Morgens ist bei der Familie Baumgartner (Name geändert) alles auf Kante genäht. Vater Thomas verlässt als Selbstständiger schon früh das Haus. Mama Helena weckt nach und nach den Nachwuchs, hilft beim Anziehen, schmiert Pausenbrote und bringt das Frühstück auf den Tisch. Die Zeit ist knapp. Jeder Handgriff muss sitzen. Das kleinste Kind muss danach in den Kindergarten, das mittlere in die Grundschule und der Erstgeborene ins Gymnasium gebracht werden.
Auch Helena selbst hat pünktlich in ihrer Schule zu sein. Sie ist Lehrerin und hat sich nach der Elternzeit entschieden, wieder an ihrer Realschule zu unterrichten. Derzeit übernimmt sie acht Wochenstunden. Nun will Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) im Kampf gegen den Lehrkräftemangel Teilzeitlehrkräfte dazu motivieren, freiwillig mehr Stunden zu stemmen. Für Helena Baumgartner ist genau das nicht möglich: „Unser Alltag funktioniert nur, wenn ich an meiner Schule erst zur zweiten Stunde anfange. Ansonsten schaffen wir das morgens nicht.“
4000 Lehrkräfte werden in drei Jahren fehlen
In Bayern herrscht aber akuter Lehrkräftemangel. Die Kultusministerin sucht daher nach Lösungen und hat jetzt ein Konzept zur Bekämpfung dieses Problems vorgestellt, das jedoch keine verpflichtenden Maßnahmen für Lehrkräfte vorsieht – noch nicht. Das 54-seitige „Gesamtkonzept Unterrichts- und Personalversorgung“ ruht auf drei Hauptsäulen: Erstens sollen zusätzliche Lehrkräfte gewonnen werden, etwa durch Quereinsteiger oder Aushilfslehrkräfte. Zweitens wird das bestehende Personal in Teilzeit angesprochen, freiwillig mehr Stunden zu unterrichten. Drittens könnte es zu einer Reduzierung des Wahlpflicht- und Wahlunterrichts sowie zu größeren Klassen kommen, um den Personalbedarf zu senken. Es wird prognostiziert, dass in drei Jahren rund 4000 Lehrkräfte aller Schularten in Bayern fehlen werden.
Schon im vergangenen Jahr forderte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) von den Lehrerinnen und Lehrern mehr Vollzeit. Teilzeitanträge wurden massiv eingeschränkt und das Ergebnis war, dass die Zahl der dienstunfähigen Lehrkräfte extrem anstieg, vermeldete der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) schon im vergangenen Jahr. Um den Lehrermangel an Bayerns Grund-, Mittel- und Förderschulen zu mildern, hatte der frühere Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) schon 2020 verfügt, dass fast alle Grundschullehrerinnen und -lehrer in Bayern pauschal eine Stunde mehr pro Woche unterrichten sollen. Dafür wurde ein Arbeitszeitkonto an den 2418 bayerischen Grundschulen eingeführt. Das Kultusministerium rechnet zudem vor: Würde an den bayerischen Gymnasien jede Teilzeitkraft eine Stunde mehr unterrichten, könnten 300 zusätzliche Vollzeitstellen ersetzt werden.
Helena Baumgartner sieht die Pläne für Lehrkräfte aller Schularten kritisch. Sie erklärt: „Jeder hat sicherlich einen guten Grund, warum er Teilzeit arbeitet.“ Sie nennt als Beispiel Frauen mit kleinen Kindern oder Kollegen, die nicht die Kraft hätten, die volle Zeit zu unterrichten. „Dann sollte man so jemanden doch lieber 20 Stunden arbeiten lassen, anstatt einen Burnout zu riskieren.“
Baumgartner selbst könnte zusätzliche Stunden nicht leisten und findet das Signal auch falsch. Gerade die große Flexibilität sei es, die den Beruf so attraktiv mache. Sie glaubt, dass durch eine Änderung eher weniger junge Menschen – vor allem Frauen – mit diesen Vorzeichen ein Studium beginnen werden. Sie werde selbstverständlich wieder mehr arbeiten, wenn die Kinder größer sind, aber im Moment gehe es einfach nicht. „Und dennoch finde ich es so wichtig, dass Mütter unterrichten, denn sie haben besonders viel Empathie auch für die Probleme der Eltern mit ihren Kindern“, sagt sie. Zudem nennt sie ganz praktische Gründe, warum eine Stunde mehr für sie als Realschullehrerin nicht möglich ist: „Ich müsste eine zusätzliche Klasse übernehmen, und dazu reicht eine Schulstunde nicht.“
Genau diese Problematik sieht auch Simone Fleischmann, Präsidentin des BLLV. Sie erklärt, die Lehrkräfte hätten in den vergangenen Jahren schon begonnen, ihre Teilzeit aufzustocken. „Wenn wir über Freiwilligkeit diskutieren, dann war sie der Schlüssel zum Erfolg in den vergangenen Jahren“, erklärt sie.
„Freiwilligkeit war der Schlüssel“
Es sei schon viel passiert und es hätte ansonsten viel mehr Unterrichtsausfälle gegeben, allerdings habe das Erfolgsgeheimnis in den vergangenen Jahren vor allem darin gelegen, dass sich die Schulleitung mit der Lehrkraft zusammengesetzt und überlegt habe, wie das Aufstocken aussehen könnte.
Sie stimmt Helena Baumgartner zu: „Für die meisten Teilzeitkräfte, die zur Mehrarbeit bereit sind, ist es essenziell wichtig, dass sie an ihrer Schule und in ihrer Klasse bleiben können. Das schaffen nur Schulleiter im individuellen Gespräch.“
Fleischmann hofft, dass das Ministerium weiterhin auf Freiwilligkeit setzen wird: „Zwang bringt nicht mehr Unterrichtsstunden, Freiwilligkeit schon.“ Sie warnt ausdrücklich vor einem „Bashing von Teilzeitkräften“. Auch Fleischmann ist sich sicher, dass aufgezwungene Zusatzarbeit dazu führen würde, dass wieder weniger junge Menschen Lehramt studieren. Sie fordert Ruhe, Professionalität und Konzentriertheit, um dem Lehrermangel Herr zu werden.
Grundsätzliches Verständnis für die Pläne aus dem Kultusministerium hat Michael Schwägerl, Vorsitzender des Bayerischen Philologenverbands (bpv): „Es war klar, dass Staatsministerin Anna Stolz und das Kultusministerium mit Blick auf das neue Schuljahr auch im Bereich des Dienstrechts handeln mussten“, erklärt er. Sein Verband schätze die Ehrlichkeit in der Bestandsaufnahme, die auf jeden Schultyp angepasste Herangehensweise und die den Schulen und Lehrkräften zur Verfügung stehenden Handlungsspielräume. „Eines ist klar: Die Bewältigung dieser Mangelsituation ist ein Kraftakt für die gesamte Schulfamilie“, sagt Schwägerl. Er sehe eine grundsätzliche Bereitschaft der Teilzeitkräfte für Aufstockung, wenn das Kultusministerium den begonnenen Weg konsequent weitergehe und die Arbeitsbedingungen so anpasse, dass Teilzeitlehrkräfte sich auch imstande sehen, mehr Stunden zu unterrichten. „Diese Arbeitsbedingungen müssen genauso den Vollzeitlehrkräften zugutekommen, damit diese in Vollzeit verbleiben können“, fordert der bpv-Chef.
Bei den angesprochenen Maßnahmen gehe es um Unterstützungskräfte, weitere Maßnahmen der Entbürokratisierung und zum Beispiel ganz konkret um eine Projektbremse – vergleichbar der Paragrafenbremse der Staatsregierung. Jedes neue Projekt, jede neue Aufgabe muss durch den Wegfall mindestens eines alten Projekts begleitet werden. „Das erhält die Kapazitäten für das Kerngeschäft und kann zudem einen Beitrag zur Lehrkräftegesundheit leisten“, bekräftigt Schwägerl.
Helena Baumgartner sagt, sie müsste aufhören, wenn sie mehr arbeiten müsste: „Auch, wenn es der schönste Beruf der Welt ist. Ich brenne dafür und könnte mir keinen anderen vorstellen.“
So wie ihr geht es auch Simone Hofbauer (Name geändert). Sie ist Grundschullehrerin. „Ich habe drei Kinder im Schulalter, die Hilfe, Unterstützung oder einfach meine Anwesenheit brauchen. Außerdem muss der Haushalt gemacht, gekocht und gewaschen werden“, erklärt Hofbauer. Um dem gerecht zu werden, arbeitet sie statt 28 Stunden Pflichtstundenmaß elf plus eine Stunde – die eine Stunde wird ihrem Alterskonto gutgeschrieben.
Zwölf Stunden – mehr geht nicht
„Da ich mit meinem Mann genau überlegt habe, wie viele Stunden ich halten kann, um der Kinderbetreuung gerecht zu werden, wäre es nur schwer möglich, den Alltag nach einer Aufstockung umzuorganisieren“, sagt die Lehrerin. „Es würde bei mir sicherlich in Stress ausarten, was wiederum den Familienfrieden stören würde.“ Überhaupt sieht sie es eher als Tropfen auf dem heißen Stein, wenn Teilzeitlehrkräfte mehr arbeiten würden. Von Pflicht hält sie gar nichts: „Ich müsste dann eventuell ganz aufhören zu arbeiten, bis die Kinder größer und selbstständiger sind.“ (Melanie Bäumel-Schachtner)
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