Leben in Bayern

Katharina Schweissguth leert ihren "Poesie-Briefkasten", der im Münchner Stadtteil Giesing hängt. (Foto: Alexander Heinl/dpa)

21.04.2020

Poesie gegen den Corona-Blues

Ausnahmesituationen jeder Art haben Lyriker seit jeher inspiriert. Auch die Corona-Pandemie setzt kreative Energie frei. Im Münchner Poesie-Briefkasten landet derzeit Ängstliches, Kritisches, Religiöses - aber auch Scharfzüngiges und Lustiges

Ausgangsbeschränkungen, Homeoffice, Behelfsmasken, dazu die täglichen Meldungen über Corona-Infizierte und Todesfälle: Die aktuelle Ausnahmesituation macht etwas mit jedem von uns. So mancher greift zu Stift und Papier, um die unsichtbare Bedrohung und ihre Folgen zu verarbeiten. Im Münchner Poesie-Briefkasten landen derzeit fast ausschließlich Corona-Gedichte. Im wesentlich weniger frequentierten Augsburger Pendant fällt das C-Wort an sich zwar kaum, aber Nachdenkliches, Ängstliches und Mahnendes zieht sich auch dort durch die Einsendungen.

Dass gerade Ausnahmesituationen jeglicher Art die Menschen zum Dichten bringen, ist ein altbekanntes Phänomen. "Das ist ein Mittel, um die Dinge zu erfassen und für sich zu sortieren oder den Gefühlen und Emotionen eine Form, einen Ausdruck zu geben", erläutert Holger Pils vom Münchner Lyrik Kabinett. "Gedichte sind Form. Lyrik ist das Bemühen, etwas nicht nur fließen zu lassen, sondern in eine Form zu bringen, um Dinge zu begreifen, die um einen herum geschehen."

So lassen sich derzeit bei Instagram und in anderen sozialen Medien zahlreiche aktuelle Gedichte von "Normalmenschen" finden. Im Gegensatz zu Romanen, die Themen umfassend und psychologisch tiefgreifend behandeln können, ist Poesie ideal für Momentaufnahmen geeignet: Sie ist vergleichsweise schnell geschrieben, subjektiv, assoziativ.

Katharina Schweissguth vom Münchner Poesie-Briefkasten berichtet jedenfalls von einem markanten Anstieg: "In den letzten drei Wochen hatten wir 40 Einsendungen, das ist schon viel." Als Vergleich: In den gesamten sechs Jahren des Bestehens des Projektes kamen gut 3000 Gedichte zusammen.

"Ei Corona, hau ab! Wir wollen uns auch keinen Hamster kaufen, sondern mit den Freunden am Schulhof raufen"

Auch wenn vielleicht nicht alles in einigen Jahrzehnten als große Dichtkunst gelten wird, können die Werke der Hobby-Poeten durchaus zum Nachdenken anregen. So seziert der 30-jährige Rocky Sauer in nur zwei Zeilen den zerbrechlichen gesellschaftlichen Zusammenhalt: "Der alte Greis sagt: Klimawandel - interessiert mich nicht! Der junge Ignorant sagt: Dich zu schützen ist auch nicht meine Pflicht!"

"Es ist einfach eine Zeit, in der man sehr auf sich zurückgeworfen ist und auf seine Gedanken", fasst Schweissguth zusammen. "Das ist ja etwas völlig Neues und auch Bedrohliches, und ich glaube, dass es hilft, wenn man diese Gedanken aufschreibt und mit anderen teilt." Die Initiatoren des Münchner Poesie-Briefkastens (postalische Anschrift: Wirtstraße 17, 81539 München) veröffentlichen die eingesandten Werke derzeit mangels analoger Alternativen unter dem Motto "Poesie gegen den Corona-Blues" bei Youtube-Lesungen.

Das Altersspektrum der Autoren ist weit gefasst. So macht der achtjährige Ruben seinem Ärger mit Reimen Luft: "Ei Corona, hau ab! Wir wollen uns auch keinen Hamster kaufen, sondern mit den Freunden am Schulhof raufen. Ei Corona, hau ab! Ei Corona, hau ab! Wir wollen doch von Omas Gulasch essen - und nicht nur den Abstand zwischen uns messen!"

"Das Thema berührt jeden", berichtet auch der Betreuer des Augsburger Poesie-Käschtles, Reiner Mayr. Zwar seien bei den Einsendungen in Schwaben wenige Gedichte derart explizit auf den Erreger Sars-CoV-2 bezogen wie viele Münchner Beispiele. Doch auch wenn das Wort "Corona" nicht direkt vorkomme, "ist das schon mit Angst verbunden und der Frage, ob alles wieder gut wird. Es ist das Problem der Menschheit: Lernt sie was draus?" Die Kritik am bisherigen "höher, schneller, weiter" klinge auf jeden Fall bei vielen Autoren durch, so Mayr.

So mancher wende den Blick aber auch voll Dankbarkeit auf das Schöne, dass das Leben auch in dieser Situation bereithält. So dichtete ein Einsender: "Der Falter, den ein jeder kennt, strahlte im Lichte transparent. Auf einer schönen Distelblüte, derweil die Frühlingssonne glühte."
(Elke Richter, dpa)

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Kommentare (1)

  1. Heiwahoe am 01.09.2020
    Corona und die Wies'n





    Einmal hoch und einmal runter, ja hebt die Gläser immer munter.

    Hebt die Gläser, meine Freunde, einmal hoch und einmal runter!



    Jawohl, auch in Zeiten von Corona, da soll das Bier noch fließen.

    Und ist die Mass bald leer, lassen wir den Gerstensaft nachgießen.



    Corona, es macht uns allen das Leben auch nicht gerade leicht.

    Der Spaß an der Wies'n, hier in Bayern, aber bei uns nicht weicht.





    (c)Heinz-Walter Hoetter
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