Höher, schneller, weiter: Der Leistungsdruck in unserer Gesellschaft ist oft enorm. Im Beruf und im Privatleben. Die Seele bleibt auf der Strecke, Stress entsteht. Susa Winter tut etwas gegen dieses Phänomen. Und das macht die Heilpraktikerin nicht allein. Ihre Co-Therapeuten sind Esel. Denn die Tiere sind echte Teamplayer, von denen Menschen einiges lernen können.
Die Sonne strahlt vom blauen Himmel – und erwärmt die Luft. Das Münchner Ehepaar Aenne und Axel Markwardt steht auf der Koppel von Susa Winters Hof in der Gemeinde Schöllnach im Landkreis Deggendorf. Die beiden haben Putzzeug in der Hand. Sie striegeln das dunkle, dichte Fell zweier Esel: Blume und Muckl heißen sie. Sie sind Mutter und Sohn. Es staubt dabei ein wenig. Dann hebt Aenne Markwardt die kleinen Hufe des eineinhalbjährigen Eselwallachs an und kratzt sie behutsam aus. Muckl drückt sich vertrauensvoll an die Frau. Die Chemie zwischen den beiden scheint zu stimmen.
Axel Markwardt war Abteilungsleiter bei der Stadt München, er hatte 2500 Mitarbeiter unter sich. Als er in Rente ging, schenkten ihm die Kollegen eine Eselwanderung bei Susa Winter. „Weil ich immer so schnell unterwegs bin“, sagt er und lacht. „Ich soll lernen, mich langsamer zu bewegen, mehr Achtsamkeit zu zeigen.“ Denn Susa Winter ist Heilpraktikerin für Psychotherapie und Fachtherapeutin für tiergestützte Interventionen. Mit ihren Eseln kämpft sie an gegen den Stress, den die moderne Leistungsgesellschaft mit sich bringt. Mit ihren tierischen Co-Therapeuten bietet die 56-Jährige für Firmen Seminare an – zum Teambuilding und als Burn-out-Prävention. Aber auch Einzelcoachings kann man bei ihr buchen.
Alles beginnt damit, dass Winter die Kunden mit allen ihren 17 Eseln zusammenbringt. „So findet sich ganz einfach, wer zusammengehört“, sagt sie. So war es auch bei den Markwardts, die nun bei bestem Wanderwetter mit ihren vierhufigen Partnern an den Führzügeln zur Einweisungstour losziehen. Es geht einen Berg hinauf, während Winter immer wieder Tipps gibt. „Die Nase des Esels muss in die Richtung weisen, in die er gehen soll“, sagt sie zum Beispiel. Oder: „Soll er weiterlaufen, dann ganz sanft zupfeln.“ Und – das ist Winters wichtigste Anweisung: „Immer konsequent sein.“
Ein Lernziel: auf die eigene Körpersprache achten
Nach zwei Stunden Basiskurs haben die Münchner ihren Eselführerschein bestanden. Nach einer kurzen Brotzeit laufen sie alleine los, zwei Stunden Weg liegen vor ihnen. Das Ziel: ein Gasthof, in dem sie und ihre Esel übernachten. Ausmisten am Morgen muss das Paar selbst. Winter schaut ihm hinterher und sagt zufrieden: „Das klappt gut, die beiden haben ein Gespür für Tiere.“
Dieses Gespür für die Tiere müssen manche erst lernen. Doch wenn es gelingt, hat das positive Auswirkungen. Auf die eigene Seele. Aber auch auf eine ganze Gruppe von Mitarbeitern. Winters Angebot richtet sich in erster Linie an Berufstätige des Mittelstands. Es waren aber auch schon Vertreter großer Firmen da. Von Tchibo und Rewe zum Beispiel.
Los geht es immer mit dem kleinen Basiskurs am Hof, nachdem sich Teams zusammengefunden haben. „Und zwar auch solche, die nicht miteinander können, Menschen wie Esel“, erklärt Winter. Sie lässt die Teams mit ihren grauen Begleitern zum Beispiel durch Hindernisse laufen. „So sind die Teilnehmer gezwungen, Lösungen zu finden“, sagt Winter. Oder sie müssen die Esel durch einen Bachlauf führen. Ebenfalls eine probate Übung: die gesamte Eselherde auf der Koppel von A nach B treiben. „Das gelingt nur, wenn alle zusammenhalten und zusammenhelfen“, so die Therapeutin.
Ein wichtiges Lernziel für die Klienten: die eigene Kommunikation und Körpersprache zu verbessern, damit auch die Esel sie verstehen. Zudem lernen sie, Signale der Esel zu erkennen, das schult die Empathie. Denn es zeigt sich schnell: Einen Esel durch einen Parcours zu führen, nur mit Körpersprache, ist gar nicht so einfach. „Und der Teilnehmer lernt: Ein Höher, Schneller, Weiter mit dem Esel funktioniert nicht“, sagt Winter.
Ihre Seminare richten sich auch an Burn-out-Patienten oder solche, die drohen, welche zu werden. „Burn-out bedeutet, dass ein Mensch stets von den Erwartungen anderer getrieben wird, er steckt im Hamsterrad und hat kein Selbstbewusstsein“, erklärt die Therapeutin. Man renne die ganze Zeit den Ansprüchen anderer hinterher und erkenne seine eigenen Bedürfnisse dabei nicht mehr. Esel seien da die optimalen Lehrer, betont Winter. „Sie haben keinen Chef, sondern Spezialisten für bestimmte Themen. Und so übernimmt jeder mal die Führung.“
Bei Eseln übernimmt immer ein anderer die Führung
Der junge, kräftige Hengst zum Beispiel ist für die Abwehr von Raubtieren zuständig. Die alte, erfahrene Stute aber kennt die Wasserwege. „Jeder hat seine Aufgabe und niemand muss alles können – davon kann der Mensch sehr viel ableiten“, erklärt Winter. „Hat jemand ein Burn-out, kann er lernen, sein Fachgebiet zu erkennen und seine Begrenzung wahrzunehmen.“ Man erkennt: „Man muss nicht in allen Bereichen der Chef sein.“ Winter betont: „So macht’s der Esel.“
All das musste die Tierfreundin Winter aber selbst erst einmal lernen. Als sie vor zwölf Jahren den ersten Esel auf ihren Hof holte, waren Eselwanderungen und Seminare für Firmenmitarbeiter noch in weiter Ferne. Winter holte den Esel als Gesellschaft für ihre alten Pferde. Doch dann merkte sie schnell, dass Esel und Pferde völlig unterschiedlich kommunizieren. Keine gute Voraussetzung für eine Partnerschaft. Ein Esel reagiert zum Beispiel auf Gefahren ganz anders als ein Pferd. Ein Pferd läuft weg, ein Esel bleibt stehen und verfällt in Starre. Also hat sich Winter noch einen zweiten Esel geholt für Cappuccino, das erste Grautier. Noch heute ist es topfit im Einsatz.
Und es kamen immer mehr Tiere dazu. Viele Esel hat Winter freigekauft aus schlechter Haltung, bietet ihnen nun ein neues Zuhause. Im Vordergrund steht bei ihr nicht der Profit, sondern das Wohl der Tiere, sagt Winter. Und weil die Bewegung brauchen, um gesund zu bleiben, profitieren alle – Tiere und Menschen – von den besonderen Eselwanderungen. Esel sind von sich aus Teamplayer. Der Mensch kann es von ihnen lernen.
(Melanie Bäumel-Schachtner)
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