Andreas Grünwald steht auf einem matschigen Feldweg und lächelt. Hinter sich die dunkle Erde seines Ackers, in der Ferne sticht die Nadel des Olympiaturms in den grauen Himmel. Nasskalter Wind und die nahe Autobahn 99 rauschen – ein ländliches Idyll sieht anders aus. Aber um Romantik und Gefühligkeit geht es hier nicht. Es geht um Landwirtschaft, es geht ums Geschäft, es geht um die Zukunft. Grünwald und seine Mitstreiter haben da eine Idee. Die ist so charmant, wie sie zukunftsträchtig sein kann. Hier, auf dem 3,5 Hektar großen Acker, soll im Sommer Quinoa wachsen: das Gold der Inkas.
Das glutenfreie Superfood ganz nach Hipster-Geschmack – warum soll man es aus Südamerika holen, wenn es doch auch in der Münchner Schotterebene gedeihen kann?
Grünwald, Florian Obersojer und Martin Zech junior sind ganz sicher keine Träumer. Gelernte Landwirte „im Vollerwerb“, wie Grünwald betont, sie haben eine Genossenschaft gegründet. Man kennt sich, ist befreundet, und setzte sich irgendwann im Herbst 2018 an einen Tisch: „Wir haben uns informiert und waren uns dann schnell einig“, sagt Grünwald in einem satten Bairisch, das man in München sonst kaum noch hört. In der fünften Generation bewirtschaftet der 28-Jährige den Hof in Feldmoching. „Und auch der Vater war schnell überzeugt“, sagt der Junior: als er hörte, was dieses Quinoa kann, und was sie braucht.
Von minus acht bis plus 38 Grad gedeiht das Inka-Gold
Bekannt in Europa wurde das mineralreiche „Pseudogetreide“ Anfang der Neunzigerjahre durch die Nasa. Die Weltraumbehörde suchte ein nährstoffreiches, anspruchsloses Nahrungsmittel, das man auf Langstreckenmissionen ins All oder auf Raumstationen leicht anbauen könnte. Fündig wurden die Forscher in Südamerika, wo das unscheinbare Kraut seit 5000 Jahren bekannt ist, und wo es in den Jahrhunderten seit dem Einfall der Spanier eine wechselhafte Geschichte hat. Die Andenvölker bauten Quinoa zunächst rund um den Titicaca-See an. Von dort verbreitete sie sich fast auf dem ganzen Gebiet des heutigen Peru, Ecuador und Bolivien, sie wurde zum Grundnahrungsmittel. Quinoa hat einige unschätzbare Vorteile: Eine bittere Schale hält Schädlinge ab, zum Beispiel. Sie soll gegen Halsweh helfen. Wichtiger aber: Das Kraut mit seinen zahlreichen „Nüsschen“ an den Stängeln wächst auch in großer Höhe, über 4000 Meter, wo andere Kulturpflanzen wie Mais oder Weizen keine Chance mehr haben. Ein „Superfood“ also damals schon, überlebenswichtig für die Völker der Anden. Das fiel auch den spanischen Invasoren auf, die den Widerstand der indigenen Völker brechen wollten. Cortes, Pizarro und die Kriegsherren aus der Alten Welt verboten den Anbau bei Todesstrafe, nannten das Nahrungsmittel unchristlich. Der Kampf gegen die Quinoa war perfider Teil des Völkermords.
Ganz ausrotten konnten sie die Konquistadoren nicht, über die Jahrhunderte führte sie ein Schattendasein. Aber die Nachfolger der Inkas hielten die Pflanze und damit eine Lebensgrundlage am Leben. Die nächste Bedrohung kam viel später, nicht von goldgierigen Eroberern, sondern von gesundheitsbewussten Wohlstandsbürgern im hochentwickelten Norden.
Reich an Mineralien, Eisen und ungesättigten Fettsäuren, so soll Nahrung heute sein. Die Erkenntnisse der Nasa sorgten für einen Nachfrageschub für Quinoa in den USA und Europa. Nach den Gesetzen der Märkte folgt ein deutlicher Preisanstieg. Ein paar Bauern profitierten, die Menschen in den Anden konnten sich die eiweiß-, kohlenhydrat- und ballaststoffreiche Quinoa aber kaum noch leisten, mussten auf industriell gefertigte billigere Nahrungsmittel ausweichen.
Hier will Andreas Grünwald gleich mal einhaken. „Wir bekommen unser Saatgut von einem europäischen Sortenzüchter.“ Den Menschen in Südamerika wird nichts weggenommen. Und das neue Saatgut hat noch einen Vorteil: „Normalerweise muss Quinoa geschält werden. Unseres nicht.“ Die Bitterstoffe, sogenannte Saponine, fallen in der bayerischen Variante weg. Um die Quinoa aus Feldmoching zu genießen – im Müsli, als Salat oder als Reisersatz – braucht es einen Arbeitsschritt weniger.
Aber muss dafür nicht mit Unkrautvernichter gespritzt werden, halten doch die Bitterstoffe auch Schädlinge fern? „Bei uns wird gehackt, nicht gespritzt“, sagt Grünwald. Das Unkrauthacken erledigen zwar auch Maschinen, aber Pestizide kommen nicht zum Einsatz, sagt er: „A bisserl an Mineraldünger“, das ja, aber das wird langfristig auch nicht mehr gehen. „Wir sind in Umstellung“, sagt der Bauer, „drei Jahre noch, dann sind wir bio.“ Erst nach der Umstellungsphase von drei Jahren darf das Superfood vom Grünwald-Hof als Bio-Ware vermarktet werden.
Vermarktet wird die Quinoa über eine Genossenschaft
Man braucht einen langen Atem als Landwirt, auch wenn es pro Jahr und Hektar 350 Euro Subventionen vom Staat gibt für den Kurs Richtung Bio-Landwirt.
Die Aussaat beginnt heuer im Mai, die Ernte ist für September geplant. Aber ob es was wird mit dem Jahrgang 2020, ist keineswegs ausgemacht. Es ist ohnehin schon der zweite Anlauf. Im Frühjahr 2019 startete das Projekt. Alles lief nach Plan, dann kam der Pfingstmontag. „Da hat es uns fast alles verhagelt“, sagt Genossenschaftsgründer Martin Zech. „70 Prozent der Ernte waren kaputt, 30 Prozent davon hat es verwachsen.“ Heißt: Nur knapp ein Drittel konnten gerettet werden. Aber was übrig blieb, das ging weg wie warme Semmeln. Bislang vermarktet die Genossenschaft ihr Produkt über 15 Hofläden. „Wir könnten es auch an die größeren Anbieter losschlagen“, sagt Grünwald: „Aber wir wollen es nicht verramschen. Dafür steckt zu viel Leidenschaft drin.“ Die Inka-Gold-Bauern aus dem flachen Münchner Norden können sich die Abnehmer aussuchen: „Gerade haben wir mit einem Unverpackt-Laden einen Vertrag gemacht“, sagt Zech: „Das ist gut fürs Image. Und beim Käfer gibt’s uns auch.“ Vom Marketing muss man was verstehen heutzutage, auch als Landwirt. Oder wie Andreas Grünwald sagt: „Man muss sich immer was einfallen lassen.“
Die Münchner Böden sind gut für die Quinoa. 30 Zentimeter Humus, direkt darunter nur noch der Kies der Schotterebene. Da wird das Wasser nicht lange gespeichert. Mit dem „Trockenstress“ kommt das Wundernahrungsmittel gut zurecht. Und: „Wir haben zwar nicht die Höhe, aber die Temperaturen wie in den Anden“, erklärt der Landwirt. Von minus acht bis plus 38 Grad gedeiht das Inka-Gold.
Mit bis zu zwei Tonnen Ertrag pro Hektar rechnen die Agro-Pioniere, wenn alles gut läuft 2020, und wenn es nicht wieder zur Unzeit so heftig hagelt. Andreas Grünwald ist da ganz optimistisch. Man glaubt ihm das aufs Wort, wenn er hier in Matsch und Sturm so vor sich hin lächelt. (Matthias Maus)
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