Leben in Bayern

Das von Heike Mix (links) geleitete Präventionsprojekt Motherschools in Würzburg schweißt diese arabischen Frauen zusammen. (Foto: Pat Christ)

05.07.2019

Power für muslimische Mütter

Im Würzburger Projekt Motherschools lernen Frauen, ihre Kinder besser zu verstehen und sich selbst zu stärken

Kinder starker Mütter sind weniger gefährdet, in die Falle von Extremisten zu tappen – davon sind die Initiatoren des Projekts Motherschools überzeugt. Frauen aus Syrien, Ägypten, Tunesien, Somalia oder der Türkei lernen in den Kursen deshalb nicht nur, wie sie ihre Kinder vor radikalen Ideen schützen können. Sie werden auch selbst darin gestärkt, selbstbewusst und offen ihre Meinung zu vertreten.

Wie kann man verhindern, dass sich ein junger Mensch radikalisiert? Einen hundertprozentigen Schutz gibt es sicher nicht. Doch Prävention ist möglich. Davon sind die Macherinnen des Projekts Motherschools überzeugt. Mütter aus Syrien, Ägypten, Tunesien, Somalia und der Türkei lernen hier, ihre Kinder besser zu verstehen und sich selbst zu stärken. Denn Kinder mit starken Müttern, sagen Kursteilnehmerinnen aus Würzburg, sind weniger gefährdet, in die Falle von Extremisten zu tappen.
Haben Mütter ein lädiertes Selbstwertgefühl, kann sich das ungünstig auf ihre Kinder auswirken. Vor allem trauen sich schwache Mütter nicht, unangenehme Dinge anzusprechen. Die werden lieber unter den Teppich gekehrt. Doch Ansprechen ist wichtig, um zu verhindern, dass Dinge aus dem Ruder laufen, sagt Miram A. aus Ägypten, die 2017 den ersten Würzburger Motherschools-Kurs durchlief und 2018 als „Teacherin“ mit von der Partie war.

Merkt eine Mutter, dass mit ihrem Kind etwas nicht stimmt, müsse sie mit dem Kind darüber reden. Nicht vorwurfsvoll. Nicht mahnend. Sondern erst mal unvoreingenommen und offen: „Sag mal, ist alles okay mit dir?“

Miteinander reden – aber nicht vorwurfsvoll

Wie Eltern mit ihrem Nachwuchs umgehen, ist von Kultur zu Kultur verschieden, meint Mouna Bouzgarrou, die in beiden Würzburger Motherschools-Kursen als Teacherin im Einsatz war. Bouzgarrou ist 39 Jahre alt, hat zwei 7 und 13 Jahre alte Söhne und stammt von tunesischen Eltern ab. „Ich hatte als Kind keinerlei Mitspracherecht“, sagt sie. Es hieß: „So ist es.“ Das musste man akzeptieren. Oder: „Das darfst du nicht.“ Erklärungen mitzuliefern hatten ihre Eltern nicht für notwendig gehalten. Mouna Bouzgarrou versucht, dies bei der Erziehung ihrer Kinder anders zu machen: „Ich erkläre meinen Söhnen, warum sie etwas so oder so machen sollen.“

Besonders beunruhigend ist für Mütter, wenn ihre Kinder Stunden im stillen Kämmerlein verbringen und sie nicht genau wissen, was sie dort treiben. Mit wem skypt die Tochter? Was macht der Sohn am PC? Mouna Bouzgarrou hat diese Sorgen noch nicht. Ihr 13-Jähriger ist für sie ein offenes Buch: „Er redet viel, wenn er von der Schule kommt, jede Kleinigkeit wird berichtet.“ Dass ihr Ältester so redselig ist, weiß die Deutsch-Tunesierin zu schätzen. Sie bemüht sich auch immer, konzentriert zuzuhören, wenn es aus dem Sohn heraussprudelt. „Würde er irgendwann nichts mehr erzählen, wäre das für mich ein Zeichen, dass sich etwas bei ihm geändert hat“, sagt die Muslima.

In der Pubertät kommt es oft zu Konflikten zwischen Eltern und Kindern. „Das ist ganz normal“, sagt Heike Mix, die das im Sozialreferat der Stadt Würzburg angesiedelte Projekt Motherschools leitet. Mix hat selbst zwei Kinder. Sie weiß also, wovon sie redet. Inzwischen sind beide erwachsen. Doch das „Abenteuer Pubertät“ hat die Sozialpädagogin noch in lebhafter Erinnerung. Einmal, als ihr eine Situation ganz und gar nicht geheuer vorkam, erzählt sie in der Runde, sei sie ihrer Tochter unauffällig nachgegangen. „Ich wollte ihr keine Erfahrungen verbieten, aber doch sehen, mit wem sie sich trifft“, sagt sie. Gerade in der Pubertät ist es wichtig, Kindern zu signalisieren, dass sie jederzeit mit allen Themen und allen Fragen zu ihrer Mutter kommen können. Das hilft ihnen, sich vor schlechten Einflüssen zu schützen.

Von außen beeinflusst, sagt Heike Mix, werden Heranwachsende auf jeden Fall. Das ist auch gut so. Jugendliche müssen ihren eigenen Weg und ihre eigene Identität finden. Sie wollen und sie müssen „ihr Ding“ machen. So landen die einen in der kirchlichen Jugendarbeit. Die anderen gehen im Sportverein auf. Genauso können Teenager aber auch der Versuchung von Drogen erliegen. Oder eben der Faszination extremistischer Ideologien. Was letzteres Thema anbelangt, wollen die Motherschools-Mütter Panikmache vermeiden. „Würzburg ist eine sichere Stadt“, betont Miram A. Noch keine der Frauen, die das Präventionsprojekt bisher durchliefen, habe einen handfesten Verdacht gehabt, dass ihr Kind in die Fänge des IS zu geraten droht. Dennoch kam es vor genau drei Jahren zum Axtattentat eines afghanischen Flüchtlings in Würzburg. „Mir sind außerdem die Fälle zweier IS-Rückkehrerinnen aus Würzburg bekannt“, sagt Heike Mix. Prävention hat also Sinn. Wobei sich Motherschools nicht auf die Verhinderung von Radikalisierung beschränkt: „Uns geht es prinzipiell um das Empowerment von Frauen.“

Ob ihre Sprösslinge nun immun gegen radikale Ideen sind, vermag sie nicht zu sagen, meint Sarah aus Somalia, die drei Jungs und ein Mädchen im Alter zwischen 4 und 19 Jahren hat: „Doch ich hoffe es sehr.“ Auch wenn sie aktuell keine konkrete Gefahr sieht, dass sich ihre Kids radikalisieren könnten, hat sich der Motherschools-Workshop für die Afrikanerin gelohnt. Lernte sie hier doch starke, selbstbewusste Frauen kennen, die sich trauen, ihre Meinung zu sagen. „Bei uns in Somalia sind Frauen noch oft unterdrückt“, so die Muslima. Miram A., die ihr gegenübersitzt, nickt: „In Ägypten ist das ebenfalls noch in vielen Fällen so.“

Was in Würzburg im zweiten Quartal 2017 so hoffnungsvoll begonnen hat, ist nun leider schon wieder zu Ende, bedauert Heike Mix: Der Freistaat beschloss, neue Standorte des Projekts in Augsburg und Nürnberg zu fördern. Nach Würzburg sollen keine Mittel mehr fließen. Einen dritten Kurs gibt es deshalb nicht. Die Gruppe aus dem zweiten Würzburger Motherschools-Kurs trifft sich nur noch lose einmal im Monat, um miteinander in Kontakt zu bleiben und anstehende Themen zu besprechen. So organisierte Heike Mix unlängst eine Referentin, die das für arabische Frauen recht komplizierte Schulsystem in Deutschland erklärte.

Eine Frau fand den Mut, sich vom Mann zu trennen

Beim Nachtreffen an diesem Tag, zu dem die Hälfte der Frauen aus dem zweiten, arabischsprachigen Kurs erscheint, wird ausgelassen gefeiert: Miram hat Geburtstag, 45 Jahre wird sie alt. Ihre Kurskolleginnen kommen mit Geschenken, sie lachen und umarmen das Geburtstagskind. Der Tisch ist gedeckt mit arabischen Spezialitäten. Auch so etwas schweißt zusammen. Und macht stark. Wobei es überhaupt nicht selbstverständlich ist, dass eine Gruppe von Frauen aus ganz verschiedenen Ländern in diesem Maße zusammenwächst, sagt Heike Mix: „Wir hatten auch eine russischsprachige Motherschools-Gruppe, doch die hat nicht so gut funktioniert.“

Sie könnten schon selbst dafür sorgen, dass ihre Kinder zur Räson kommen, wenn sie abdriften, bekam Heike Mix dort zu hören. Erziehungsprobleme wurden verleugnet: „Es fehlte einfach die Offenheit, darüber zu reden.“ Ohne diese Offenheit funktioniert Motherschools jedoch nicht.
Gefordert wird ein offenes Herangehen an das Thema Erziehung sogar schon, bevor der Kurs beginnt. Die Frauen müssen vorab ein Papier ausfüllen, in dem sie direkt gefragt werden, ob sie das Gefühl haben, dass „Radikalisierung“ in ihrer Familie ein Thema ist. Mix: „Allein wegen dieses Fragebogens sprangen einige Frauen, die sich für das Projekt interessiert haben, wieder ab.“ Denn noch immer sei es gang und gäbe in vielen Kulturen, dass man denkt: Was in der Familie passiert, wenn die Wohnungstür geschlossen ist, geht keinen Menschen etwas an.

Das Präventionsprojekt Motherschools versucht, ein anderes Bewusstsein zu schaffen. Denn es geht Außenstehende durchaus etwas an, wenn eine Frau unterdrückt, erniedrigt oder geschlagen wird. Oder wenn Kinder mit ihren Bedürfnissen nicht ernst genommen, wenn sie vernachlässigt oder misshandelt werden. Genau aus diesem Grund können sie sich zu Gruppen hingezogen fühlen, die Geborgenheit versprechen, aber nichts Gutes mit ihnen im Sinn haben.

„Manchmal haben wir schon gehört, wir wären gegen die Männer“, sagt Heike Mix. Es gab sogar schon die Meinung, Motherschools würde „Familien sprengen“. Alles Unsinn, sagt die Projektleiterin: „Wir sind auch mit Männern in Kontakt.“ Allerdings wird in den Motherschools-Workshops aufgezeigt, wie verheerend sich patriarchale Strukturen auswirken können. Und es kam tatsächlich schon vor, dass eine Frau dank Motherschools den Mut fand, sich von ihrem Mann, bei dem es ihr seit langer Zeit überhaupt nicht mehr gut ging, zu trennen. Gegen den geballten Widerstand der Community, in der sie sich bewegte.
(Pat Christ)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Sollen Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.