Die Sanitätsstation des Bayerischen Roten Kreuzes auf dem Oktoberfest ist ausgestattet wie ein richtiges Krankenhaus. Und das muss sie auch sein: Denn vom Trunkenheits-
Delirium über Platzwunden bis hin zum Schlaganfall – die Notfallmediziner müssen auf alles vorbereitet sein. Bis zu 110 ehrenamtliche Helfer stehen den Menschen in Not bei. Die Staatszeitung hat den Stützpunkt besucht.
Die Gesichtsfarbe des jungen Mannes liegt irgendwo zwischen olivgrün und käseweiß, das Hemd hängt verschmutzt und schwitzfleckig aus der Hose. Schwer schnaufend hat er hat den Kopf in beide Hände gestützt und stiert mit leerem Blick auf den Fußboden. Seine Begleiterin läuft aufgeregt vor ihm auf und ab, spricht unablässig auf ihn ein – aber so recht bekommt er nichts mehr mit. Die Sanitäter und Rettungsassistenten des Bayerischen Roten Kreuzes auf dem Münchner Oktoberfest um ihn herum bleiben aber gelassen: Nichts Schlimmes passiert, der junge Mann hat nur kräftig einen über den Durst getrunken, ihm ist speiübel.
Später, nach dem Blutdruckmessen und dem EKG, gibt es für den Mann eine Infusion mit einer Kochsalzlösung – man ist auf der Wiesn-Sanitätsstation so gut ausgerüstet wie ein kleines Kreiskrankenhaus –, und nach einer guten halben Stunde schon wankt der derangierte Galan am Arm seiner Begleiterin wieder raus. Die Wiesn dürfte für beide jedoch an diesem Tag vorbei sein.
Eine andere Patientin, die kurz zuvor und bereits liegend hereingeschoben wurde, wird dagegen wohl länger bleiben müssen. Hier sollte abgeklärt werden, ob zum Biergenuss von der Dame nicht auch noch Drogen konsumiert wurden – eine Kombination, die nicht nur zum Brummschädel am nächsten Morgen, sondern womöglich zu einem Herz-Kreislauf-Versagen führen kann. Platz beziehungsweise freie Betten gibt es zu diesem Zeitpunkt noch genügend auf dem 750 Quadratmeter großen BRK-Stützpunkt, auch Personal zur Versorgung ist ausreichend vorhanden: Zeitgleich tun zwischen 80 und 110 ehrenamtliche Helfer Dienst – am Wochenende immer mehr. Dazu kommen 15 bis 20 Ärzte – und sogar Medizinstudenten wie Franziska Kraft von der Münchner LMU. „Der Einsatz hier ist bei mir und meinen Kommilitonen total beliebt, man lernt in kürzester Zeit unglaublich viel. Ich habe mich bereits vor zwei Jahren für die diesjährige Wiesn beworben.“
Medizinstudenten reißen sich um den Wiesn-Job
Das Gehirn der BRK-Station ist Florian Nürnberger, der vor seinen Monitoren und Telefonen sitzt: Er koordiniert die Einsätze, nimmt die von der Rettungsleitstelle weitergeleiteten Notrufe entgegen. Quer übers Festgelände verteilt, betreibt das BRK noch kleinere Außenstationen.
Als nächste sind da an diesem Abend kurz vor 19 Uhr noch der ältere Herr, der verzweifelt nach seiner Gattin sucht und sich dabei zittrig auf seinen Krückstock stützt, und die junge Amerikanerin im quietschbunten Discounter-Dirndl. Ihr geht es soweit gut, sie war nur hingefallen, direkt auf Nase und

Mund. Es blutet gewaltig, ist aber harmlos. Kaum versorgt, zwitschert und kichert sie schon wieder in ihr Smartphone, die Freundinnen könnten sie jetzt bitte abholen. Knapp 6500 Patienten gab es im vergangenen Jahr, 2014 waren es deutlich mehr, rund 7900. Außer den Besuchern kommen auch die Kellnerinnen und Fahrgeschäft-Mitarbeiter vorbei – schließlich stammen nur die wenigsten von ihnen aus München, schlafen die zwei Wochen vor Ort. Bei Husten, Fieber oder Schnupfen wäre der Weg zum Hausarzt doch lang. „Die reinen Alkoholprobleme machen nur fünf bis zehn Prozent der Fälle aus“, berichtet BRK-Sprecher Michael Greiner. Hauptsächlich kämen Menschen mit Schnittverletzungen herein – jedoch beileibe meist nicht spektakulär nach Bierkrugschlägereien in Festzelten. Nein, „häufig sind es junge Mädchen, die in dünnen Ballerinas über die Wiesn laufen und dann in eine der vielen Glasscherben treten.“ Aber auch sonst ist alles dabei, natürlich auch mal was Schlimmes wie ein Schlaganfall, und vor zwei Jahren, erinnert sich Michael Greiner, „da hatten wir sogar eine beginnende Geburt.“ Kurios waren auch die 15 Besucher, die sich alle beim gleichen Leberkäs-Händler eine Fleischvergiftung zugezogen hatten.
Und weiter geht’s, schon rücken die Sanitäter im Laufschritt wieder aus mit ihrer „Banane“ – so nennen sie die fahrbare Krankentrage unter der regenfesten gelben Plane. Sie soll den Patienten nicht nur vorm Wetter, sondern auch vor neugierigen Blicken schützen: „Das junge Volk, einmal angeheitert, kennt ja heutzutage kein Erbarmen mehr – und zack bist Du am nächsten Morgen im Handyfoto besoffen bei Facebook zu bewundern“, meint eine altgediente BRKlerin.
Auch Oktoberfestmitarbeiter lassen sich dort behandeln
Hoch oben am Himmel, der jetzt langsam vom satten Blau des Tages ins Violett der Dämmerung übergeht, tänzelt an einer Schnur ein großer weißer Luftballon mit rotem Kreuz im Abendwind. Man kann sagen, das dürfte – bei allem persönlichen Stress der Betroffenen – ein Abend auf dem Oktoberfest sein, mit dem Oberarzt Frithjof Wagner, der Medizinische Leiter vollauf zufrieden sein kann: Es passiert etwas, die BRKler haben zu tun – aber die Lage ist im Griff, nichts Dramatisches. Denn noch nie waberte ja über einem Münchner Oktoberfest so ein diffuses Gefühl der Angst – vor einem islamistischer Terroranschlag, womöglich gar mit Toten? Ein Blick hinüber zur nur wenige Meter entfernten Polizeistation: Auch dort herrscht eine entspannte Atmosphäre, einige Uniformierte ratschen, rauchen, trinken Kaffee.
„Ich mach das hier jetzt seit fast 30 Jahren“, sagt Oberarzt Wagner, ein großer, kräftiger Mann, der Ruhe und Humor verbindet, was auch auf seine Mannschaft abstrahlt. An den übrigen 50 Wochen im Jahr arbeitet er als Unfallchirurg an der Klinik in Murnau am Staffelsee. „Ich war als Bub an dem Tag auf der Wiesn, als es 1980 den rechtsradikalen Anschlag mit mehreren Toten gab, damals bin ich mit Hunderten anderen vor Angst weggerannt. Es gibt, wie unser Herr Innenminister sagt, eben immer schon eine latente Gefährdungslage.“ (
André Paul)
Foto (Paul): Das Gehirn der BRK-Station: Florian Nürnberger koordiniert die Einsätze.
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