Leben in Bayern

Peter Hornung-Sohner: Seine Fahrradanhänger kann man platzsparend zusammenlegen. (Foto: privat)

28.04.2017

Mit viel Mut, Enthusiasmus und Glück

Wie junge Handwerksunternehmer in Bayern alles auf eine Karte setzen, um mit innovativen Ideen den Markt zu erobern

Leider reichen eine gute Idee, Fachkenntnisse und Fleiß oft nicht: Junge Handwerksunternehmer brauchen auch kaufmännisches Wissen und eine große Portion Glück, sagt Hartmut Drexel, der seit 19 Jahren Handwerker berät, die sich selbstständig machen wollen. Selbst wenn all das zusammenkommt: Mit Innovationen im Markt Aufmerksamkeit zu generieren, ist hart. Drei Beispiele, dass sich Durchhalten trotzdem lohnen kann. Manchmal sieht man jemanden vorbeiradeln, den pinken ungewöhnlichen Anhänger voller Einkäufe. Oder man sitzt auf einem Holzstuhl und ist erstaunt, wie gut er dem Rücken tut. Gerade in den Nischen gibt es viele erstaunliche Produkte. Dahinter stecken oft junge Unternehmer mit Mut zu vollem Risiko. Sie wagen es, mit einer Idee um die höchste Währung zu kämpfen, die man in der freien Marktwirtschaft erhalten kann: Aufmerksamkeit.

So ein Mensch ist zum Beispiel Klaus Mildenberger. Mit seiner Firma „Velospring“ fertigt er Fahrradgriffe aus Nussbaumholz. Die Münchner Firma hat er vor drei Jahren gegründet. Mildenberger ist Schreiner und Designer – und auch Musiker. Das sieht man den Griffen an. Sie haben die geschwungene Schönheit von Instrumenten. Das Holz kommt aus der Region, es ist poliert und geölt und darum wetterfest. Ihre eigentliche Besonderheit verbirgt sich aber im Lenkerrohr: Dort hat Klaus Mildenberger eine patentierte Federung integriert. So geben sie ein wenig nach. Dafür wurde er sogar vom Verbund Service und Fahrrad (VSF) ausgezeichnet.

Alles begann mit einem fahrradverliebten Kunden, der um hölzerne Griffe bat. Mildenberger – zunächst skeptisch –  entwarf einen Prototyp. Und war vom Ergebnis so überzeugt, dass er seine komplette Altersvorsorge in den Aufbau der Firma steckte. Inzwischen werden die Griffe von vielen Fahrradhändlern verkauft. „In einem satten Markt Aufmerksamkeit zu gewinnen, ist sehr schwierig“, sagt Mildenberger. Eigentlich bräuchte er einen Experten fürs Büro und einen fürs Marketing. Viel Geld müsste in Werbung fließen. Leisten kann er sich das aber nicht. Also macht er alles selbst. Und arbeitet gleichzeitig laufend daran, seine Griffe zu verbessern.

„Viele junge Betriebe leiden unter Mittelknappheit“, bestätigt Hartmut Drexel von der Handwerkskammer für München und Oberbayern. Seit 19 Jahren berät er Handwerker, die sich selbstständig machen wollen. Denn natürlich reiche es nicht aus, Fachkenntnisse und eine gute Idee zu haben. Wer auf dem Markt erfolgreich sein will, braucht auch kaufmännisches Wissen, Tüchtigkeit und Glück. Aber selbst, wenn all das zusammenkommt, geht es nicht immer bergauf. Es gibt Talsohlen. Durststrecken. Die Konkurrenz ist hart. Die Bürokratie mühsam. Der Firmenchef, der alles selbst machen muss, ist schnell überfordert. „Man kommt nicht zum Eigentlichen“, erklärt Drexel. „Und das Verhältnis von produktiven und unproduktiven Stunden gerät in eine Schieflage.“

Investoren interessieren sich nur für E-Commerce

Wie viel Kraft es kostet, seiner eigenen Idee zu folgen, weiß auch Peter Hornung-Sohner. Seine Firma „Hinterher“ entwickelt und vertreibt Fahrradanhänger. Individuelle Lösungen, praktisch, hochwertig und überraschend hübsch. Große und kleine Anhänger in den verschiedensten Farben sind im Angebot, schwerere und leichte. Man kann sie auch zu Fuß hinter sich her ziehen. Und damit sogar Lebensmittel zur Almhütte hinauf schaffen. Hornung-Sohner hat den Anhänger entwickelt, weil er selbst einen brauchte. Als Schreiner, für sein Werkzeug, auf dem Weg zu seinen Kunden. Jetzt verkauft er ihn an Leute, die im Alltag lieber radeln als Auto fahren, so wie er.

Auf dem Tisch im ersten Stock seiner isarnahen Lagerhalle liegt viel Papier. Gerade bearbeitet Hornung-Sohner die Bestellungen – er wirkt ein bisschen müde, die Arbeitstage sind lang, seit er vor drei Jahren seine Schreinerei aufgab. Zehn Stunden Arbeit an sechs Tagen die Woche – das ist für ihn Normalität. „Am Anfang montierst du selbst, putzt, packst, tippst Adressen“, sagt er. Auf Facebook pflegt er seine Kunden-Community. Auch um die professionelle Webseite kümmert sich Hornung-Sohner – auch die Bild- und Filmideen kommen von ihm. „Solche Aufträge fremd zu vergeben: Das kann sich am Anfang kein Unternehmer leisten“, sagt er. Öffentlichkeitsarbeit ist dennoch unverzichtbar. Darum versucht Hornung-Sohner, die Fachpresse zu gewinnen, Händler zu erreichen, Blogger zu überzeugen. Der Neuanfang hat sich gelohnt. Ein Innovationsgutschein des Freistaats unterstützt ihn dabei. Seit dem ersten vollen Geschäftsjahr macht die Firma Gewinn. Und auch seine Firma hat Preise bekommen, darunter den European Business Award und den Münchner Umweltpreis.

Entspannt zurücklehnen kann sich der Firmenchef trotzdem nicht. „Ich muss aufpassen, mich nicht aufzureiben, arbeitskräftemäßig“, sagt Hornung-Sohner. Harte Anfangsjahre seien das. Aber er glaubt auch: „Einen Status quo wird es nie geben.“ Laufend muss das Produkt weiterentwickelt, die Modellpalette verfeinert werden. Die hohen Mieten in München erschweren Leuten wie ihm dazu die Arbeit sehr.

Hornung-Sohner hat sein Projekt aus eigener Kraft gestemmt, ohne Unterstützung von Investoren. Denn die sind an Start-ups im Bereich E-Commerce interessiert und an neuen Apps, „die durch die Decke gehen und sich aufblasen lassen“, so Hornung-Sohner. Nicht aber an Unternehmen, die handwerkliche Produkte anbieten und viel Geld in Maschinen und Produktion stecken müssen. „Firmen wie meine werden höchstens nach zehn Jahren aufgekauft, wenn sie erfolgreich sind. Vorher investiert keiner.“ Der dreifache Vater vergleicht die Firmengründung mit dem Kinderkriegen: „Man weiß vorher nicht genau, was auf einen zukommt. Und das ist gut so.“

Ein Patentrezept, wie aus einer faszinierenden Idee ein erfolgreiches Geschäft wird, das die ersten harten Jahre überdauert, kann auch der Berater Drexel nicht liefern. „Man muss unwahrscheinlich kreativ sein“, erklärt er, „sich als Person verkaufen können und herausarbeiten: Was ist an meinem Produkt besonders?“ Selbst nach vielen erfolgreichen Jahren kann noch mal alles auf dem Spiel stehen. „Finanziell wird es zum Beispiel eng, wenn die Tilgung des Kredits anfängt. Oder eine Steuernachzahlung kommt. Und die entsprechende Vorauszahlung“, sagt Drexel.

Gabriele Wander hat das schmerzlich erfahren müssen. Seit 17 Jahren ist sie Chefin der Firma „MiShu“ in Grafing. Sie hat einen asiatisch anmutenden Stuhl erfunden, der den Rücken schont. 15 Leute arbeiten daran, das kleine Kunstwerk deutschlandweit zu vertreiben. Fünf Millionen Umsatz machte die Firma über die Jahre, bis, wie Gabriele Wander sagt, ein folgenschwerer Fehler geschah. Ihr Buchhalter geriet in Verzug mit den Jahresabschlüssen. Die Steuerschulden addierten sich. 31 000 Euro waren auf einmal zu bezahlen. Einen Tag vor Heiligabend stand Wander vor dem Aus. In ihrer Not ergriff sie eine ungewöhnliche Maßnahme. Sie schrieb einen offenen Brief an das Finanzamt – und an ihre Kunden.  Eine Antwort vom Finanzamt bekam sie nicht. Aber die über 500 Briefe und E-Mails, die ihre Kunden schickten, rührten sie sehr. So viel Wohlwollen, so viel Unterstützung. Vor wenigen Wochen konnte sie eine weitere Rundmail verschicken. „Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass die Rettung von MiShu gelungen ist.“ Denn einige Kunden hatten ihr günstige Darlehen angeboten, mit deren Hilfe sie die Schulden begleichen konnte. „Überlebensdarlehen“ nennt das Wander. „Ich bin dankbar und froh“, schreibt sie, „denn ich durfte in dieser Krise erfahren, wie tragfähig die Beziehungen zu unseren Kunden sind. Das bestärkt mich und meine Mitarbeiterinnen in unserer Arbeit – offensichtlich sind wir auf dem richtigen Weg.“
(Monika Goetsch)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Ist die geplante Hausarztpflicht sinnvoll?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
X
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.