Leben in Bayern

Benedikt Mayer springt von einem Felsen in eine 17 Meter tiefer gelegene Gumpe. (Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand)

12.09.2019

Lebensgefährliche Gaudi

Gumpenjucken heißt das immer beliebter werdende Felsenspringen im Allgäu – es gab allerdings bereits Todesfälle

Wasser stürzt mehrere Meter in die Tiefe. Auf einem Felsvorsprung neben dem Wasserfall hockt ein junger Mann in Badeshorts, die aussehen wie eine Trachten-Lederhose. Er blickt in die Tiefe, seit zehn Minuten. Soll er springen? Etwa 17 Meter trennen ihn von einem türkisgrünen Becken. "Gumpen" werden diese Becken unter Wasserfällen genannt. "Jucken" heißt im Allgäuer Dialekt "springen". Gumpenjucker Benedikt ist knapp drei Stunden gefahren, vom oberbayerischen Miesbach bis zu den Buchenegger Wasserfällen bei Oberstaufen. Und der 22-Jährige ist nicht der einzige: Die beiden Wasserfälle inmitten eines Waldes sind längst kein Geheimtipp mehr.

"Manchmal fühlt es sich hier an, wie ein voller Badestrand", sagt Kevin Whisenton. Der 24-Jährige aus Kempten kommt seit dreizehn Jahren zu den Wasserfällen. Natürlich sei Gumpenjucken gefährlich, sagt er. "Aber der Absprung und der freie Fall, wenn es kein Zurück mehr gibt - dieses Gefühl ist der Hammer!" Jahr für Jahr kämen mehr Touristen, darunter viele Klippenspringer. Geschuldet sei das vor allem Videos im Internet, die waghalsige Sprünge zeigen. Denn das Tourismusbüros Oberstaufen bewirbt das Gumpenjucken nicht. "Viel zu gefährlich", sagt eine Sprecherin. Es gab schon Todesfälle.

Benedikt und zwei Freunde lassen alles im Auto. Keine Handys, keine Trinkflaschen, keine Handtücher, keine Neoprenanzüge für das kühle Wasser der Weißach, die auch im Hochsommer nicht wärmer als 16 bis 17 Grad wird. Nur zwei Kameras für Action-Aufnahmen haben sie dabei. Vom Parkplatz führt ein unebener Serpentinenweg etwa 20 Minuten durch einen Wald - steil, schmal, schattig und mit Wurzeln übersät.

Es gab bereits Todesfälle

Von weitem ist das Rauschen der beiden Wasserfälle zu hören. Laut einer Informationstafel stürzen diese "seit Jahrtausenden mit großer Wucht über Geländestufen aus hartem Nagelfluhgestein". Ein Vater, der mit seinem Sohn von den Gumpen zurückkehrt, gibt einen Tipp: "Einfach beherzt durch die Absperrung gehen."

Fünf Absprungstellen in die Gumpen gibt es, die höchste ist knapp 30 Meter. Warnschilder gibt es keine. Meistens stünden am Morgen mehrere Leute auf den Felsen und warten bis der Erste springt, erzählt Kevin. "Das ist ein bisschen primitiv, aber dann wird geschaut: Ja er lebt noch - also muss es sicher sein." Kevin habe sich bisher nur einmal die Hüfte gestaucht. "Du muss wirklich gucken, dass du an der richtigen Stelle landest. Das Wasser wird schnell flach, da geht es um ein paar Meter."

Benedikt springt mit seinen Freunden zunächst aus etwa zehn Metern. Das wird ihm langweilig. Also kraxelt er eine steile Felswand nach oben. Von unten zeigt ihm eine Frau den Vogel. "Du bist ein Idiot!", ruft sie. "Wir müssen den Krankenwagen rufen." Das Problem: An den Buchenegger Wasserfällen gibt es kein Handynetz. Auch keine Aufsicht. Ein Krankenwagen könnte den abschüssigen Pfad ohnehin nicht passieren. Einzige Möglichkeit wäre ein Rettungshubschrauber. Vor kurzem soll sich ein Mann nach einem Sprung von der höchsten Absprungstelle von knapp 30 Metern einen Wirbel gebrochen haben, erzählt Kevin. Ein anderer Springer habe sich Rippenbrüche zugezogen.

Im Jahr 2014 rutschte eine Studentin aus Amerika, die auf Europareise war, ab. Sie fiel in einen Wasserstrudel, der durch die herabstürzenden Wassermassen entstehen kann. Sie ertrank im Sog. Zwei Jahre später fiel ein Flüchtling ins Wasser, als er über einen Bachlauf springen wollte. Der Wasserfall riss ihn herunter. Er landete in einer der Gumpen, wurde aber durch die Strömung in den zweiten, folgenden Wasserfall gezogen. Um ihn zu retten, sprang ein 31-jähriger Betreuer hinterher. Beide tauchten nicht mehr lebend auf. Das äußere Erscheinungsbild der Leichen habe drauf schließen lassen, dass sie auf einen Stein aufgeschlagen sind, so die Polizei.

Benedikt steht auf und klettert zurück. Vielleicht die mutigere Entscheidung. Doch er will nur seine Freunde bitten, das kühle Becken unter dem Wasserfall nach Steinen, Baumstämmen und Ästen abzutauchen. "Auf der Rückfahrt bereue ich sonst, nicht gesprungen zu sein", sagt er und klettert wieder nach vorn. Die Freunde beobachten seinen inneren Kampf mit den Gedanken. Besucher halten Smartphones bereit. Über eine Viertelstunde vergeht. Bis er: juckt.
(Carolin Gißibl, dpa)

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