gebhard kann sich noch an die Arbeitsteilung in der Schule erinnern. „Wir arbeiteten mit einer ganzen Reihe von Mädchen an einer riesigen Tischdecke. Jede machte einen anderen Stich und nur diesen.“ Das wurde mit 25 Mark im Monat gut bezahlt. Trotzdem hätten sich manche Leute dafür geschämt. „Hast du das nötig?“, fragte man die Klöpplerinnen.
In den drei Oberpfälzer Klöppelschulen Stadlern, Schönsee und Tiefenbach, die alle Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet wurden, ging es nicht nur um das Erlernen der Technik, sondern auch um das Herstellen von Spitze zum Verkauf. Obendrein achteten die Lehrer auf Fleiß, Ordnung und Reinlichkeit sowie sittsames Betragen. Um nach dem zweiten Weltkrieg neuen Schwung in die Handarbeit zu bringen, beauftragte der bayerische Staat die Künstlerin Suse Bernuth mit der Leitung der Klöppelschulen und der Anfertigung neuer Muster. Statt riesiger Tischdecken, wurden Sets und Tischläufer für das Kaffeegedeck modern. Die Spitze der Künstlerin wurde so begehrt, dass sie auf Ausstellungen in Belgien, England, Kanada und Japan gezeigt wurde.
Die Klöppelschulen schlossen Anfang der 1970 er Jahre mangels Aufträgen. Doch heute ist das Kunsthandwerk als Freizeitbeschäftigung wieder im Kommen. Gebhard hat inzwischen selbst Manager in ihren Kursen sitzen. Sie klöppeln, um sich von der Arbeit zu entspannen. „Während des Unterrichts ertragen sie es sogar, mal ohne Handy zu sein“, sagt die Lehrerin lachend. Die Männer seien oft sogar interessierter als die Frauen. Schließlich müssen sie dabei eine „technische Zeichnung“ lesen – so heißt die genaue Arbeitsanweisung, ein Muster mit wilden Linien in verschiedenen Farben, ähnlich einer Strickschrift.


Klöppeln für die Medizin und die Fleischindustrie


Die Leidenschaft fürs „Kreuzen und Drehen“ kam bei Gebhard selbst erst nach der Schule. 33 Jahre arbeitete sie in einer Metzgerei. Abends zu Hause aber setzte sie sich als erstes an ihr Kissen. Erst wenn zehn Reihen geklöppelt waren, war sie für die Familie ansprechbar. Bis vor zwei Jahren klöppelte Gebhard jeden Tag zehn Stunden. Beim letzten großen Stück bewegte sie 195 Paar auf einem Flachkissen. „Am liebsten arbeite ich mit den alten Klöppeln aus Kirschbaumholz von meiner Oma, die klingen noch besser, sind kleiner und handlicher als die modernen“, sagt Gebhard. Im Grunde genommen kann jeder seine eigene Melodie komponieren, denn mittlerweile gibt es sie aus allen möglichen Holzarten, aus Glas oder Elfenbein.
Auch der Kreativität beim Garn sind keine Grenzen gesetzt, ob Kleidungsstücke aus Seide oder Schmuck aus Metall. Mancherorts wird die Klöppelei auch in Bereichen eingesetzt, in denen man sie nicht vermutet. So produzieren einige Textilfirmen für die Fleischindustrie Netze für Salamis in maschineller Klöppeltechnik. In der Medizintechnik klöppelt man Implantate aus speziellem Garn zur Unterstützung des Gewebes bei Blasenschwäche. Und in der Endoskopie werden mit geklöppelten Körbchen aus superelastischen Drähten Nierensteine aus dem Körper geholt.
Manuelle Klöppelei bedient aber nach wie vor in der Hauptsache dekorative Zwecke. Im Centrum Bavaria Bohemia in Schönsee finden auch immer wieder Ausstellungen und Wettbewerbe statt. Das letzte Wettbewerbs-Thema hieß „Farben des Orients“. Die Teilnehmer klöppelten Bilder von bunten Gewürzhügeln im Relief, Moscheen und Bauchtänzerinnen, einen Palast aus Tausenduneiner Nacht – alles in Miniatur.
Es tut sich also viel im Klöppelmilieu. Aber wird die Handarbeit jemals so trendy wie Stricken? „Klöppeln ist immer Trend“, sagt Gebhard. Vor allem bei den kleinen Schülern. Das Thema der Wettbewerbs-Ausstellung ab dem 28.November jedenfalls klingt alles andere als verstaubt und unmodern.  Es lautet schlicht: Schwarz. (Monika Hippe)

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