Leben in Bayern

Die Grünen punkten vor allem in der Stadt. Das Spitzenduo Katharina Schulze und Ludwig Hartmann haben zwei der sechs grünen Direktmandate bei der Landtagswahl geholt. (Foto: dpa)

15.10.2018

Land und Stadt: Bayern ist gespalten

Das wirtschaftliche Stadt-Land-Gefälle in Bayern ist längst überwunden - doch die politische Spaltung von Land- und Stadtbevölkerung ist so ausgeprägt wie seit Jahrzehnten nicht

Die Wahlergebnisse sprechen eine klare Sprache: Politisch ist Bayern nicht ein Freistaat, sondern zwei. Zwar haben sich die Lebensverhältnisse in Stadt und Land in den vergangenen Jahrzehnten angeglichen, ehedem wirtschaftlich rückständige Regionen in Niederbayern, der Oberpfalz und Teilen Oberbayerns sind heute blühende Landschaften. Doch die seit jeher unterschiedliche politische Orientierung von Stadt- und Landvolk hat sich keineswegs angeglichen - eher im Gegenteil.

Die CSU war in den Großstädten schon immer schwächer als auf dem Land, doch ein Ergebnis von 16,1 Prozent wie im Stimmkreis München-Mitte mussten die Christsozialen noch nie verkraften. Die CSU holte in nur noch 31 der 91 Stimmkreise über 40 Prozent - von Ausnahmen wie Passau abgesehen die Mehrheit davon in ländlich geprägten Regionen. "In den Großstädten noch stärker verwurzelt zu sein, noch stärker Dienstleister für die Menschen zu sein", riet ein ratlos klingender CSU-Chef Horst Seehofer seiner Partei am Montagvormittag.

Das hat die CSU ohne Erfolg bereits versucht. 2005 erteilte Seehofers Vorvorgänger Edmund Stoiber der damaligen Justizministerin Beate Merk den Auftrag, die CSU attraktiv für Großstädter zu machen. 2009 gründete die CSU-Landtagsfraktion eine Arbeitsgruppe Großstädte, deren Wirken keine messbaren Ergebnisse hinterließ.

In München sind die Grünen stärkste Kraft

Die CSU teilt sich nun quasi die Rolle einer Landpartei mit Freien Wählern und AfD. Bei den Freien Wählern ist das Stadt-Land-Gefälle ebenso ausgeprägt: In Nürnberg-West mit 3,9 Prozent unter der Fünf-Prozent-Hürde, im niederbayerischen Kelheim 24,6 Prozent. Die Rechtspopulisten von der AfD holten vor allem im Bayerischen Wald und einigen ländlichen schwäbischen Kreisen überdurchschnittliche Ergebnisse.

Bei den Grünen hingegen ist das umgekehrte Phänomen zu beobachten. In der Landeshauptstadt München sind sie stärkste Kraft mit 30,3 Prozent, in Ostbayern liegen sie vielerorts 20 Prozentpunkte schlechter. Die SPD war auf dem Land in Bayern immer schon schwach. Und das erklärt, warum ein Einbruch in den Städten die Sozialdemokraten nun landesweit unter zehn Prozent sacken ließ.

Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann verweist darauf, dass seine Partei auf dem Lande ebenfalls viel Boden gut gemacht hat und sich inzwischen auch in ostbayerischen Regionen den zehn Prozent nähert. "Der Zugewinn in den ländlichen Räumen kommt über die ländlichen Themen", meint Hartmann, mit 44 Prozent in München-Mitte - dem städtischsten aller bayerischen Stimmkreise - grüner Stimmenkönig.

Die Gründe für die andauernde politische Kluft sind nicht unmittelbar ersichtlich. Im Königreich Bayern ging die politische Spaltung noch einher mit unterschiedlichen Lebenswelten: Die Landbevölkerung wohnte - vielerorts mit den Hühnern unter einem Dach - in ärmlichen Verhältnissen.
München und Nürnberg waren auch vor dem Ersten Weltkrieg schon moderne Großstädte, industrielle Inseln in einem Agrarstaat. Dementsprechend war das Land politisch schwarz, die Städte rot.

Mit der zunehmenden Verstädterung Bayerns schrumpft die CSU

Doch krasse Einkommensunterschiede gibt es heute nicht mehr. "Die unterschiedliche Kaufkraft hat sich sehr stark angenähert", sagt Grünen-Fraktionschef Hartmann. Und abgesehen davon leben auch in ländlichen Regionen Bayerns mittlerweile sehr viele Zugereiste, im ganzen südlichen Oberbayern ebenso wie in Dingolfing-Landau oder im Umkreis von Regensburg.

Die Wahlergebnisse legen zumindest die Vermutung nahe, dass Zugereiste auf dem Land anders wählen als Zugereiste in der Stadt. "Das Lebensgefühl ist unterschiedlich", sagt Freie-Wähler-Generalsekretär Michael Piazolo, im neuen Landtag mutmaßlich einziger städtischer Abgeordneter seiner Partei.

Piazolo sieht das bayerische Wahlsystem als einen Faktor, der das Stadt-Land-Gefälle verstärkt. Denn anders als bei Bundestagswahlen haben auch auf den Listenplätzen Kandidaten aus den jeweiligen Hochburgen der Parteien bessere Chancen. "Das Wahlsystem stärkt die Starken und schwächt die Schwachen", sagt Piazolo.

Eines ist jedoch klar: Die zunehmende Verstädterung Bayerns geht einher mit einer Schrumpfung der CSU. Seit 1974, als der damalige Ministerpräsident Alfons Goppel fast 63 Prozent holte, geht es nahezu kontinuierlich bergab. Für die Grünen dagegen ist das eine gute Nachricht: Für die Partei, die seit jeher Grenzen des Wachstums fordert, sind Urbanisierung und Wirtschaftsboom offensichtlich ein guter Nährboden.
(Carsten Hoefer, dpa)

Kommentare (1)

  1. Niederbayer am 15.10.2018
    Wer behauptet, die Lebensqualität zwischen München und dem Rest Bayerns hätte sich angeglichen, hat noch niemals in Niederbayern ein Universitätsklinikum, einen ICE-Anschluss, einen attraktiven Job, der jenseits von Fließbandarbeit und Billiglöhnerei im Fremdenverkehr angesiedelt ist, gesucht. Hier werden reihenweise Arztpraxen, Schulen, Krankenhäuser und Postämter geschlossen. Der öffentliche Nahverker ist ein Witz und die jungen Hochqualifizierten, die einst hier heranwuchsen, bleiben nach dem Studium gleich in München oder in Baden Württemberg. Sorry, aber ich habe im Bezug auf die Beurteilung der Lebensverhältnisse in der bayerischen Provinz selten eine solche Fehleinschätzung zu lesen bekommen wie hier.
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