Das geht ja schon gut los! Der Wahlkampfbus von Christian Ude ist gerade erst vorgefahren vor der Münchner SPD-Zentrale am Oberanger, und schon kassiert der Herausforderer von Horst Seehofer (CSU) einen Strafzettel. Der Bus steht im Halteverbot! Ein städtischer Bediensteter ist zur Stelle und schreitet ohne Ansehen der Person ein. Gerade so, als käme er frisch von einem Lehrgang, auf dem man ihm eingebleut hatte: Und wenn der Falschparker der Oberbürgermeister persönlich ist: Halteverbot ist Halteverbot!
Da steht also Christian Ude mit den vier roten Buchstaben in der Hand in der Gluthitze dieses ersten Augusttages vor seinem eigenen Wahlkampfbus, auf dem überlebensgroß er selbst abgebildet ist, wie er eben diese vier roten Buchstaben in der Hand hält: W-O-R-T. Das leibhaftige Original steht davor – es gibt ihn wirklich, den „Ministerpräsidenten, der Wort hält“, wie der eigenwillige Slogan von Udes Kampagne heißt. Währenddessen kann der eifrige Aufschreiber ungestört seines Amtes walten. Genauso wie ein Trupp blauuniformierter JU-Mitglieder, die etwas abseits stehen und von denen jeder einen blauen Buchstaben hochhält: W-A-H-L-F-R-E-I-H-E-I-T ist zu entziffern. Wie ist das zu verstehen? Sollte die bayerische Bevölkerung am 15. September tatsächlich die Freiheit haben, nicht CSU zu wählen? Am Ende gar SPD?
Was die Botschaft der Jungen Union tatsächlich meint, ist nicht zu erfahren. Aber das alles kümmert Ude herzlich wenig. Entspannt sitzt der 65-Jährige vorn rechts im Bus, schwärmt von den „unbeschwertesten Reisen, die ich je erlebt hab“, und diktiert seelenruhig Facebook- und Twitter-Nachrichten: „Schwabach war traumhaft schön!“ Der gecharterte Clubbus mit den 360 PS ist mittlerweile auf der Autobahn München - Deggendorf angelangt. Der Strafzettel? Da kann Ude nur lachen: „Ich bin eben ein Oberbürgermeister, der sich selbst im Urlaub noch persönlich um die Stadtfinanzen kümmert!“
Ude hat für die heiße Phase des Wahlkampfs unbezahlten Urlaub genommen, und heute lautet das Urlaubsprogramm: Rottal, Inntal, Ochsentour durch Nieder- und Oberbayern, Diskussion mit Bauern, Bierzeltrede. Genau das, was die Feindpropaganda einem bayerischen Spitzensozi nicht zutraut. Denn so ein Toskana-Fraktions-Mitglied hat außerhalb der Münchner Stadtmauern doch sowieso keine Chance, da kommt er ja schon rein geographisch durcheinander und verwechselt Vorder- und Hinterfranken und Über- und Unterbayern. Aber zu dem Thema hat Seehofer Ude eine Steilvorlage geliefert: Bei einem Wahlkampfauftritt hat der Amtsinhaber die Donau von Deggendorf nach Ingolstadt fließen lassen – ein Patzer, den Ude nun genüsslich ausschlachtet: „Der Ministerpräsident lässt die Donau bergauf fließen – die CSU muss sich eine neue Pointe einfallen lassen, wenn sie mir am Zeug flicken will!“ Ude hatte mal Ober- und Unterfranken durcheinandergebracht und wird von der CSU seitdem als der Münchner Lokalpolitiker gehänselt, der vom restlichen Bayern nichts versteht. Udes Frau, Edith von Welser-Ude, die bei dieser Wahlkampftour dabei ist, wüsste schon die richtige Antwort darauf. In Anspielung auf Seehofers phänomenale Schnelligkeit, seine Position zu wechseln, meint sie süffisant: „Aber macht ja nichts! Wenn der Seehofer wieder eine Wende macht, dann fließt die Donau wieder in die richtige Richtung!“
Vom Bockmist der CSU und richtigen Rindviechern
Derweil hat sich Udes Wahlkampfbus isaraufwärts bis zur Ausfahrt Reisbach vorgearbeitet, zockelt auf einer engen Landstraße hinter einem Gurkenlaster her, befährt nun ureigenes Erwin-Huber-Kernland. Jenes niederbayerische Territorium, wo die CSU-Welt noch in Ordnung ist. Könnte man meinen. Aber dann hält der Bus in Kornöd. Ein stattlicher Einödhofmit einem Bauern, der auf die EU und die CSU schimpft wie ein Rohrspatz. Erwin Schneiderbauer steht mit Ude und dessen Tross in seinem hypermodernen Kuhstall und findet ausgesucht derbe Worte für die Partei, die das schöne Bayern angeblich erfunden haben will: „De CSU hod scho so vui Bockmist produziert, so vui ham de ganzen Rindviecher do herin no ned zammbracht!“
Höhepunkt dieser Wahlkampfetappe: das Festzelt von Töging am Inn. Es ist gut gefüllt, ein rotes Fahnenmeer, Ude betritt das Podium und erzählt, wie er in den Sechzigern mit dem Münchner OB Hans-Jochen Vogel über den geplanten Bau der A 94 geredet habe. Da habe Vogel zu ihm gesagt, mit dem Thema brauche er sich gar nicht zu beschäftigen, bis er sein Jurastudium fertig habe, sei die Autobahn München- Passau eh fertig. Mehr muss Ude gar nicht sagen, denn jeder hier im Bierzelt weiß: Heute, 50 Jahre später, gibt es die Autobahn immer noch nicht. „Diese jahrzehntelange Verschleppung eines Infrastrukturprojekts der Sechziger Jahre ist ein unfassbares Armutszeugnis!“ ruft Ude und hat den Nerv des Publikums getroffen. „Wenn ich dafür verantwortlich wär,“ setzt er nach, „ganz ehrlich, ich tät mich da nicht mehr hertrauen!“ Ude spricht noch keine fünf Minuten, und das Festzelt jubelt.
Und so geht das 70 Minuten lang weiter. Wenn die bayerische SPD derzeit einen Politiker hat, der hundertprozentig bierzeltkompatibel ist, dann ist es Ude. Der Mann steht am Rednerpult und ist in seinem Element. Ude spricht frei, auch alles hölzern juristisch Bürokratische ist von ihm abgefallen. Genüsslich watscht er die CSU ab, macht sich über „die angebliche Finanzkompetenz der Konservativen“ lustig: „Denen hat’s der Herr im Schlaf gegeben!“ Das Publikum johlt, Ude pfeffert den Ball ins Tor: „Das Märchen von der Finanzkompetenz der CSU ist spätestens im Tresorraum der Landesbank bestattet worden!“
Mit dem Betreuungsgeld hält sich Ude nicht lang auf („Diese Schnapsidee muss sofort rückgängig gemacht werden!“), die Bildungspolitik nimmt aber viel Raum ein in seiner Rede. Das Schulsterben in Bayern müsse endlich gestoppt werden, ein Ort ohne Schule sei so gut wie tot. Studiengebühren? Ude: „Es ist noch nicht lange her, da habe ich die Abschaffung der Studiengebühren als meine erste Amtshandlung als Ministerpräsident angekündigt, und die CSU hat Zeter und Mordio geschrien!“ Doch genauso wie beim Thema Atomkraft und Donauausbau bestehe „der einzige Ausweg der CSU darin, der SPD hinterherzulaufen“. Was man der CSU nicht verübeln könne.
Standing Ovations für den Bierzeltredner Ude
Ude wird grundsätzlich – und dezidiert sozialdemokratisch: „Auf dem Arbeitsmarkt muss endlich wieder Anstand und Recht und Gesetz durchgesetzt werden!“ Die „Dumping- und Hungerlöhne“ gingen zu Lasten der Kommunen, bei denen die „Aufstocker“ Schlange stünden. „Ich zahl als Arbeitgeber so wenig, dass der Steuerzahler draufzahlen muss – das ist keine Geschäftsidee, sondern Subventionserschleichung!“
Die für die SPD nicht sehr günstigen Umfragewerte ignoriert der vor Selbstbewusstsein strotzende Kandidat souverän: „Wir sind in der komfortablen Situation, die Bevölkerung von unseren Positionen nicht überzeugen zu müssen“, denn vom gesetzlichen Mindestlohn über das G8/G9 bis zur Ganztagsschule wisse man die Bevölkerung hinter sich. „Wir müssen die Leute nur noch davon überzeugen, dass sie am 15. September erstmals aufgrund ihrer eigenen Überzeugung wählen, und nicht aus purer Gewohnheit irrtümlich CSU!“ Standing Ovations. Ude schaut auf einmal um Jahre jünger aus – so jung wie auf seinen Werbefotos und Wahlplakaten.
(Florian Sendtner)
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