Viele fleißige Hände werden derzeit bei der Gurkenernte in Bayern gebraucht. Die Saisonarbeiter liegen unter anderem im größten zusammenhängenden Gurkenanbaugebiet Europas in Niederbayern stundenlang auf den sogenannten Gurkenfliegern und ernten das Gemüse. Doch die Entlohnung dieser unverzichtbaren Helfer könnte die Landwirte bald teurer zu stehen kommen als bisher, wenn der höhere Mindestlohn kommt. Landwirtschaft und Bayerischer Bauernverband schlagen Alarm.
Die Entscheidung über die Höhe des Mindestlohns trifft die unabhängige Mindestlohnkommission. Am 27. Juni hat sie eine Erhöhung des Mindestlohns auf 13,90 Euro zum 1. Januar 2026 und auf 14,60 Euro zum 1. Januar 2027 einstimmig beschlossen. Das Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat begrüßt laut einer Sprecherin die Entscheidung, die nicht – wie von vielen Betrieben befürchtet – zu einer Erhöhung von 15 Euro zum 1. Januar 2026 führte.
Gibt es einen Weg für Ausnahmen?
Bundesminister Alois Rainer (CSU) unterstreicht aber, dass kleinere Betriebe in arbeitsintensiven Bereichen der Landwirtschaft – wie etwa beim Obst- und Gemüsebau – jetzt vor großen Herausforderungen stünden. Deshalb hat Rainer eine Prüfung im Haus in Auftrag gegeben, ob es einen rechtssicheren Weg für Ausnahmen für Saisonarbeitskräfte geben kann. Diese Prüfung dauere aktuell noch an.
„Ohne die wichtige Unterstützung der Saisonarbeitskräfte könnten viele Betriebe ihre Ernte nicht einbringen“, erklärt Rainer. Zudem wolle man die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirte steigern. Die Bundesregierung werde daher den Ampel-Stopp der Agrardieselrückvergütung zurücknehmen. Außerdem sei im Koalitionsvertrag vereinbart, dass die kurzfristige Beschäftigung auf 90 Tage ausgeweitet wird. „So können nicht berufsmäßig tätige Saisonarbeitskräfte länger sozialversicherungsfrei beschäftigt werden.“
Landwirte begrüßen die Überprüfung. Sie zeigen sich sehr beunruhigt. „Wenn der Mindestlohn so kommt, geht es uns an den Kragen“, sagt ein Gurkenbauer aus Niederbayern. Schon jetzt sei sein Gewinn durch die allgemein steigenden Betriebskosten weit schmaler als zuletzt, erklärt er. Er fürchtet, dass er die gestiegenen Kosten nicht in vollem Maße an seine Abnehmer weitergeben kann. Sonst würden womöglich Konservenfabriken in Deutschland ihre Gurken im Ausland, zum Beispiel in Ungarn, produzieren, sie dort auch bereits entsprechend vorbereiten lassen und sie dann erst nach Deutschland transportieren, um sie vor Ort einzulegen und abzufüllen. Jeder gönne den Saisonarbeitern ihr Einkommen bei einer fordernden Arbeit, so der Landwirt. „Aber die regionale Produktion von Lebensmitteln ist durch einen steigenden Mindestlohn in ernster Gefahr.“
„Dann geht der Schuss nach hinten los“
Das sieht auch ein Spargel- und Erdbeerbauer in Oberbayern so. Auch er ist dringend auf Saisonarbeiter angewiesen. Und auch er kann die gestiegenen Kosten nicht an die Verbraucherinnen und Verbraucher direkt weitergeben: „Ich kann nicht 20 Euro und mehr für ein Kilo Spargel verlangen und 8 Euro für 500 Gramm Erdbeeren, genau das müsste ich aber mindestens“, erklärt er. Schon jetzt kauften immer mehr Leute im Discounter die Produkte zu Preisen, mit denen er nicht mithalten könne.
Heuer hat der Landwirt die Anbauflächen reduziert, um nicht auf seiner Ware sitzenzubleiben und um gleichzeitig weniger Arbeitskräfte beschäftigen zu müssen. Eine Dauerlösung sei das allerdings nicht: „So bleibt von Haus aus weniger übrig.“
Kartoffelerzeuger sehen die Mindestlohn-Pläne ebenfalls kritisch. Ein Anbauer aus Niederbayern erklärt, er versuche künftig, durch den vermehrten Einsatz von Technik Arbeitskräfte einzusparen so gut es geht. Er findet es „kontraproduktiv“, dass der Mindestlohn auf fast 15 Euro pro Stunde steigen soll: „Die Konsequenz ist, dass man versucht, auf möglichst viele Mitarbeiter zu verzichten. Dann geht der Schuss nach hinten los.“
Auch der Bayerische Bauernverband (BBV) teilt die Sorgen der Erzeuger. „Die Branche verträgt keine weiteren Steigerungen der Produktionskosten. Die Lohnkosten machen in handarbeitsintensiven Kulturen teilweise bis zu 70 Prozent der Gesamtkosten aus“, so eine Sprecherin. Deutschland sei ein Hochlohnland und könne seit geraumer Zeit nicht mit den Ländern konkurrieren, aus denen ausländisches Obst und Gemüse herkommt. Man müsse sich hier unter anderem mit Spanien, Italien und der Türkei vergleichen.
Der Vorsitzende des Bundesausschusses Obst und Gemüse, Jens Stechmann, warnt entsprechend vor einer massiven Abwanderung der Produktion ins EU-Ausland. „Eine derart drastische Lohnsteigerung würde viele Betriebe dazu zwingen, aus dem Obst- und Gemüseanbau auszusteigen. Für saisonale Arbeitskräfte in unserem Sektor benötigen wir dringend eine Ausnahmeregelung.“
Das bayerische Landwirtschaftsministerium begrüßt auf Anfrage zwar, dass die Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) nicht dem politischen Druck aus den eigenen Reihen nachgegeben habe, den Mindestlohn auf 15 Euro anzuheben, sondern den Vorschlag der Mindestlohnkommission umsetzen will. Doch ein Ministeriumssprecher verweist auch darauf, dass die Empfehlungen der Kommission eine Lohnsteigerung von 8,4 Prozent im Jahr 2026 und nochmals von 5 Prozent im Jahr 2027 bedeuten. Der Mindestlohn steige damit weit stärker als andere Tarifabschlüsse und gebe damit ein schwieriges Signal für alle anderen Tarifverhandlungen, die jetzt bevorstehen. Gute Arbeit solle gut bezahlt werden. „Aber wenn dann die betroffenen Arbeitsplätze ins Ausland abwandern, ist das für den Arbeitsmarkt und damit gesamtwirtschaftlich für Deutschland schlecht.“
Wenn heimische Betriebe hinschmeißen, gehe das auch zulasten der Verbraucher. Heimisches Obst und Gemüse werde weniger, dafür werde mehr Ware „aus fragwürdigen Produktions- und Arbeitsbedingungen importiert werden“, so der Sprecher. Den Schaden hätten dann aber auch die Saisonarbeitskräfte, wenn sie nicht mehr den deutschen Mindestlohn erhalten, sondern sich mit den sehr viel niedrigeren Löhnen in Rumänien oder Bulgarien zufriedengeben müssen.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamts waren im Jahr 2023 rund 220 800 Arbeitskräfte in der bayerischen Landwirtschaft beschäftigt, davon rund 40 200 als Saisonarbeitskräfte. Der Anteil der Arbeitskräfte, die nach Mindestlohn beschäftigt wurden, ist nicht bekannt.
Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) unterstützt Bundeslandwirtschaftsminister Rainer in seinem Vorhaben, einen differenzierten Mindestlohn zu prüfen. Aus dem Berufsstand kam der Vorschlag, in der Landwirtschaft den Mindestlohn pauschal auf 80 Prozent festzulegen. Die Behauptung, das sei wegen des Diskriminierungsverbots nicht möglich, ist aus Sicht des Landwirtschaftsministeriums nicht stichhaltig.
Ministerium: Kein Verstoß gegen EU-Recht
Selbst dieser niedrigere Mindestlohn sei immer noch deutlich höher als zum Beispiel in Rumänien oder Bulgarien. Für eine Saisonarbeitskraft wäre es somit immer noch günstiger, in Deutschland zu arbeiten, als die gleiche Arbeit in ihrer Heimat zu erledigen.
Die Landwirte hoffen nun, dass eine Sonderregelung möglich ist. „Sonst wird das Durchhalten noch schwieriger als bisher“, befürchtet der niederbayerische Gurkenanbauer. (M. Bäumel-Schachtner)
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