Leben in Bayern

Die Feldgeschworenen Jutta Massl und Hans Satzinger demonstrieren mit einem "Steinsetzgerät", einer Pendellot-Konstruktion, die Festlegung der Koordinaten eines Grenzsteins aus Granit. (Fotos: Daniel Karmann/dpa)

02.12.2016

Kulturerbe Feldgeschworene (Kopie 1)

Männerdomäne "Siebener" wird als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Die Idee für den Antrag hatte eine der wenigen Frauen, die dieses wichtige Ehrenamt ausübt

Jutta Massl wartet noch auf ihren ersten offiziellen Einsatz als Hüterin der Grenzen. Zunächst steht Lernen für die 52-Jährige auf dem Programm. Die Bürosachbearbeiterin steht auf einer Wiese im mittelfränkischen Großhabersdorf. In der einen Hand hält sie eine Schaufel, in der anderen ein merkwürdiges Metallgestell, an dem eine Schnur und ein Pendel befestigt sind. Ihr Lehrer Hans Satzinger zeigt auf eine Stelle im Gras. Massl weiß, was jetzt zu tun ist: Mit der Schaufel hebt sie ein 50 Zentimeter tiefes Loch aus, in das sie einen schweren Granitstein einsetzt und diesen dann mit der Pendel-Vorrichtung akribisch ausrichtet. "Super gemacht", ruft Satzinger seiner Schülerin zu. Bald wird die Fränkin ohne ihren Lehrer solche Grenzsteine als ehrenamtliche Feldgeschworene im Auftrag des Vermessungsamtes setzen dürfen. Sprichwörtlich hat sie allerdings bereits einen Stein ins Rollen gebracht: Auf ihre Initiative hin wurde die Tradition der Feldgeschworenen vor kurzem als immaterielles Kulturerbe in Bayern anerkannt und zur Aufnahme in das Bundesverzeichnis nominiert. Massl hat den dafür notwendigen Antrag geschrieben. Die Feldgeschworenen, die in Thüringen vor zwei Jahren abgeschafft wurden und es in anderen Bundesländern erst gar nicht gibt, genießen damit nun im Freistaat einen besonderen Schutz.  Im Jahre 1868 wurde für ganz Bayern ein Vermarkungsgesetz wirksam, das die Einführung der Feldgeschworenen für alle Gemeinden zwingend vorschrieb. Feldgeschworene werden auch heute noch von den Vermessungsbehörden zur Markierung von Grundstücks- und Straßengrenzen gerufen. In Franken ist die Tradition wesentlich älter: "Wir haben eine Feldgeschworenen-Urkunde aus dem Jahr 1426 gefunden, die nach einem Grenzstreit hier in der Region ausgefertigt wurde", berichtet Satzinger, der Vorsitzender der "Feldgeschworenenvereinigung Landkreis und Stadt Fürth" ist.

Die meisten Zusammenschlüsse gibt es in Franken

Rund 70 solcher Zusammenschlüsse gibt es im Freistaat. Die meisten davon sind in Franken angesiedelt - vor allem aber sind sie fest in Männerhand, weil das Ehrenamt bis 1981 nicht von Frauen ausgeübt werden durfte. Unter den rund 24 000 Feldgeschworenen im Freistaat finden sich so gerade einmal 50 Frauen. Dass ausgerechnet eine Frau die Kulturerbe-Anerkennung dieser Männerdomäne bewirkte, findet Satzinger eine gute Sache: "Die Nachricht spricht sich herum, es gibt jetzt in der Region schon weitere Frauen, die Feldgeschworene werden wollen. Und wir brauchen ja auch Nachwuchs." In München gab es zum Beispiel eine Zeit lang keine Feldgeschworenen, mittlerweile haben sich aber auch dort wieder Ehrenamtliche gefunden, die das Amt ausüben. Dafür ist ein einwandfreier Leumund und eine Vereidigung erforderlich. "Als ich hörte, dass die Passionsspiele in Oberammergau in die deutsche Liste des immateriellen Kulturerbes der Unesco aufgenommen wurden, dachte ich mir, dass dies eigentlich auch etwas für das jahrhundertealte Ehrenamt der Siebener wäre", berichtet Massl, wie sie auf die Idee zur Antragstellung kam. Hans Satzinger war so begeistert, dass er Massl grünes Licht für das Bewerbungsschreiben an das Kultusministerium gab und sie gleich als Nachrückerin für einen Feldgeschworenen verpflichtete, der aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr aktiv sein konnte. "Als die Nachricht kam, dass wir es geschafft haben und sogar für die Bundesliste vorgeschlagen wurden, war die Freude natürlich groß", sagt Satzinger. Am 10. November soll die Anerkennung mit einem Festakt in München gefeiert werden.

"Das Siebener-Geheimnis nimmt man mit ins Grab"

"Feldgeschworene, auch Siebener oder Steiner genannt, sind aus den alten Mark- und Feldgerichten hervorgegangen, die häufig gerade in Franken über Grenzstreitigkeiten zu entscheiden hatten", erklärt Ernst Grünbeck vom Amt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung Nürnberg (ADBV). Er hatte sich zusammen mit dem früheren Kreisheimatpfleger des Landkreises Fürth für Massls Antrag mit einem Empfehlungsschreiben eingesetzt. "Da seinerzeit zur zweifelsfreien Kennzeichnung der Grenzpunkte noch keine ausreichende Messtechnik zur Verfügung stand, vergruben Feldgeschworene unter den Grenzsteinen zur Sicherung gegen eine nachträgliche Veränderung geheime Zeichen." Mit ernster Stimme sagt Satzinger: "Dieses Siebener-Geheimnis nimmt man mit ins Grab." Ein Siebener, der das Geheminis verraten würde, wäre für die Feldgeschworenen-Gemeinschaft untragbar. Jutta Massl kann das bestätigen: "Mein Vater, der schon seit 50 Jahren Siebener ist, hat mir das Geheimnis nie verraten." Erst jetzt, im Rahmen ihrer Ausbildung zur Siebenerin, sei sie auch eingeweiht worden.  Das Siebener-Geheminis ist mittlerweile allerdings eher gelebtes Brauchtum. "Vor allem in Franken, wo es allein über 15 000 Feldgeschworene gibt, halten die Siebener daran fest", sagt Grünbeck. So vergraben auch die Feldgeschworenen im Landkreis Fürth nach wie vor neben den Grenzsteinen Tonscheiben, Glas, Porzellan oder Metall in einer ganz bestimmten Anordnung, die nur sie kennen.

Vermessungsämter haben heute Großteil der Aufgaben übernommen

In Zeiten moderner elektronischer Messgeräte und satellitengestützter Vermessungstechnik haben die Vermessungsämter mittlerweile einen Großteil der früheren Aufgaben der Feldgeschworenen übernommen - so zum Beispiel die exakte Vermessung eines Grundstücks. Das Setzen der Grenzsteine überlassen die Behörden aber nach wie vor vielerorts den Ehrenamtlichen. Nutznießer sind die Grundstücksbesitzer, wie Grünbeck betont: "Wo es keine Feldgeschworenen gibt, müssen kommunale Mitarbeiter die Löcher graben und die Steine punktgenau setzen - die verlangen aber teils einen vierfach höhren Stundensatz als die Siebener, die nur eine kleine Aufwandsentschädigung bekommen." (dpa)

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