Leben in Bayern

Abraham an der Kaffeemaschine im Brenner. Er hat bei der Tour festgestellt, dass er lieber im Büro arbeiten möchte als in der Gastronomie. (Foto: BSZ)

31.10.2019

Multikulturelle Jobbörse

Fünf Tage, fünf Unternehmen: Geflüchtete und Gymnasiasten aus München lernen gemeinsam Berufe kennen

Gymnasiasten und Geflüchtete erkunden in Tandems gemeinsam den Münchner Arbeitsmarkt. Das Ziel: Kontakte sollen nicht nur zu potenziellen Arbeitgebern entstehen, sondern auch zwischen den Schülern. Die Hop-on-Hop-off-Tour mit dem Praktikumsbus veranstaltet „Sprungbrett into work“, eine Praktikumsbörse für junge Geflüchtete in Bayern. Eine der Stationen: das Restaurant Brenner in der Maximilianstraße.

Es ist noch sehr ruhig im Brenner, als die vier Schüler morgens, kurz nach halb neun, vor dem Münchner Lokal aus ihrem Bus steigen. Leise Musik, wenige Gäste, an den Tischen Kaffee, Zeitungen und Hörnchen. Iva Winderl – violettes A-Linienkleid, goldene Turnschuhe, mittellanges Haar – empfängt die jungen Gäste mit viel fröhlicher Verbindlichkeit. Jedem Einzelnen schüttelt sie schon in der Tür die Hand. Man müsse einander in die Augen sehen und Freude zeigen, wird die gebürtige Tschechin später sagen, eine der unumstößlichen Brenner-Regeln für den Kontakt zwischen Gast und Servicepersonal.

Was es bedeutet, in der Gastronomie zu arbeiten, wissen Schüler der zehnten Klassen nur selten. Auch, was sie einmal werden wollen, ist meistens unklar. Menschen, die aus ihrer Heimat geflohen sind, geht das ähnlich. Sie kennen sich nicht aus mit Berufen und Bewerbungen. Vorbilder fehlen. Sprachbarrieren erschweren es, sich zu informieren.

Gymnasiasten und Geflüchtete in Tandems zusammenzuspannen und gemeinsam den Arbeitsmarkt erkunden zu lassen: Das ist die Idee von „Sprungbrett into work – hop-on hop off“. Praktikumstage für Geflüchtete bietet die Berufsplattform „Sprungbrett“ zwar schon seit einigen Jahren an. Aber als Tandem – das ist neu.

Augenkontakt ist wichtig – im Brenner und im Leben

Eine Woche lang ließen sich die Schüler des Werner-von-Siemens-Gymnasiums sowie der Städtischen Berufsschule zur Berufsintegration im Bus zu so unterschiedlichen Arbeitgebern wie MAN Truck&Bus, das Hotel Leonardo, Dachser oder der Münchenstift GmbH chauffieren, um vor Ort zu erfahren, welche Jobmöglichkeiten sie bieten. Die Hoffnung, die sich mit dem Pilotprojekt verbindet: Die Besuche helfen bei der Berufsorientierung, Kontakte entstehen. Zwischen den Schülern. Und zu möglichen Arbeitgebern.

An diesem Tag also: das Brenner. Tausend Quadratmeter Terrazzoboden. Weiße Kugellampen. Ein offener Grill, eine offene Küche. Die Säulen lassen den ehemaligen Pferdestall im Münchner Zentrum, hinter der Oper, erahnen. Hier trifft man sich mit Geschäftsleuten zum Frühstück oder Mittagessen, kommt mit seinem Baby auf eine Tasse Kaffee. Isst Pasta oder Steak mit der Familie. Trinkt ein Glas nach dem Opernbesuch. Drumherum: italienisches Flair. Und viel Betriebsamkeit.

Iva Winderl sagt: Das Brenner gehört zu den zehn umsatzstärksten Restaurants in Deutschland. Täglich kommen bis zu 2000 Gäste. 120 Kilogramm Brot werden gebacken. Das verlangt straffe Organisation. Damit alles wie am Schnürchen klappt, schreibt Winderl sogenannte Drehbücher für den Tag. Anweisungen, die verbindlich eingehalten werden müssen. Denn die Fluktuation ist hoch in einem Laden wie diesem. Und jeder muss wissen, was wie zu tun ist.

Winderl bringt frisch gepressten Orangensaft und ein paar Gläser an den Tisch. „Ich trainiere die Leute im Servicebereich“, erklärt sie den Schülern. Als Quality & Training Manager ist sie zuständig nicht nur für das Brenner, sondern gleich für ein ganzes Imperium von insgesamt neun Betrieben. Hotels, Cafés, Restaurants.

Lang gefackelt wird nicht: Die Schüler bekommen weiße Blusen, schwarze Schürzen und olivfarbene Krawatten. Ganz klar: Hier werden sie nicht einfach zusehen, sondern mitmachen und tun, was zu tun ist, wenn sie unter Winderls Obhut stehen.

Eindecken zum Beispiel. Zunächst eine kleine Einweisung: Mit einem geschickten Kniff und kurzen Schwung wird das weiße Tuch auf dem Tisch platziert. Dann kommt Papier drauf, ordentlich Kante auf Kante gelegt. Schließlich Teller, Gabel, Messer, Löffel. Die Eselsbrücke: Löffel endet auf L, liegt also links, Messer auf R, demnach rechts vom Teller. Letzteres hat zur Gabel zu schauen. Der Salzstreuer zur Tür.

„Sehr interessant“ findet das Nasima. Die Afghanin ist 26. Während sie ihren Hauptschulabschluss macht, ist ihr Kind in der Krippe. Was sie später werden will, ist noch unklar. Ein Praktikum bei einem Zahnarzt hat ihr gut gefallen. Das nächste würde sie gern in einer Kinderarztpraxis machen. Aber sie deckt auch gern und mit Sorgfalt die Tische.

Iva Winderl beobachtet sie: „Du kommst aus einem guten Elternhaus, das sieht man.“ Sie schärft den Schülern ein, wie wichtig es ist, selbstbewusst aufzutreten, gerade Haltung, freundliche, kräftige Stimme, Augenkontakt – im Service wie im Leben.

Auf zu Tim, dem Souschef, der auf dem Gasherd Eier fürs Frühstück zubereitet. Rühreier, pochierte Eier, Omelett. Jeder kommt mal dran, klappt mittig ein Omelett zusammen, lässt ein aufgeschlagenes Ei in siedendes Wasser rutschen, streut Parmesan auf ein Rührei. Zwischendurch arbeitet Tim die Bestellungen ab, die reinkommen. Noch ist Frühstückszeit, aber um 12 Uhr mittags wird der Grill angeworfen. Spätestens dann ziehen Tempo und Lautstärke an. Und so bleibt das über den Tag. Wer hier arbeitet, muss ganz schön was aushalten. Und zugleich freundlich bleiben und entspannt: „Wenn der Gast die Tür aufmacht, soll er den Alltag hinter sich lassen“, sagt Iva Winderl.

Jana, 15, weiß schon: In der Gastronomie wird sie später nicht arbeiten. „Vielleicht mal als Nebenjob oder in den Ferien“, sagt die Gymnasiastin, die sich für Psychologie interessiert. Vor dem Kennenlerntreffen eine Woche zuvor hatte sie gefürchtet, die Geflüchteten könnten Schüler vom Gymnasium für eingebildet halten. „Aber das Gefühl geben sie einem nicht.“ Überhaupt: „Das heißt ja nicht, dass man besser ist. Es ist nur eine andere Schule.“

Jenny, ebenfalls Gymnasiastin, sagt, sie finde es sehr gut, sich mit Menschen aus anderen Ländern auszutauschen. Das Schicksal der Geflüchteten, die sie kennengelernt hat, habe sie berührt. „Die meisten sind ohne Eltern da und allein.“

Abraham zum Beispiel. Er ist 21 Jahre alt, kommt aus Eritrea und lebt in einer WG. Wohl fühlt er sich dort nicht. Zwar hat er ein eigenes Zimmer, aber man teilt sich die Küche. Lauter Leute aus verschiedenen Ländern – das geht oft nicht gut.

Strenger Dresscode: Was ist mit Nasimas Kopftuch?

Gegen Mittag steht er mit Jana hinterm Tresen, beim Geschirr. An die Tische darf er allerdings nicht: Er hat vergessen, eine schwarze Hose anzuziehen. Jeans darf das Servicepersonal aber nicht tragen. Auch keine auffälligen Turnschuhe. Iva Winderl hat ihm das erklärt. Schließlich sollen die Schüler nicht aussehen wie Praktikanten, sondern Teil des Teams sein. Fraglich, ob Nasima ihr Kopftuch behalten dürfte, wenn sie hier anfinge. Zwar ist das Brenner „multikulti“, wie Winderl sagt, aber der Dresscode, hier „Groomingstandard“ genannt, ist streng.

Jana räumt die Spülmaschine ein, in Bluse und Schürze sieht sie aus, als gehöre sie hierher. Aber wohin mit den Flüssigkeitsresten in den Gläsern? Jana weiß es nicht. Sie belädt das Drahtgestell der Spülmaschine und arbeitet um das Problem rum. Abraham schnappt sich zwei Gläser mit Saftresten und fragt nach. Der Kellner zeigt ihm die Öffnung im Tresen, in die man alles kippt, flüssig wie fest. Problem gelöst.

Die Leute, sagt Abraham in der Abschiedsrunde nach dem Personalmittagessen, seien „nett, höflich und offen“. In die Gastronomie will er trotzdem nicht. Spannender fand er den Besuch beim Logistikunternehmen Dachser am Vortag. Im Büro arbeiten: Das könnte ihm gefallen.

Noch drei weitere Praxistage stehen an. Ende November wird an Abrahams Schule eine Jobbörse stattfinden. Spätestens dann sollen sich die Schüler für ein zweiwöchiges Praktikum im Januar bewerben. Gern im Brenner, findet Iva Winderl, denn für ein wirkliches Kennenlernen reiche ein Tag nicht aus. Im Sommer sollten Abraham und Nasima eine Ausbildung beginnen, die zu ihnen passt.
Jana und Jenny, die beiden Gymnasiastinnen, haben dagegen noch jede Menge Zeit für eine Entscheidung. Das Abitur ist noch weit. Aber sie wissen schon: Spülmaschineeinräumen ist nicht so ihr Ding. (Monika Goetsch)  

Foto (BSZ): Nasima (rechts) erkundet die Kuchentheke.

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