Die Geschichten ähneln sich: "Ich bin in der 23. Woche und habe immer noch keine Hebamme gefunden...", schreibt eine Schwangere in einem Facebook-Forum für Münchner Mütter. "Ich bin mittendrin in diesem Schlamassel, habe erfolglos gesucht, mich wund telefoniert und fühle mich pränatal sehr im Stich gelassen", schreibt eine andere. Und eine dritte musste sich beim Versuch, sich in einer Geburtsklinik anzumelden, sagen lassen, in der 10. Woche sei sie natürlich viel zu spät dran. "Bei uns müssen Sie sich melden, sobald Sie das Gefühl haben, schwanger zu sein."
Seit zehn Jahren steigt die Zahl der Geburten in der bayerischen Landeshauptstadt. Im vergangenen Jahr meldete München wieder einen Geburtenrekord: 18 107 Neugeborene. Weil es zugleich einen leichten Rückgang der Sterbefälle gab, erreichte die Stadt den höchsten Geburtenüberschuss in der Geburten-Sterbefälle-Statistik seit 1960 - das ist mehr als 55 Jahre her.
Was eigentlich ein Grund zur Freude ist, bringt die Stadt inzwischen allerdings an ihre Grenzen. "München ist auch wegen der Geburtenrekorde eine sehr junge Stadt. Diese stellen das Versorgungssystem aber auch vor große Herausforderungen", sagt die Münchner Gesundheitsreferentin Stephanie Jacobs.
Im 3. Monat eine Hebamme suchen - da wird man ausgelacht
Die 30 Jahre alte Münchnerin Julia Giensch erzählt, dass sie ausgelacht wurde, als sie im dritten Schwangerschaftsmonat bei insgesamt 35 Hebammen anrief. "Na, Sie sind aber früh dran." Und auch im Krankenhaus habe es nicht besser ausgesehen: Als ihr kleiner Sohn dann am 22. Dezember auf die Welt kam, habe sie nachts zwei Stunden warten müssen, wenn sie nach einer Krankenschwester klingelte.
Das Ganze ist natürlich nicht nur ein bayernweites Problem. Kurz vor Ostern machte eine Hebamme aus Nordrhein-Westfalen mit einem Geburtstipp Schlagzeilen. Sie riet: Wer sich ein Kind wünsche, solle über die Feiertage trotzdem noch verhüten. Sonst käme das Baby im Dezember oder Januar zur Welt - und rund um Weihnachten und Neujahr sei es noch viel schwieriger als ohnehin schon, eine betreuende Hebamme zu finden.
Bundesweit herrscht Hebammenmangel - und das obwohl die Zahl der Hebammen in Deutschland im Jahr 2015 leicht gestiegen ist, wie das Statistische Bundesamt vor kurzem mitteilte. Insgesamt arbeiteten demnach vor zwei Jahren in deutschen Krankenhäusern 10 919 Hebammen und Entbindungshelfer. Zahlen für 2016 liegen noch nicht vor.
Eine deutsche Hebamme betreut 100 Geburten, eine britische nur 30
Eine in Vollzeit arbeitende Hebamme betreut nach Angaben des Deutschen Hebammenverbands pro Jahr rund 100 Geburten; in Großbritannien und Norwegen sind es nur rund 30. Dem Verband zufolge laufen in deutschen Kreißsälen oft drei bis vier Geburten gleichzeitig. Verbandspräsidentin Martina Klenk führt den Hebammenmangel auf das geringe Einkommen zurück. "Die Vergütung angestellter und freiberuflicher Hebammen ist grauenvoll", sagt sie.
Und wenig Einkommen wird vor allem in einer teuren Stadt wie München zum Problem. Wie groß dieses Problem dort ist, zeigen nicht nur die verzweifelten Mütter-Kommentare im Internet, sondern auch die Tatsache, dass München inzwischen einen runden Tisch eingerichtet hat, um den Babyboom zu bewältigen - die "AG Geburtshilfe". Dort sitzen unter anderem Vertreter der großen städtischen und universitären Kliniken zusammen - auch um zu verhindern, dass Frauen in den Wehen von einem Krankenhaus zum nächsten geschickt werden. Über die Internetseite Ivena ist abrufbar, welches Krankenhaus eine Frau in den Wehen noch aufnehmen kann - und welches nicht mehr.
2014 wurden 800 Frauen von Münchner Kreißsälen abgewiesen
Christine Lindenthal vom Verein Mother Hood, der ebenfalls zur "AG" gehört, berichtet, dass 2014 insgesamt 800 Frauen von Münchner Kreißsälen abgewiesen wurden. Aktuellere Zahlen gibt es nach Angaben des städtischen Gesundheitsreferates nicht. "Das ist wirklich die Realität. Am runden Tisch erzählen die Klinik-Vertreter immer wieder, dass es an der Tagesordnung ist, dass Frauen abgewiesen werden", sagt die bayerische Landesvorsitzende des Hebammenverbandes, Astrid Giesen. "Wenn in einem Staat wie Deutschland, der so reich ist, eine Frau in den Wehen weggeschickt wird, dann muss ich mich schon fragen, was da in der Planung falsch gelaufen ist."
Wie viele Hebammen fehlen, ist unklar. Nach Angaben Giesens arbeitet das bayerische Gesundheitsministerium derzeit an einer umfassenden Studie. Doch selbst wer in München eine Hebamme findet und auch noch das Glück hat, in dem Kreißsaal zu entbinden, in dem er sich auch angemeldet hat - ausgestanden ist noch nicht alles.
"Es hört nicht auf, wenn die Kinder erstmal da sind", schreibt eine Mutter auf Facebook. "Babyschwimmen, Krippe, Kindergarten, Hort, Sportvereine... Achja - selbst die Grundschulen schaffen es nicht mehr, ihren eigenen Sprengel zu bedienen... selbst der Kinderarzt hat nur noch Kapazität für Kinder, die im selben Stadtteil leben... Ich freu mich auf die kommenden Jahre."
(Britta Schultejans, dpa)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!