Schloss Neuschwanstein steht nicht mehr. Jedenfalls nicht in der mannshohen Version, in der Volker Beker es vor Jahren aus Tausenden von Plastikbausteinen errichtet hatte. "Meine Wohnung war klein,

ich brauchte Platz, da habe ich es zerlegt", erzählt der 51-jährige Hobby-Baumeister. "Das schmerzt heute noch."
Zerlegen? In den Ohren der Ulmer Klötzlebauer, deren Vorsitzender Beker ist, klingt das wie "zerstören". Dabei ist ihr ganzes Sinnen und Trachten aufs Aufbauen gerichtet. Einmal im Monat treffen sich die 14- bis 70-Jährigen in einem Ulmer Ausflugslokal zum Lego-Stammtisch. Bei Brause, Bier und schwäbischer Kost geht es immer um diese Fragen: Was bauen wir als nächstes, und wo stellen wir es auf?
Ideen sind stets willkommen. Vieles konnten die Lego-Enthusiasten allerdings schon abhaken: Von Kathedralen und Kirchtürmen bis zum Raumschiff Enterprise, von Star-Wars-Bösewicht Darth Vader bis zu Spiderman im XXL-Format. Jede Menge Weihnachtskrippen, Ritterburgen, Eisenbahnanlagen, Altstädte mit malerischen Fachwerkhäusern, Märkten und Geschäften, ganze Miniaturwelten sind unter ihren geschickten Händen schon entstanden - meist im Maßstab 1:40, wobei man sich jeweils an der Größe der Lego-Männchen orientiert.
Vereinsmitglieder sind vor allem Männer
Von Kunstfertigkeit und hoher Übereinstimmung mit dem Original zeugen Exponate der Ulmer Klötzlebauer, die sie für die Ausstellung "Bretten baut Bretten" zum 1250-jährigen Jubiläum der gleichnamigen baden-württembergischen Stadt zusammenfügten. Prunkstück der Schau (noch bis zum

18. Juni) ist das Brettener Melanchthonhaus aus Idema-Steckbausteinen, die Fans als genialer Vorläufer der weltweit erfolgreichen dänischen Lego-Steine gelten.
Die meisten der mehr als 30 Vereinsmitglieder sind erwachsene Männer, aber auch einige Frauen bringen Ideen und Klötzles mit zum Stammtisch im "Fischerheim" am Ufer der Donau. Während man fachsimpelt, bleiben die Hände nicht still. "Fingerübungen" zum Auflockern beherrschen hier alle: In Windeseile werden Modelle zusammengesetzt. Natürlich ohne die Bauanleitung eines Blickes zu würdigen. Nur wenige Minuten brauchen Beker und andere in dieser Runde für ein mittelschweres Lego-Modell im "Blindflug", also mit den Steinchen und Händen in einem schwarzen Sack, rein nach Fingerspitzengefühl.
"Mehr Spaß machen uns aber die großen Projekte, da kann man so richtig tüfteln", sagt Udo King. Der 48-jährige Verkäufer aus Hülben bei Bad Urach und Stephan Schuhmann (34), Elektriker aus Neu-Ulm, haben ihr neuestes Werk mitgebracht: Barad-dûr, die 1,80 Meter hohe Turmfestung des Dunklen Herrschers Sauron aus J.R.R. Tolkiens "Herr der Ringe". Den Plan dafür haben sie mit einem Computerprogramm erstellt. "Danach war alles ruckzuck in zwei Wochenendeinsätzen fertig."
Ein Problem gibt es: Die Legosteine sind teuer
Weit mehr Zeit hat das neueste Prestigeprojekt in Anspruch genommen: Der Nachbau des Barock-Klosters Wiblingen vor den Toren der Donaustadt. Schuhmann und der Ulmer Verwaltungsbeamte Burkhard Siemoneit (60) haben rund 800 000 Klötzles für das 350 Kilogramm schwere Modell gebraucht - in zweijähriger Bauzeit an fast jedem Wochenende. Ab dem 20. Juli wird es im Kloster ausgestellt. Das Besondere: Die 1,80 Meter hohen Türme entsprechen den Originalvorgaben der Architekten, die im wirklichen Leben nie vollständig umgesetzt wurden.
Die Beschaffung Tausender von Steinen ist für Lego-Fans der teuerste Teil ihres Hobbys. Baumeister-Clubs gibt es in vielen Orten Deutschlands und der Welt. Auf materielles Sponsoring durch Lego können aber nur wenige hoffen. Unter ihnen der Brandenburger René Hoffmeister, der als Profi-Modellbauer von Lego lizenziert wurde und mit Auftragsarbeiten Geld verdient.
"Das ist eine andere Liga", sagt Beker. Als Erwachsener hat er auf einem Flohmarkt einen Bausatz entdeckt und ist dadurch wieder zum Kindheitshobby zurückgekehrt. "Bei uns steht der Spaß im Vordergrund, von der Firma Lego sind wir unabhängig." Immerhin: Gelegentlich können die Klötzlebauer ihre Werke auch im Freizeitpark Legoland Deutschland im bayerischen Günzburg zeigen. "Ausstellungen sind stets wunderbar", sagt Udo King. "Wenn Zuschauer staunen, das ist ein tolles Gefühl, genau wie man es auch beim Bauen erlebt."
Dass Erwachsene sich ernsthaft mit Kinderspielzeug befassen, ist für Professor Manfred Spitzer (59) kein unerklärliches Phänomen: "Das hat etwas mit der Chemie des Glücks zu tun", sagt der ärztliche Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Ulm. "Wenn man als Kind etwas gern und oft gemacht hat, dann gefällt einem das auch als Erwachsener." Zu beobachten sei das auch bei Männern, die ihre alte Modelleisenbahn wieder aufbauen. Das aktualisiere eigene Wurzeln. Wenn die Kindheit glücklich verlief, erinnere man sich eben gern daran. "Dieses Gefühl geht einher mit der Freisetzung eines bestimmten Hormons im Hirn, das Bindungshormon Oxytozin. Es ist einer der besten Antagonisten für Stressgefühle", sagt der Psychiater. Kein Wunder also, wenn die Hobbybaumeister sich viel lieber ans Aufbauen als ans Zerlegen machen. (
Thomas Burmeister, dpa)
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