Leben in Bayern

Waldemar und Edith Wolf: Der 79-jährige war katholischer Priester, lebte im Zöibat, schied jedoch nach fünf Jahren aus dem Priesteramt, um seine Frau heiraten zu können. (Foto: Lukas Görlach/dpa)

16.04.2019

"Liebe ist wichtiger als Zölibat"

Heimliche Treffen weit weg vom Wohnort, ständig Angst vor Entdeckung: Als sich Edith und Waldemar Wolf ineinander verliebten, begann ein Versteckspiel. Denn für den Priester aus dem Bistum Würzburg war diese Liebe verboten

Edith und Waldemar Wolf beugen in ihrem Wohnzimmer im hessischen Bruchköbel die Köpfe über das Fotoalbum, lächeln beim Blick auf die Hochzeitsfotos aus dem Jahr 1972. "Das da, das mag ich besonders", zeigt die 70-Jährige auf das Bild des jungen Paares. Sie im weich fließenden Hochzeitskleid, mit offenen dunklen Haaren und einem weißen Schlapphut, er mit den seinerzeit modernen langen Koteletten. "Da hatte ich noch richtig Haare", schmunzelt der 79-Jährige. Glücklich sehen die beiden aus auf ihren Hochzeitsbildern, auch wenn Edith Wolf meint, sie sei an dem Tag "total fertig gewesen". Hinter dem Paar lagen ein langer Kampf um die gemeinsame Zukunft, Anfeindungen und jahrelanges Versteckspiel. Denn Waldemar Wolf war einst katholischer Priester.

Die 18-jährige Pfadfinderführerin aus dem fränkischen Aschaffenburg fand den neuen Kaplan in ihrer Gemeinde eigentlich von Anfang an sympathisch. "Und dann merkte ich irgendwann: der mag mich auch", erinnert sich die Frau mit dem graublonden Pagenschnitt und Lachfältchen um die Augen. "Das stand nicht auf dem Plan, überhaupt nicht", betont sie. "Ich wollte doch keinen Priester heiraten - um Gottes Willen!"

Die junge Frau aus katholischer Familie kannte die Regeln: Priester sind aufgrund des Zölibats zur Ehelosigkeit verpflichtet. Liebe ausgeschlossen? Auch Waldemar Wolf hatte bei seiner Priesterweihe im Jahr 1966 noch fest daran geglaubt, mit dem Zölibat leben zu können. "Ich dachte, Priester zu sein, ist genau das Richtige für mich." Dann kam die Liebe dazwischen. Für das Paar, das offiziell keines sein durfte, begann ein Versteckspiel. Da arbeitete der junge Priester bereits in einer anderen Gemeinde, etwa 130 Kilometer entfernt.

Heimliche Treffen an einer Tankstelle

"Wir haben uns auf halber Strecke an einer Tankstelle getroffen. Es durfte uns ja keiner sehen", erzählt Waldemar Wolf und streicht über seinen schmalen Oberlippenbart. Die Angst vor Entdeckung war immer dabei. Gerade für Edith Wolf war es eine schwere Zeit, wagte sie doch selbst gegenüber ihrer Schwester oder ihren Eltern nur vage Andeutungen. "Dabei bin ich eigentlich ein sehr offener Mensch!"

Nach fünf Jahren fiel dann die Entscheidung für eine gemeinsame Zukunft. Von kirchlicher Seite wurde das Paar gedrängt, doch noch zu warten - vielleicht sei der Zölibat schon im kommenden Jahr bereits Geschichte. Dann kam ein Vorschlag, den sie als unmoralisches Angebot empfand: "Ich solle doch einfach in einen Nachbarort ziehen." Doch die junge Frau wollte keine heimliche Geliebte sein. "Wir wollten schließlich eine Familie!" Und bereits während die Beziehung der beiden in den Gemeinden zum Thema wurde, war sie diejenige, die vor allem Anfeindungen erlebte. "Ich war doch die böse Verführerin!"

Das "Skandalpaar" musste die Diözese Würzburg verlassen für seine neue Zukunft, heiratete in Frankfurt. "Wir hatten sehr viel Glück", betonen die beiden heute übereinstimmend. Ein Mitarbeiter des Bistums Limburg, der das sogenannte Laisierungsverfahren Wolfs begleitete und das Paar auch traute, half dem Priester, beruflich neu Fuß zu fassen. Rund 30 Jahre lang unterrichtete Wolf an einer berufsbildenden Schule in Frankfurt.

"Die Sexualmoral in der katholischen Kirche ist das Grundübel"

Doch es gebe keine einheitlichen Regeln, wie mit Priestern umgegangen werde, die heiraten wollen, klagen die Wolfs, die sich beide in der Vereinigung katholischer Priester und ihrer Frauen engagieren. "Es gibt welche, die arbeiten als Bäcker oder beim Bestatter", sagt Waldemar Wolf. Im Bistum Limburg, zu dem der Wohnort der Wolfs gehört, wird Priestern bei einer Amtsaufgabe eine Übergangshilfe gewährt. "Wie diese Hilfe aussieht, hängt vom Einzelfall ab", sagte Bistumssprecher Stephan Schnelle. Das Bistum kümmere sich zudem um eine Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung.

Wenn das Paar, das drei Kinder und fünf Enkel hat, über den Umgang der Kirche mit dem Zölibat und dem Wunsch nach Familie auch bei Priestern redet, dann wird klar, wie sehr das Thema sie noch heute umtreibt. "Es gibt inzwischen eine Handvoll Bischöfe, die sich dieses Themas annehmen und sich trauen, was zu sagen. Aber die haben keine Chance" sagt der ehemalige Priester. Und: "Die Sexualmoral in der katholischen Kirche, das ist für mich das Grundübel."

Edith Wolf, die sich auch in einer Organisation für Missbrauchsopfer engagiert, klagt über den Umgang mit Priestern, die sich für Heirat entscheiden: "Priester, die missbraucht haben, wurden jahrelang einfach immer wieder neu versetzt und fingen womöglich wieder damit an. Ein Priester, der ehrlich ist und sagt, dass er heiraten will, wird rausgeschmissen."

Edith Wolf hat schon über einen Kirchenaustritt nachgedacht

"Warum dürfen die Menschen nicht frei entscheiden?", fragt Waldemar Wolf kopfschüttelnd. Er wünschte sich, dass es kirchlicherseits irgendwann mal eine Entschuldigung gibt für den Umgang mit Priestern, die sich für eine Beziehung entscheiden. "Das wäre endlich mal an der Zeit. Die gehen nicht gerecht mit uns um. Es wäre ein Zeichen, Menschen zu rehabilitieren, die man in die Wüste geschickt hat, weil sie heiraten wollten."

Denn in den Jahrzehnten seit ihrer Heirat habe sich für Betroffene nicht allzu viel geändert, meint das Paar. Den Traum von einer Zukunft, in der ein Kaplan oder Pfarrer ganz offiziell den Kinderwagen mit dem eigenen Nachwuchs schieben kann, wollen sie nicht aufgeben. "Wir haben 1989 gesehen, wie ein Regime nach 40 Jahren einfach zusammenbrach", sinniert Waldemar Wolf. "Bei der katholischen Kirche dauert es eben länger."

Immerhin: Auf der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz sagte deren Vorsitzender, der Münchner Kardinal Reinhard Marx, es müsse die Frage erlaubt sein, ob verheiratete Priester in der katholischen Kirche die absolute Ausnahme bleiben müssten. Bei der Sexualmoral gebe es "einen außerordentlichen Gesprächsbedarf", befand der Münchner Kardinal.

Manchmal hat Edith Wolf angesichts ausbleibender Reformen, des Festhaltens am Zölibat und kirchlicher Sexualmoral über einen Kirchenaustritt nachgedacht. "Aber dann würde ich ja aufgeben!", meint sie kämpferisch. Mit seinen fast 80 Jahren wünscht sich Ex-Priester Wolf, doch noch die Öffnung des Zölibats erleben zu können. "Es gibt etwas Wichtigeres als den Zölibat", betont er. "Und das ist die Liebe. Was gibt es Schöneres?"
(Eva Krafczyk, dpa)

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